# taz.de -- Die Wahrheit: Tschilp, tschilp, da ist der Honig
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (86): Der Honiganzeiger
       > kommuniziert mit Menschen und weist den Weg zum Stoff.
       
 (IMG) Bild: Heißt nur wie eine Zeitung: der Honiganzeiger
       
       Der Honiganzeiger ist unscheinbar und hat nur einen kleinen Schnabel, zählt
       aber zu den Spechtvögeln. Er lebt von Insekten und Wachs, das ihm spezielle
       Bakterien in seinem Darm vorverdauen. Honig lehnt er ab. Um an das
       Bienenwachs zu kommen, fliegt er in die Nähe menschlicher Siedlungen und
       macht dort durch lautes Rufen auf sich aufmerksam – so lange, bis einer der
       Dorfbewohner ihn hört und bereit ist, für eine angezeigte Honigquelle
       meilenweit zu laufen. Dann weist der Vogel ihm den Weg zum nächsten
       Bienennest.
       
       Der Naturfilmer Volker Arzt erwähnt in seinem Buch „Kumpel & Komplizen.
       Warum die Natur auf Partnerschaft setzt“ (2019) den umgekehrten Fall, dass
       ein an Honig interessierter Dorfbewohner einen Honiganzeiger ruft – mit
       einem speziellen Laut. Der Vogel braucht mitunter ein paar Tage, bis er so
       weit in der Nähe ist, aber dann führt er den Rufer fliegend und tschilpend
       zum Bienennest, das sich meist hoch oben in einem Baum befindet. Nun muss
       der Mensch hochklettern und ein Stück Wabe abbrechen, manchmal auch das
       Flugloch erst einmal mit einem Werkzeug vergrößern. Dafür, dass der
       Honiganzeiger ihn dorthin gelotst hat, gibt der von Bienen zerstochene
       Mensch ihm anschließend ein Stück Wachs mit Waben voller Bienenmaden.
       
       Volker Arzt fragt sich: Wo kommen die kleinen Honiganzeiger überhaupt her,
       und wer bringt ihnen bei, den Ruf der Menschen richtig zu verstehen, die
       ihn damit bitten, herzukommen, damit er sie zum nächsten Bienennest führt?
       Diese ebenso sympathischen wie klugen Bienenanzeiger sind zugleich
       „finstere Brutparasiten“, wie der Autor sie nennt, sie parasitieren
       allerdings nicht beim Menschen, sondern bei Bienenfressern.
       
       Es sind sehr bunte, etwa spatzengroße Vögel, die in Erdhöhlen brüten. In
       deren Nester legt das Honiganzeigerweibchen jeweils ein Ei (ähnlich wie
       Kuckucksweibchen). Die Jungen werden mit einem Haken am Schnabel geboren,
       damit zerhacken sie die Jungen der Bienenfresser und werfen sie aus dem
       Nest. Von deren Eltern werden sie daraufhin mit der doppelten und
       dreifachen Menge an Insekten gefüttert. Wenn sie flügge geworden sind,
       verlassen die jungen Honiganzeiger die Erdhöhlennester der Bienenfresser
       und sind fortan die „liebenswerten Honiganzeiger“, wie wir sie aus zig
       Tierfilmen kennen (den Haken am Schnabel haben sie dann auch nicht mehr).
       
       ## Bis der Arzt kommt
       
       Volker Arzt stellt sich nun die Frage, wie sie, die doch ohne ihre Eltern
       aufgewachsen sind, den menschlichen Lockruf, der auch noch von Region zu
       Region verschieden ist, verstehen können. Er verweist dazu aber bloß auf
       die Honiganzeiger-Forschung einer gewissen Claire Spottiswoode von der
       Cambridge University, die das derzeit versucht herauszubekommen. Ihr
       Cambridge-Kollege Nicholas Barry Davies, der ebenfalls die Honiganzeiger
       erforscht, hat bei den Borana in Kenia erfahren, dass dieser kluge Vogel,
       wenn das Bienennest sehr weit weg ist vom Dorf, so tut, als sei es ganz in
       der Nähe, indem seine Vorausflüge in kurzen Etappen und mit eindringlichem
       Gezwitscher erfolgen, so dass der Mensch nicht die Hoffnung auf Honigbeute
       aufgibt und weiter hinter ihm her läuft.
       
