# taz.de -- Steigerung der Eskalation
       
       > Bei den Primo-Levi-Tagen am Primo-Levi-Gymnasium lasen Marion Brasch und
       > Jens Balzer. Gesprochen wurde auch über Hate Speech und Provokation im
       > Pop
       
       Von Annika Glunz
       
       Der italienische Schriftsteller und Chemiker Primo Levi dürfte wohl am
       meisten bekannt sein für sein literarisches Werk als Zeuge und Überlebender
       des Holocaust. Er hat sich neben der Schilderung seiner Zeit im KZ
       Auschwitz auch mit der Scham Überlebender auseinandersetzt. In diesem Jahr
       wäre er hundert Jahre alt geworden.
       
       Den eindringlichen Schilderungen Levis stehen aktuell traurige Tatsachen
       gegenüber: Die Zunahme rechtspopulistischer Tendenzen und mit ihr
       einhergehend eine Verrohung der Sprache (Hate Speech) schlagen sich auch in
       der Popmusik nieder.
       
       Der Autor und Journalist Jens Balzer hat sich in seinem Buch „Pop und
       Populismus: Über Verantwortung in der Musik“ unter anderem mit den Rappern
       Kollegah und Farid Bang auseinandergesetzt, die im vergangenen Jahr für ihr
       Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“, das antisemitische, sexistische und
       homophobe Textpassagen enthält, mit einem Echo ausgezeichnet wurden. Im
       Rahmen der Primo-Levi-Tage am Primo-Levi-Gymnasium brachte Balzer am
       Dienstag voriger Woche Auszüge aus seinem Buch mit Gedanken Levis aus „Die
       Untergebenen und die Geretteten“ zusammen.
       
       Ob Popmusik nicht von jeher schon provozieren wollte, war eine Frage von
       Schülerinnen. „Sicher, aber während Provokation eine Änderung hervorrufen
       will, gibt es beim Hate Speech keinerlei Raum für Entwicklung“, so Balzer.
       Eine weitere Frage bezog sich auf Veränderungen der Sprache im Allgemeinen:
       „Was die Zunahme der Aggression in der alltäglichen Sprache betrifft, hat
       es eine wahnsinnige Eskalationssteigerung gegeben, gerade in den sozialen
       Netzwerken“, stellte Balzer fest, „und gleichzeitig bemerke ich auf der
       anderen Seite auch eine Hypersensibilisierung: Aufseiten der Linken wird
       mehr Energie darauf verwandt, sich gegenseitig zu zerfleischen, als mal
       gemeinsam die Neue Rechte ins Visier zu nehmen.“
       
       Auf die Frage, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass Kollegah und
       Farid Bang einen Echo erhielten, räumte Balzer ein: „Viele meiner
       Kolleg*innen aus dem Journalismus kennen die Namen hegemonialer
       Künstler*innen nicht mehr. Die Kulturkritik hat sich einfach nicht mit
       dieser Art von Musik beschäftigt. Ich erkläre mir das so, dass wir alle
       aufgrund der täglichen Informationsflut selektieren und dabei oft genau das
       nicht sehen, was eigentlich gerade am meisten drängt.“
       
       Marion Brasch, Hörfunkjournalistin und Autorin, las am Dienstagabend
       zunächst Auszüge aus Levis Werk, bevor sie dem Publikum ihren eigenen Roman
       „Ab jetzt ist Ruhe“ vorstellte. In der „Atempause“ schreibt Levi über die
       Zeit nach der Befreiung von Auschwitz, eine Zeit, die für ihn geprägt war
       von einer Odyssee durch die Ukraine und Weißrussland, vor allem aber durch
       Heimweh.
       
       Brasch berichtet im Roman über ihre eigene Familie: „Meine Oma war Jüdin
       und wurde in einem bayerischen Dorf katholisch. Zunächst aus Trotz
       gegenüber den Dorfbewohner*innen, dann mit immer größerer Überzeugung. Mein
       Vater wurde als Kind nach England verschifft. Später kam er in ein
       Internierungslager nach Kanada, wo er dann zum Kommunisten wurde. Meine
       Mutter war Wienerin, die beiden haben sich im Exil kennengelernt. Sie
       folgte meinem Vater, der Parteifunktionär war, immer nach bei seinen
       politischen Plänen und gab dabei Stück für Stück ihren alten Traum,
       Schauspielerin oder Sängerin zu werden, auf.“
       
       Ihre Mutter starb, als Brasch 14 Jahre alt war. Zwei Schülerinnen fragten,
       wie sie den frühen Tod ihrer Mutter verarbeitet habe: „Meine Devise war
       damals einfach: klarkommen. Ich bin kein leidgeprüftes Wesen“, antwortete
       Brasch.
       
       Die Primo-Levi-Tage dauern noch bis zum 21. Januar 2020 an; die nächsten
       Termine sind ein Filmabend zu „Schnee von gestern“ von Yael Reuveny am 28.
       Oktober und ein Zeitzeugengespräch mit Halina Birenbaum am 31. Oktober.
       Weitere Infos unter primo.tage@gmx.de
       
       30 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annika Glunz
       
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