# taz.de -- Gesamtrussischer Ökoprotest: Umweltschützer ohne Zuhörer
       
       > In Russland sind Aktivisten gegen Mülldeponien und Autobahnen auf die
       > Straße gegangen. Doch sie blieben meist ungehört.
       
 (IMG) Bild: Nur Schrott oder auch radioaktiv? Bei Archangelsk wurde kürzlich erhöhte Aktivität gemessen
       
       Moskau taz | Wer den „Hyde Park“ in Moskau sucht, braucht etwas Geduld. Der
       Platz für das freie Wort liegt versteckt in der Tiefe des städtischen
       Sokolniki-Parks. Schilder weisen den Ort erst aus, wenn der Suchende schon
       direkt vor dem umzäunten Freigehege steht. Hinter den Sicherheitsschleusen
       begrüßt ein Polizist die Besucher dann mit einem freundlichen Hallo. Ein
       verstörendes Novum.
       
       Zum „ersten Mal in diesem Jahrhundert“ riefen Bürgerinitiativen zum
       „gesamtrussischen Ökoprotest“ am 22. September auf. Nur Moskau zog den
       Protest um einen Tag vor.
       
       In der russischen „speakers corner“ hatten sich vor allem
       Umweltorganisationen aus dem europäischen Teil des Landes versammelt. Die
       Vertreter der Mülldeponie in Urdoma im Kreis Archangelsk waren zahlreicher
       als andere vertreten. Denn dieses Datum war auch dem einjährigen Kampf
       gegen den Bau der Deponie in Schies bei Urdoma im hohen Norden gewidmet.
       
       300 Demonstranten kamen insgesamt zusammen. Die meisten von ihnen waren
       Vertreter von Umweltinitiativen aus dem Umland Moskaus. Neugierige und
       interessierte Neuzugänge fanden sich kaum unter den Zuhörern, und fast
       jeder Teilnehmer war mit einer eigenen Botschaft erschienen.
       
       ## Frei reden fernab des Zentrums
       
       Hier lässt sich ungehindert frei reden, aber die Warnungen erreichen meist
       nur jene, die ohnehin schon zu den besser Informierten zählen. Das ist auch
       der Grund, warum das Freilaufgehege weitab vom Stadtzentrum Moskaus
       eingerichtet wurde. Wirkung und Reichweite bleiben beschränkt, während die
       Behörden gleichzeitig darauf verweisen können, demokratische Rechte zu
       wahren.
       
       In ganz Russland gingen am Wochenende an 20 Orten Menschen auf die Straße.
       Die Initiatoren versuchen, verschiedene Aktivitäten über Regionen hinaus zu
       vernetzen. Vor allem in den letzten drei Jahren nahmen Bürgerproteste in
       der Provinz deutlich zu. Nur wehrte sich bislang jede Interessengruppe
       gegen Missstände auf eigene Faust.
       
       Sehr engagiert ist der Kreis Archangelsk. Neben der geplanten Mülldeponie
       in Schies war die Region im August noch Ort eines mysteriösen Vorfalls.
       Russlands Atombehörde gab Anfang August bekannt, dass es beim Testlauf
       eines Raketenmotors im Dorf Njonoksa in der Nähe von Sewerodwinsk zu einem
       Unfall mit flüssigem Treibstoff gekommen sei. Später wurde offiziell
       eingeräumt, dass in der Region an der Barentssee erhöhte Radioaktivität
       gemessen wurde. Sieben Menschen starben bei dem Unfall.
       
       Westliche Experten vermuten, dass es beim Testen eines durch eine
       Radionuklidbatterie betriebenen Marschflugkörpers zur Explosion gekommen
       sei. Der Marschflugkörper „Burewestnik“ gilt als neue Wunderwaffe, die
       Präsidenten Wladimir Putin 2018 ankündigte. Das beunruhigt Einwohner im
       Norden. Ärzte fühlen sich an den nuklearen Fallout im AKW Tschernobyl 1986
       erinnert. Auch damals wurden Ärzte nicht über Hintergrund und Ausmaß der
       Katastrophe informiert.
       
       Bei den aktuellen Protesten am stärksten vertreten waren die Gegner von
       Mülldeponien aus dem Umland Moskaus. Dort sind mehrere neue Anlagen
       geplant, die jedoch nur knapp 40 Prozent der giftigen Abfälle verarbeiten
       können, klagen die Aktivisten. Es gebe sicherere Anlagen, die seien den
       Verantwortlichen jedoch zu kostspielig.
       
       Auch Gegner eines großflächigen Ausbaus von Autobahnen rund um die
       Hauptstadt hatten sich unter die Protestierenden gemischt. Das Treffen war
       ein erster Versuch, sich auszutauschen und Gemeinsamkeiten zu entdecken.
       Die Hoffnung der Teilnehmenden ist, künftig enger zusammenzuarbeiten.
       
       22 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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       die Bewegung Mut für weitere Proteste.