# taz.de -- Weintourismus in der Toskana: Landschaft in der Flasche
       
       > Der Wein hat dem toskanischen Ort Montalcino Wohlstand und Tourismus
       > beschert. Jetzt gilt es, die einmalige Kulturlandschaft zu erhalten.
       
 (IMG) Bild: Der toskanische Weinort Montalcino
       
       Auf dem Zinnengang der Fortezza von Montalcino ist der Blick königlich,
       rundum. Auf der einen Seite liegt das Val d’Orcia, auf der anderen der
       Monte Amiata und dazwischen Weinberge, Zypressen, Wäldchen, Olivenhaine,
       Weizenfelder und die antike Via Francigena, die wichtigste Straße des
       Mittelalters. Von hier oben behielten die Stadtfürsten anrückende Feinde im
       Auge, aber auch die Bauern, die auf ihren Feldern schufteten. Hier, wo
       einer der edelsten Weine Italiens wächst, waren früher fast alle Familien
       Bauern. Auch die von Marta. Sie zeigt in Richtung Tal. „Dort leben wir
       immer noch“, sagt sie. Die nächste größere Stadt ist Siena, rund 40
       Kilometer entfernt.
       
       Marta Ricci hat Kunst und Kino studiert und macht mit ihrem Freund Filme.
       Doch ihr Geld verdient sie als Fremdenführerin für die Weintouristen. „Alle
       leben vom Brunello, vorher waren die Leute hier wirklich arm und viele sind
       ausgewandert“, erzählt sie. Vorher, das war bis zu den 60er Jahren. Damals
       haben sich alle Winzer von Montalcino zu einem Konsortium
       zusammengeschlossen, um über die Reinheit und Produktionsmethoden ihres
       blutroten Weines zu wachen und den Verkauf, auch nach Übersee, gemeinsam zu
       organisieren. Der Erfolg war durchschlagend.
       
       Der Wein hat dem mittelalterlichen Burgdorf zu internationalem Ruhm
       verholfen. Weltstars wie Sting kommen zur jährlichen Weinbegrüßung im
       Februar. Der Engländer ist ein Toskana-Fan und hat sich in der Nähe ein
       Landgut gekauft. Marta und er gehen zum selben Physiotherapeuten. So hat
       der Wein die Welt in Montalcino verändert.
       
       Der Brunello ist heute einer der kostbarsten Tropfen Italiens. Einige alte
       Jahrgänge werden zu Fantasiepreisen gehandelt. Als Einsteiger kann man sich
       aber durchaus mit einer Flasche für 30 Euro zufriedengeben. Ein echter
       Brunello besteht aus einer einzigen Rebsorte. Der Sangiovese grosso ist ein
       Klon der Sangiovese-Traube, die überall in Mittelitalien wächst und auch in
       jeder Flasche Chianti steckt. Die Brunello-Trauben aber kommen
       ausschließlich von Feldern des örtlichen Anbaugebiets. Dieses wird
       säuberlich von vier Flüssen begrenzt.
       
       Die lehmige und kalkhaltige Erde bestimmt das komplexe Aroma, aus dem man
       Kirschen und Gewürze herausschmecken kann, aber auch die Meeresbrise der
       nahegelegenen Maremma-Küste. Die Winzer des Konsortiums produzieren heute 8
       Millionen Flaschen Brunello und 4,5 Millionen Flaschen des leichteren,
       weniger lang in Fässern gereiften Rosso di Montalcino.
       
       ## Der Wein hat Wohlstand gebracht
       
       Alles in allem ergibt das einen Umsatz von 160 Millionen Euro. Die besten
       Auslandskunden sind die Amerikaner, gefolgt von Europa und dem asiatischen
       Markt. Der Brunello-Boom kam in den 80er Jahren. Damals kauften sich große
       Weinproduzenten aus dem In- und Ausland in das Territorium ein, aber auch
       Industrielle wie der Südtiroler Waffelhersteller Loacker und der Triester
       Kaffeekönig Illy. Sie alle sind im Konsortium, das auf rund 220 Mitglieder
       angewachsen ist. „Wir achten darauf, dass das Gleichgewicht zwischen großen
       und kleinen Produzenten nicht aus den Fugen gerät“, beteuert Enzo Tiezzi,
       Winzer und ehemaliger Präsident des Konsortiums.
       
       Auch nicht aus den Fugen geraten sollte die Natur, die dem Ort Wein und
       Wohlstand beschert. Das Val d’Orcia – mit seinen Weinbergen, antiken
       Landgütern und steinernen Kirchen – wurde 2004 von der Unesco zum
       Weltkulturerbe erklärt. Eine Kulturlandschaft: von Menschenhand gestaltet,
       bislang unberührt vom Schnellstraßenbau.
       
