# taz.de -- Vor der Präsidentenwahl in Argentinien: Die Zeichen stehen auf Machtwechsel
       
       > Die Bilanz des argentinischen Amtsinhabers Mauricio Macri ist verheerend.
       > Deshalb steht jetzt der Peronismus vor der Rückkehr an die Macht​.
       
 (IMG) Bild: Unterstützer von Präsident Mauricio Macri beim „Marsch der Millionen“ am 19. Oktober in Buenos Aires
       
       Buenos Aires taz | „Sí, se puede – Ja, es geht.“ Hunderttausendfach schallt
       es aus dem hellblau-weißen Fahnenmeer. Mit dem „Marsch der Millionen“
       gelang Argentiniens liberal-konservativem Präsidenten Mauricio Macri
       vergangenen Samstag eine beeindruckende Kulisse. 350.000 Menschen waren auf
       die breite Avenida 9 de Julio im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires
       gekommen, um Macris Wiederwahl zu unterstützen. „Lo damos vuelta – Wir
       dreh’n das um“, skandierten sie und meinten damit die herbe Schlappe bei
       den Vorwahlen.
       
       Ob das bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag auch gelingt, ist
       allerdings fraglich. Mit gut fünfzehn Prozent Stimmenunterschied hatte
       Herausforderer Alberto Fernández den amtierenden Macri abgehängt. 47,7
       Prozent der Stimmberechtigten votierten am 11. August für den
       Mitte-links-orientierten Fernández. Sollte sich das Ergebnis am Sonntag
       wiederholen, hätte Fernández die Wahl im ersten Durchgang gewonnen. Dafür
       nötig sind 45 Prozent der Stimmen.
       
       „Argentinien geht es heute besser als vor vier Jahren“, meint
       fahnenschwenkend die 45-jährige Gladys Montielle, die im Stadtviertel
       Palermo eine Modeboutique betreibt. Schließlich habe Präsident Macri mit
       Korruption und Klientelismus der Kirchner-Regierungen aufgeräumt.
       
       Dass sich das Land wirtschaftlich und sozial auf einer bedrohlichen
       Talfahrt befindet, lässt sie nicht gelten: „Mauricio braucht einfach mehr
       Zeit.“ Gladys Montielle war auch am 24. August dabei, bei der ersten großen
       Kundgebung für den Präsidenten nach dem niederschmetternden Abschneiden bei
       den Vorwahlen. Als Macri unerwartet auf dem Balkon der Casa Rosada
       erschien, liefen bei ihr die Tränen.
       
       ## Direkter Kontakt
       
       Bis dahin gehörten Massenversammlungen nicht zum Instrumentarium von Macris
       Wahlkampfallianz Juntos por el Cambio (Zusammen für den Wandel). Doch
       nachdem am 24. August so viele gekommen waren, entwickelte die
       Kampagnenleitung den „Marcha del Sí, se puede“. Statt in geschlossenen
       Räumen vor ausgewählten Publikum sollte Macri jetzt den direkten Kontakt
       zur Bevölkerung suchen.
       
       Über 30 Mal trat er seither auf. Gab sich emotional wie ein Wanderprediger.
       Zeigte Reue angesichts der Krise und versprühte Zuversicht, das Blatt
       wenden zu können. Mal kamen 10.000, mal waren es 200.000 und letzten
       Samstag über 350.000.
       
       30 Prozent der Wahlberechtigten stehen fest zu ihrem Präsidenten.
       Entscheiden werden die Wahl jedoch die Wechselwähler*innen. Wie Susana
       Bárez. „Bei der letzten Wahl habe ich für Macri gestimmt“, sagt sie. Sie
       habe an eine positive Änderung geglaubt. „Ich habe mich geirrt.“
       
       Jetzt steht sie auf dem Platz vor der Bahnstation von Sarandí, einem Vorort
       im Süden von Buenos Aires. Die 43-Jährige ist Mitorganisatorin von
       „Manteros Sarandí“, einer von zahllosen Tauschgruppen, die seit Monaten
       einen enormen Zulauf erleben.
       
       ## Überleben sichern
       
       Während der tiefen Krise von 2001 waren diese Tauschmärkte entstanden.
       Kleidung gegen Nahrungsmittel, Haare schneiden gegen die Reparatur eines
       verstopften Rohres. Damals sicherten sie vielen das Überleben. Der große
       Unterschied heute: Vieles wird vorab über Facebook vereinbart. Dort hat
       auch Bárez ihre gebrauchten T-Shirts eingestellt und zum Tausch angeboten.
       Jetzt wartet sie auf die vereinbarten drei Pakete Nudeln und zwei Pfund
       Trockenmilch.
       