       Der Biologe Davies weist laut Wikipedia auch darauf hin, „dass diese
       Kooperation zwischen Mensch und Vogel früher in weiten Teilen Afrikas
       üblich gewesen ist. Aufgrund anderer Lebensbedingungen und insbesondere dem
       zunehmenden Gebrauch von Zucker als Süßungsmittel wird diese Zusammenarbeit
       mit dem Honiganzeiger jedoch immer weniger praktiziert.“
       
       Während Volker Arzt rätselt, wie der Vogel den menschlichen Ruf auf Anhieb
       richtig verstehen kann und dabei auf irgendetwas Angeborenes beim Vogel
       kommt, vermute ich, dass zunächst die Annäherung an das Dorf vom
       Honiganzeiger ausgeht – mit seinem Ruf. Und dass die Menschen ihn
       irgendwann zurückrufen, oder sie pfeifen beziehungsweise trommeln,
       woraufhin er mit ein bisschen Glück auch angeflogen kommt. Für Volker Arzt
       ist das jedoch so oder so ein gutes Beispiel für eine „Symbiose“.
       
       Die „Symbioseforschung“ brauchte gut 150 Jahre, um von einer darwinistisch
       dominierten Biologie überhaupt in Betracht gezogen zu werden, inzwischen
       vergeht jedoch kaum ein Tag, an dem nicht eine neue Symbiose entdeckt wird.
       Diese Sichtweise auf eine „gegenseitige Hilfe“ in der Tier- und
       Pflanzenwelt hat sich im selben Maße durchgesetzt wie die Frauen in der
       Wissenschaft, man kann die Symbioseforschung deswegen mit einigem Recht als
       eine feministische Wissenschaft bezeichnen.
       
       ## Marx unter Vogelkundlern
       
       Der Physiker Volker Arzt folgt ihr eher widerwillig, einstweilen bleibt er
       noch dabei, den Kapitalismus – unverstanden – in die Natur zu projizieren
       und als „survival of the fittest“ zurückzuspiegeln. Das heißt, er erklärt
       sich und uns die Symbiosen ständig betriebswirtschaftlich, und das ist
       grober Unfug, denn unsere Gesellschaft wird nicht durch Kooperation
       zusammengehalten, sondern durch Warentausch (dazu gehört auch die
       Arbeitskraft), wobei es völlig egal ist, was die daran Beteiligten
       voneinander halten. Wir sind Solipsisten, nur unsere Tauschakte sind
       sozial, was uns aber nicht interessiert: Wir kaufen oder arbeiten auch bei
       den asozialsten Verbrechern – wenn nur der Preis stimmt.
       
       Der Honiganzeiger, der das Wachs von seinen Bakterien vorverdauen lässt und
       wegen dieser Nahrungsvorliebe an Überfällen auf Honigbienenvölker
       interessiert ist, muss dazu mit einem anderen Tier oder einem Menschen
       kooperieren, weil er selbst für den Raub zu schwach ist. Sein Partner kann
       dabei auch eine Ginsterkatze (die allerdings vorwiegend nachtaktiv ist)
       oder ein Honigdachs sein.
       
       Mit ihm bahnt sich die Zusammenarbeit folgendermaßen an: Der Honigdachs,
       der ganz früh von seinen Eltern verlassen wurde, irrt durch den Wald und
       versucht herauszubekommen, wovon er sich fortan ernähren kann und will.
       Weil er ständig scheitert, wird er immer mutloser. Das beobachtet der
       Honiganzeiger. Und wenn er das Gefühl hat, jetzt ist der junge Honigdachs
       in seiner Verzweiflung bereit zur Kooperation, ruft und fliegt er immer
       wieder dicht über dessen Kopf. Ah, denkt der Honigdachs, das ist es also,
       ein Honiganzeiger, das ist meine Beute, von der ich mich ernähren soll.
       Falsch gedacht.
       
       Aber der Vogel gibt nicht auf, schließlich hat der kleine Marder es endlich
       kapiert – und folgt dem Honiganzeiger, der sich immer wieder auf einem
       Zweig niederlässt und ihn zwitschernd aufmuntert, ihm weiter zu folgen. Am
       Baum mit dem Bienennest angekommen, fällt beim Honigdachs endlich der
       Groschen: Honig. Nun geht alles so unkompliziert wie beim Zusammenspiel des
       Honiganzeigers mit den Menschen weiter: Der Honigdachs klettert den Baum
       hoch, wird am Einflugloch ein paarmal in die Nase gestochen (der einzigen
       Stelle, wo es wehtut beim dicht bepelzten Honigdachs), reißt ein großes
       Wabenstück an sich und gibt unten dem Honiganzeiger etwas davon ab. Der
       fliegt damit auf einen Baum und freut sich.
       
       21 Oct 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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