       Doch die Ausbreitung der Weinfelder hat auch einen Haken. Sie bedingt ein
       Schrumpfen der für die Gegend typischen Steineichenwälder, die verhindern,
       dass der lehmhaltige Boden abrutscht. Dieser Prozess, der durch einen
       Klimawandel mit heftigen Regenfällen beschleunigt werden könnte, ist hier
       aber längst nicht so weit fortgeschritten wie im Prosecco-Anbaugebiet von
       Conegliano Valdobbiadene, das trotz vieler Proteste gegen die
       Weinmonokultur nun auch zum Weltkulturerbe ernannt wurde.
       
       Die Toskaner achten auf ihr Land, mehr als andere in Italien. Einer, dem
       der Wald besonders am Herzen liegt, ist Paolo Valdambrini. Er kümmert sich
       um das Waldstück nahe des Örtchens San Giovanni D’Asso. Er und seine Hündin
       Milli sind hier jeden Tag unterwegs. Ihre Mission: Trüffel suchen und
       finden.
       
       ## Kostbare Knollen
       
       Der unterirdische Pilz braucht Bäume zum Wachsen. „Er lebt mit dem Baum in
       einer Symbiose“, erklärt Valdambrini. Der schwarze Sommertrüffel, Scorzone,
       wächst in der Nähe von Eichen. Der wertvolle weiße Trüffel bevorzugt
       Pappeln, Weiden und Haselnussbäume. Er wächst jetzt im Herbst bis Ende des
       Jahres. Sein unwiderstehlicher Duft steigt einem beim Trüffelfest in San
       Giovanni D’Asso in die Nase, das jährlich an den ersten beiden
       Novemberwochenenden stattfindet. Der kulinarische Klassiker ist Pasta mit
       Trüffeln und Steinpilzen, dazu natürlich ein Glas Brunello.
       
       Für Valdambrini ist sein Job eine Berufung. Vor ein paar Jahren war er
       arbeitslos. Dann hat er das Waldstück gepachtet, gesäubert und
       aufgeforstet. „Sonst wäre das hier der reinste Dschungel“, sagt er, und nun
       wächst sogar der weiße Trüffel. Die kostbare Knolle sei die rechte
       Belohnung dafür, dass er den Wald erhalte, findet der große Mann mit dem
       Schlapphut. Wahrscheinlich hat er recht.
       
       Irgendwie hängt alles zusammen im Mikrosystem von Montalcino – ein
       landschaftliches, wirtschaftliches und ökologisches Gleichgewicht, wobei
       dem Massentourismus und den Luxusansprüchen reicher Russen noch nicht
       nachgegeben wurde und alternative Radtouren und Zimmer auf schick
       renovierten Landgütern angeboten werden.
       
       Aber ab Mai, wenn [1][die L'Eroica – eine Vintage-Fahrradtour] auf
       toskanischen Landstraßen – ihre Siegetappe in Montalcino feiert und die
       Sommertouristen dann folgen, ächzen die steinernen Gassen ziemlich unter
       der Besucherlast. Wer die Touristensaison meiden möchte, kommt zwischen
       Oktober und April. In den kühlen Monaten schmeckt auch der wuchtige Rotwein
       am besten.
       
       ## Das gehütete Reinheitsgebot
       
       Die Winzer haben nichts gegen den Trubel, auch von ihnen vermieten fast
       alle Fremdenzimmer. Auch Enzo Tiezzi, dessen Gut Soccorso hoch oben über
       dem Tal, direkt am Ortsrand von Montalcino liegt. Tiezzi ist ein
       sympathischer älterer Herr, der in seiner Cantina die Geschichte des
       Brunello hütet, zu der er auch schon selbst gehört.
       
       „Als ich als junger Mann anfing, als technischer Berater bei den Winzern zu
       arbeiten, existierte zum Teil noch das feudale Pachtsystem“, erzählt er.
       Dann in den 80ern gelang es ihm, selbst Felder zu kaufen. Heute gehören
       seine beiden Etiketten zu den feinsten Brunello-Tropfen. Die Tiezzis
       betreiben wie die meisten Winzer ein Familienunternehmen, auch seine Frau
       und die beiden Töchter arbeiten mit.
       
       Nach einem Spaziergang durch die perfekt gezogenen Rebenreihen – wo vor der
       Ernte Anfang September nur noch die feinsten Trauben reifen dürfen – öffnet
       Tiezzi sein Tabernakel, das Weinprobenzimmer. Hier sieht es aus wie vor
       hundert Jahren. Zwischen Versuchskolben, Körben, Emailleschilder und
       Flaschen mit vergilbten Etiketten hängt das starke Stück der Sammlung: ein
       Dokument, das bezeugt, dass der Name Brunello erstmals 1904 in Frankreich,
       also außerhalb Italiens, erwähnt wird. [2][Seitdem hat sich viel geändert]:
       [3][die Auslandsmärkte, das Marketing, der Weintourismus]. Aber eines werde
       immer bleiben, beteuert Enzo Tiezzi: das gehütete Reinheitsgebot des
       Brunello. Zumindest solange er lebe.
       
       1 Nov 2019
       
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