       Als Macri 2015 an die Regierung kam, hatte Susana Bárez Arbeit als
       Reinigungskraft in einem Metallbetrieb. Als der Betrieb in die Miesen
       geriet, wurde sie wie viele entlassen. „Cristina Kirchner hat geklaut, o.
       k., aber mein Kühlschrank war voll. Ich hatte Milch für die Kinder und
       Fleisch im Eisfach. Heute regieren auch keine Unschuldslämmer und mein
       Kühlschrank ist leer. Mir wurde das Gas abgestellt. Jetzt muss ich eine
       Gasflasche kaufen, wenn ich sie bezahlen kann“, so Bárez’ persönliche
       Bilanz.
       
       „Uns alle hier treibt die Inflation immer tiefer in die Armut.“ Ihr
       ausgestreckter Arm weist über den Platz. Für 2019 wird mit einem
       Preisanstieg von über 55 Prozent gerechnet. Lebensmittel und Getränke sind
       schon in den letzten zwölf Monaten um 57 Prozent teurer geworden, meldete
       erst vor wenigen Tagen die Statistikbehörde Indec.
       
       Der Kampf gegen die Armut war eines der zentralen Versprechen von Präsident
       Macri. Aber am Ende seiner Amtszeit leben mit 35,4 Prozent der Bevölkerung
       mehr Menschen in Armut als vor vier Jahren. Mitte September verlängerte der
       Kongress in Eilsitzungen den Ernährungsnotstand und bewilligte für den Rest
       des Jahres zusätzliche Lebensmittelhilfen für Arme und Notleidende im Wert
       von 170 Millionen Euro.
       
       ## Keine Entlassungen
       
       Auch Daniel Torres bereut es, für Macri gestimmt zu haben. Der 54-Jährige
       steht vor den geschlossenen Werkstoren von Zanella in Caseros, einem Vorort
       westlich der Hauptstadt. Der Wind fegt den Staub durch die Straße, sonst
       bewegt sich hier nichts.
       
       Torres ist hier, um einige Aufräumarbeiten zu erledigen. Seit über 70
       Jahren stellt Zanella Motorroller und -räder her. Torres ist seit 33 Jahren
       dabei. Drei Monatslöhne schuldet ihm die Firma bereits, wie auch den
       anderen 130 Beschäftigten in Caseros. Entlassen wurde noch niemand, gerade
       läuft die Schlichtung.
       
       Noch ist die Traditionsmarke die Nummer drei auf dem heimischen Markt. An
       vier Standorten wurde produziert. Doch statt 2019 die Herstellung des 2,5
       Millionsten Motorrads zu feiern, brach der Markt ein. Im Juli wurde das
       Werk in der Küstenstadt Mar del Plata geschlossen, im August das in der
       Provinz Córdoba. Von den ehemals 500 Beschäftigten in der Provinz San Luis
       arbeiten noch 50 im dortigen Werk.
       
       Zanella ist ein Paradebeispiel für den Niedergang der argentinischen
       Industrie, die sich seit zwei Jahren im scheinbar unaufhaltsamen Sinkflug
       befindet. Reihenweise geben mittelständische Unternehmen auf,
       Werksschließungen und Entlassungen sind an der Tagesordnung. Mit 10,1
       Prozent kletterte die Arbeitslosigkeit gerade auf die höchste Rate seit
       dreizehn Jahren.
       
       ## Karre aus dem Dreck ziehen
       
       Beschäftigte und Unternehmer*innen kehren Macri den Rücken. „Macri allein
       ist dafür nicht verantwortlich“, sagt Daniel Torres. Aber dass Macri die
       Karre aus dem Dreck ziehen kann, daran glauben er und viele seiner
       Kolleg*innen nicht. Am Sonntag will er für den Wechsel stimmen. „Die Kröte
       Cristina muss ich schlucken. Ich hoffe, Alberto bleibt eigenständig genug.“
       
       Cristina Kirchners Entscheidung für das Vizeamt zu kandidieren und, zur
       Überraschung aller, Alberto Fernández zum Präsidentschaftskandidaten zu
       küren, erwies sich als genialer Schachzug. Während sie ihre
       Stammwähler*innen von 30 Prozent einbringt, gelingt es Alberto Fernández
       durch sein offenes Zugehen auf die unentschlossenen und gegen Cristina
       eingestellten Stimmberechtigten den notwendigen Stimmenzuwachs zu holen.
       Stimmen für den Wechsel, wie die von Susana Bárez und Daniel Torres.
       
       26 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Vogt
       
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