# taz.de -- Die Sitar als Waffe
       
       > Freitagabend mit indischen und arabischen Klängen beim dreitägigen
       > Dice-Festival im Bi Nuu am Schlesischen Tor
       
 (IMG) Bild: Nadah El Shazly zitiert den opulenten Schmerz, der ägyptischer Musik spätestens seit Oum Kalthoum eigen ist
       
       Von Oliver Kontny 
       
       Auf der Bühne sitzt eine Frau mit einer Sitar zwischen elektronischen
       Geräten und verschiebt schnell und beiläufig einen Bundsteg, bevor sie auf
       dem Controller ein Preset wählt. Die Sitar steuert einen
       Software-Synthesizer, ihr eigentlicher Klang wird erst gegen Ende des
       Stückes zu hören sein. Ami Dang lernte als Kind auf Bestreben ihrer Eltern
       die Sitar spielen, und sie machte daraus eine Waffe. Am College in
       Baltimore studierte sie Musiktechnologie und kam so nicht nur mit
       zeitgenössischer Musik in Berührung, sondern auch mit Laurie Anderson und
       Meredith Monk.
       
       „Am Anfang war ich in der Noise-Szene aktiv. Irgendwann hab ich meine Liebe
       zur Popmusik entdeckt und angefangen, Beats zu machen und Songs auf Urdu,
       Punjabi und Englisch zu singen“, sagt sie. „Später habe ich mich ins Studio
       gesetzt und Studien für Sitar und Elektronik gemacht.“
       
       Im Bi Nuu am Schlesischen Tor folgt Ami Dang verschiedenen Pfade. Sie
       singt zu vorproduzierten Tracks, aber wenn sie Sitar spielt, bedient sie
       auch eine etwas unvorhersehbare indische Drum Machine, die Tabla-Patterns
       in liebevoller Low-Fi-Qualität ausspuckt. „Die wurde mir eigentlich als
       Metronom gegeben, als ich Sitar lernte. Irgendwann habe ich sie
       zweckentfremdet. Man weiß nie genau, was sie macht.“ Seit über einem halben
       Jahrhundert fasziniert die amerikanische Avantgarde indische Klassik. Seit
       es Hippies gibt, ist die Sitar stark symbolisch aufgeladen. Doch erst seit
       wenigen Jahren haben Künstler*innen of Colour angefangen, indische Musik
       aus ihrer eigenen Perspektive in die amerikanische Musik einzuspeisen. „Es
       hat viel mit Migrationspatterns und produktiven Privilegien zu tun. Meine
       Eltern bekamen ein US-Visum, als man Ärzt*innen brauchte, und sie konnten
       es sich leisten, mich zum Musikunterricht zu schicken“, sagt sie. „Und ich
       konnte mich gegen sie durchsetzen und dann tatsächlich Musikerin werden
       statt Ärztin.“
       
       Im zweiten Jahr ist das DICE Festival ein Ort für Frauen, trans und
       nichtbinäre Künstler*innen. Neben dem genreübergreifenden Line-up an
       verschiedenen Locations gibt es Diskussionsveranstaltungen und Workshops.
       Der politische Gehalt der Musik wird durch die Kuration sichtbar gemacht,
       sodass es bei den Konzerten dann nur um die Musik gehen muss – anders als
       beispielsweise beim CTM, das mit der zeitkritischen Relevanz seiner Acts
       hausieren geht wie die BVG-Werbung mit der Dauerverspätung ihrer Busse.
       
       Nadah El Shazly dreht sich zu ihrem Drummer um. Während ihr Sequenzer ein
       monotones Motiv aus dem Electro Chaabi ausspuckt, einem Kairoer Pop-Genre,
       will er einen synkopierten Groove setzen. Doch die Leaderin will das heute
       nicht. Wie ein abstraktes Sample soll die Sequenz im Raum stehen,
       durchschossen von unregelmäßigen Ausbrüchen kleiner Noiseboxes. Die
       Rhythmussektion nimmt sich also zurück, und El Shazly nimmt sich den Raum,
       um ihren eigenen Song zu zerlegen. Sie zitiert den opulenten Schmerz, der
       ägyptischer Musik spätestens seit Oum Kalthoum eigen ist, und zehrt dabei
       von ihrer früheren Erfahrung als Punk-Sängerin. Das Vibrato und die
       wutverzerrte Stimme sitzen genau, man meint darin sogar die fiesen Obertöne
       wieder zu hören, die entstehen, wenn der Kontrabassist die Seiten kurz über
       dem Steg mit dem Bogen ankratzt. Nadah El Shazly ist Teil der Kairoer
       Avantgardeszene um Maurice Louca und Sam Shalaby. Ihr Soloalbum „Ahwar“
       hatte ich im Interview als Pop bezeichnet. „Warum nicht?“, lacht sie. „Aber
       es ist nicht mehr das Album, das ich aufgenommen habe. Ich toure damit seit
       zwei Jahren und habe mich auf eine Weise verändert, von der meine Songs
       sich nähren. Als würde ich immer noch an ihnen schreiben.“
       
       Heut Nacht ist Nadah El Shazly die Harsh-Noise-Version ihrer selbst. Sie
       behält die elegischen Bögen ihrer Songs, aber ihre Stimme platzt auf. Ob
       das Raum schafft für persönliche Erfahrungen oder der Performanz einer
       aneckenden Bühnenpersona dient, ist letztlich egal, solange wir an ihren
       Lippen hängen, wenn sie auf den Knien sitzt und jede einzelne Koloratur den
       Bogen zwischen Perfektion und ihrer eigenen Zerstörung schafft.
       
       El Shazly trägt Mini und High Heels. Sobald ihr Kontrabassist ein Solo
       spielt, greift sie nach der Zigarettenpackung neben ihrem Synthesizer und
       zündet sich eine an. Öffentliches Rauchen kann Frauen in Kairo zum Ziel
       männlicher Angriffe machen. Aber Nadah El Shazly geht es nicht darum, etwas
       anzuprangern, sondern um die Selbstverständlichkeit, sich nicht zu beugen.
       Die Klischees und Schubladen, die westliche Musikpresse für Frauen
       bereithält, die auf Arabisch singen, interessieren sie nicht einmal. „Das
       ist eher ein Problem, mit dem die ältere Generation zu kämpfen hatte“, sagt
       sie. „Natürlich kann es passieren, dass ein Journalist nicht mitkommt und
       mich falsch liest. Aber mich interessiert das Feedback vom Publikum ohnehin
       viel mehr, als was in einer Rezension steht.“
       
       4 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Kontny
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA