# taz.de -- Arbeit in Serie: Die Quereinsteigerin: „Verantwortung ist direkt spürbar“
       
       > Domenika Ahlrichs war stellvertretende Chefin von Zeit Online – und ging
       > als Quereinsteigerin an eine Berliner Grundschule.
       
       Der Arbeitsort Wo genau ihre Schule ist, will Domenika Ahlrichs nicht
       sagen, das hat sie ihrer Schulleiterin versprochen. Nicht ungewöhnlich: Die
       Schulen sind meistens sehr vorsichtig mit dem, was sie in die
       Öffentlichkeit tragen. Eltern vergessen nicht, beziehungsweise ist der Ruf
       erst einmal ruiniert, hält sich dieser sehr hartnäckig. Zudem schaut die
       Bildungsverwaltung, oberste Dienstherrin der Schulleitungen, sehr genau
       darauf, was nach außen dringt. Das ist einerseits sinnvoll, weil es
       insbesondere SchülerInnen schützen kann, mitunter erschwert es aber auch
       eine gewisse Transparenz.
       
       So viel kann Ahlrichs aber sagen: ein Schulgebäude im Osten der Stadt, „ein
       DDR-Gebäude“. Den Klassenraum hat sie „mit Unterstützung des Hausmeisters
       und einem Pott Farbe“ in den Ferien selbst gemalert, „in so einem Beige.
       Nein, Hellgelb, korrigiert sie sich, oder nein, „ein bisschen heller als
       Eierschale.“ Ahlrichs hat seit diesem Schuljahr eine eigene Klasse und hat
       sich deshalb mit „Classroom-Management“ beschäftigt: „Ich habe vor allem
       versucht, da ein wenig Ruhe für die Augen reinzubringen. Gerade in der
       Grundschule hängt ja immer so viel Firlefanz rum.“
       
       Ahlrichs ist ein Fan der Neubau-Schulen, die mit einem neuen Raumkonzept
       daherkommen: „Neulich war ich in so einer. Ich finde es gut, wenn man
       wegkommt von diesem einen Klassenraum, von diesen Kästen, in denen die
       Kinder sitzen und die oft so klein sind, dass man kaum Gruppentische
       zusammenstellen oder eine Leseecke einrichten kann.“ Die alten Schulbauten
       seien für den Frontalunterricht gebaut worden: „Nicht mehr zeitgemäß.“
       
       Die Sozialstruktur der Schule: In der Nähe gab es ein inzwischen
       aufgelöstes Heim für Geflüchtete. Übrig geblieben ist eine
       „Willkommensklasse“ (Deutsch-Lernklasse) für eine Handvoll Kinder. Es gebe
       „schon einige“ Kinder aus ärmeren Familien, das sei aber nicht die
       Mehrheit.
       
       Die Anzahl der QuereinsteigerInnen im Kollegium ist ein Indikator dafür,
       welchen Ruf die Schule hat und als wie schwierig der Kiez drumherum gilt:
       Rund ein Viertel der Neueinstellungen im Sommer, weiß Ahlrichs. Damit liegt
       ihre Schule im Berliner Durchschnitt. 26 Prozent der rund 2.700
       Neueinstellungen im laufenden Schuljahr hatten den Pädagogenberuf nicht
       studiert.
       
       Der Mensch Ahlrichs, 46, zwei Kinder im schulpflichtigen Alter, in
       Norddeutschland aufgewachsen, kommt aus einer Pastoren- und Lehrerfamilie.
       Ihr Mann und dessen Familie sind ebenfalls Lehrer. Sie studierte
       Amerikanistik und Germanistik in Heidelberg, ging zur Lokalzeitung („eine
       Knochenmühle!“), dann auf die Journalistenschule. Sie war stellvertretende
       Chefredakteurin bei Zeit Online und zuletzt bis Anfang 2018
       stellvertretende Chefin bei der inzwischen eingestellten Wired Germany.
       
       Wie alles begann Nach 15 Jahren „mit richtig guter Karriere und viel zu tun
       im Journalismus“ kam für Ahlrichs der persönliche Cut, als Wired in
       Deutschland eingestellt wurde: Die Branche wandele sich, reduziere sich
       „auf einige wenige Qualitätsmedien, und der Rest ackert sich unglaublich ab
       und fasst nicht richtig Fuß beziehungsweise findet kein Geschäftsmodell, um
       den Journalismus zu finanzieren, den man machen will“.
       
       Dinge, in die sie ihr Herzblut gesteckt hatte, sagt Ahlrichs, seien immer
       wieder infrage gestellt worden. Da habe es eine gewisse Ungeduld gegeben,
       „mit Geschäftsmodellen, die vielleicht funktioniert hätten, wenn man sie
       nur nicht ganz so schnell wieder eingestampft hätte“.
       
       Nachdem die deutsche Wired Geschichte war, besann Ahlrichs sich auf ihre
       Studienfächer. Und auf den Gedanken, den sie immer mal wieder gehabt habe –
       nämlich noch mal etwas ganz anderes anzufangen.
       
       Deutsch und Englisch sind an den Berliner Grundschulen Mangelfächer, und
       ein Einstieg ins berufsbegleitende Referendariat ist sofort möglich. Da
       habe sie sich gedacht: Wenn, dann jetzt.
       
       Die Arbeitszeit Früher, als Journalistin, habe sie selbst im Urlaub nicht
       abschalten können. Irgendwer twittert immer irgendwas. „Für meine Familie
       war es krass, dass ich so wenig da war. Und wenn ich da war, war ich immer
       erreichbar. Das gehörte dazu.“
       
       Das sei jetzt anders als Lehrerin, insbesondere in den Ferien. Ein Kollege
       habe mal zu ihr gesagt, das habe sie übrigens auch gleich getwittert:
       „Hallo, hier sind jetzt Betriebsferien, hier machen jetzt alle gar nichts,
       ruh dich mal aus.“
       
       Was sie unterschätzt habe: „Diese komplette Präsenz, die man 45 Minuten
       zeigen muss. Das ist bei Kindern anders als bei Erwachsenen. Da war der an
       sich schon sehr herausfordernde Newsdesk-Job bei Zeit Online noch
       vergleichsweise locker dagegen.“ Diese enorme Verantwortung: „Sie ist viel
       unmittelbarer. Da sind jeden Tag Menschenleben, die mir anvertraut sind.“
       
       Und: Ahlrichs hat kaum Pausen. Zwischen den Stunden bleibt Zeit zum
       Raumwechsel, gleichzeitig ist da oft noch die Aufsichtspflicht, und
       vielleicht ein Kollegengespräch zwischen Tür und Angel. „Das zehrt.“
       Überhaupt, die Zeit: „Es gibt wenig Raum, um miteinander zu sprechen. Jeder
       hetzt so durch den Tag und hofft, dass er oder sie es irgendwie schafft. Es
       gibt kaum Zeit für Konferenzen.“
       
       Anders als im Büro früher könne sie sich morgens nicht erst mal in Ruhe
       einen Überblick verschaffen. Dafür sei sie jetzt vorbereiteter auf
       Situationen, „ich improvisiere weniger. Das war im Journalismus ständig
       nötig, Unterricht klappt aber nur, wenn man gut geplant hat.“ Das
       Irrationale von Kindern: „Neulich ist eine Motte ins Zimmer geflogen und
       die Kinder sind zu den Wandhaken gestürmt, um ihre Jacken zu retten, weil
       sie Angst hatten, die Motte frisst die auf.“
       
       Dass LehrerInnen viel Zeit hätten, sei übrigens ein irriges Klischee:
       Mittags schon nach Hause zu gehen heiße nur, dass man den Arbeitsplatz
       verlagere. Abends den nächsten Tag vorbereiten, am Sonntag den Montag.
       Elternanfragen beantworten. In der Grundschule sei vor allem „die
       Materialschlacht“ heftig: Irgendwas muss immer noch laminiert, kopiert,
       gebastelt werden. Bei Kollegen, die am Gymnasium unterrichten, seien vor
       allem die Korrekturphasen vor dem Abi „der Wahnsinn: Was da in der Kürze
       der Zeit korrigiert werden muss!“
       
       Die Bezahlung 5.300 Euro brutto bekommen BerufsanfängerInnen in der
       Berliner Grundschule – so viel wie nirgends sonst in Deutschland. Eine Zeit
       lang galt das nur für die AbsolventInnen der neuen Studiengänge.
       Altgediente bekamen weniger. Inzwischen hat sich das geändert, wer sich
       entsprechend weiterbildet, bekommt ebenfalls mehr. „Da war schon eine
       Neiddebatte. Natürlich gab es da Frust bei denen, die schon 30 Jahre dabei
       sind und erst mal leer ausgehen sollten.“
       
       Sind LehrerInnen überbezahlt im Vergleich zu ErzieherInnen, die in Berlin
       etwa die Hälfte eines Lehrergehalts bekommen? „LehrerInnen sind nicht
       überbezahlt. Aber ErzieherInnen sind unterbezahlt. Da muss sich etwas
       ändern.“ Aktuell verdient eine ErzieherIn als Berufsanfängerin in Berlin
       rund 2.800 Euro brutto im Monat, wenig mehr als halb so viel wie eine
       LehrerIn.
       
       Das Gewissen „Ich hatte das Gefühl, da ist ein extrem sinnvoller Job, der
       auf mich wartet.“ Das Quereinsteiger-Bashing? „Ich kann’s nicht mehr
       hören“, sagt Ahlrichs. Die KritikerInnen wollten das Ideal: nur gut
       ausgebildete LehrerInnen. Aber die gebe es eben nicht genügend – und also
       solle man sich lieber darauf besinnen, was die Quereinsteigenden zu bieten
       hätten. „Da sind Menschen, die ganz anders im Leben stehen, die andere
       Impulse in die Schulen geben, die bereit sind, sich noch mal voll
       reinzuhängen.“
       
       Ahlrichs findet, es sei sinnvoll, die Anforderungen für das
       berufsbegleitende Referendariat noch mal zu überdenken: „Muss der
       Sportlehrer denn wirklich auch noch Mathe oder Deutsch können?“
       
       Die Einstellungspolitik bei den QuereinsteigerInnen ist ein Spagat zwischen
       so viel wie nötig und so wenig wie möglich: Senkt die Bildungsverwaltung
       die Anforderungen, dürfte das in der Öffentlichkeit nicht gut ankommen.
       Sind die Hürden zu hoch, hat man noch mehr der SeiteneinsteigerInnen, die
       noch nicht mal zum berufsbegleitenden Referendariat zugelassen werden.
       
       Die Wertschätzung Respektieren die SchülerInnen sie? „Ich bin da am Anfang
       recht unbedarft rangegangen. Nach dem Motto: Ich bin nett zu euch, also
       seid ihr nett zu mir.“ Das habe nicht gut funktioniert. „Die Schüler haben
       mir gesagt: Wir mögen Sie ja, Frau Ahlrichs, aber Sie geben uns die
       Gelegenheit, Quatsch zu machen.“ Also machten sie Quatsch. „Als Mensch
       haben sie mich respektiert, als Lehrerin nicht.“ Was geholfen habe: Dinge
       imitieren, die andere vor ihr als Standard gesetzt haben. Die hätten sie
       durchaus nicht immer überzeugt: In einer Klasse habe man ihr gesagt, dass
       sie kooperatives Arbeiten hier vergessen könne. „Hätte ich da in der
       Ausbildung noch andere Methoden kennengelernt, hätte ich da vielleicht
       anders gegenhalten können. Aber so, als Anfängerin, habe ich dann die
       Methode übernommen, die bei der Klasse offensichtlich funktioniert.“
       
       Die Kollegen: „Ich bin im Team akzeptiert“, sagt Ahlrichs.
       
       Die Eltern: Mit denen komme sie klar. Die könnten ganz schön direkt sein.
       Das erinnere sie an ihre Anfänge im Lokaljournalismus: „Da hat man auch
       sehr direkt mit den Leuten zu tun, über die man schreibt.“ Die
       Verantwortung sowohl im Lokaljournalismus wie auch in der Schule, sagt
       Ahlrichs, „ist sehr direkt spürbar.“
       
       Die Perspektive Ahlrichs hat seit diesem Schuljahr eine eigene Klasse, das
       berufsbegleitende Referendariat ist abgeschlossen, die harte erste Zeit des
       Schwimmenlernens, ohne dabei unterzugehen, ist geschafft. „Ich fange jetzt
       so langsam an, darüber nachzudenken: Was kann ich gestalten? Es gibt
       überall einen Mangel an Leuten, an Absprachen und Ideen.“ Zermürbt das
       nicht? Ahlrichs will es positiv sehen: „Im Bereich Medienbildung,
       Digitalisierung – da könnte ich als gelernte Journalistin viel
       weitergeben.“
       
       Aber klar, es sei „schon irre“, was alles nicht möglich sei im System
       Schule. Beispiel Inklusion: „Da haben wir viel drüber diskutiert in den
       Fachseminaren und auf dem Papier ist das ein Super-Konzept.“ Aber die
       Realität sehe dann so aus, dass eine Lehrerin alleine vor der Klasse stehe.
       „Davon müssen wir wegkommen, wir brauchen Teams im Klassenraum.“ Sie habe
       schon in der Ausbildung gewusst, dass das nicht möglich sein werde: Auf
       jeden Schüler eingehen, wenn ich allein vor der Klasse stehe. Aber auch das
       kenne sie ja aus dem Journalismus: „Die Klickzahlen sollen besser werden,
       aber es gibt nicht mehr Personal.“
       
       18 Sep 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Klöpper
       
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