# taz.de -- Umstrittener Fraktionsvorsitzender: Der ambivalente Herr Güngör
       
       > Warum die Wahl Mustafa Güngörs zum Chef der Bremer SPD-Fraktion so
       > problematisch ist, erklärt der exilierte Politologe Çetin Gürer.
       
 (IMG) Bild: Erdogan zu demontieren ist in Deutschland möglich, wie die Feuerwehr Wiesbaden beweist
       
       Schon im April 2015, noch vor den damaligen Bürgerschaftswahlen, hatte der
       jetzt neu zum SPD-Fraktionsvorsitzenden bestimmte Mustafa Güngör gegenüber
       den [1][UETD-Kameras] türkei-stämmige Wähler_innen [2][vor der Gefahr
       gewarnt], dass rechtsextremistische, islamfeindliche und
       menschenverachtende Bewegungen wie die AfD in Europa an Stärke gewinnen. Um
       dieser Gefahr entgegenzuwirken, rief er sie dazu auf, zur Wahlurne zu gehen
       und die Zukunft mitzubestimmen.
       
       Ähnlich drückt er sich bei jeder Gelegenheit aus: „Ich habe Angst vor dem
       Wähler, der sonst vielleicht die CDU gewählt hätte, jetzt aber die AfD. Der
       ganz normale, nicht radikale Familienvater, der das ganze mehrheitsfähig
       macht“, hieß es in einer SPD-internen Vorstellungsrunde im Jahr 2016.
       
       Im Grunde ist es sicher von Vorteil für die bremische Politik, aber vor
       allem für die Bremer SPD, einen Fraktionsvorsitzenden gewählt zu haben, der
       sich ohne Vorbehalt gegen jegliche Form vom Rechtsextremismus
       beziehungsweise menschenverachtenden Ideologien positioniert. Es lässt sich
       allerdings fragen, ob Güngör das tatsächlich tut?
       
       Man findet zum Beispiel keine klare Aussage von Herrn Güngör, durch die er
       sich mit den Menschen solidarisieren würde, die aus staatspolitischen,
       rassistischen oder demokratiefeindlichen Gründen innerhalb der letzten vier
       Jahre aus der Türkei geflohen sind. Man findet keine klare Aussage, durch
       die er die von Erdoğan und seiner Regierungspartei geführte
       Repressionspolitik verurteilen würde.
       
       ## Keine Geste der Solidarität
       
       Gerade, weil er seit Langem [3][bildungspolitischer Sprecher der
       SPD-Fraktion] ist, sollte man von ihm erwarten, dass er sich zumindest
       einmal mit den Wissenschaftler_innen trifft, die infolge der Einschränkung
       und Unterdrückung der akademischen Freiheiten die Türkei verlassen und sich
       in Bremen niedergelassen haben – zum Austausch und als Geste der
       Solidarität. Als einer von jenen Wissenschaftlern habe ich Herrn Güngör
       bislang nirgendwo in Bremen treffen und mich mit ihm austauschen können.
       
       Kann es ein Zufall sein, dass sich die Bahnen eines Kämpfers gegen den
       Rechtsextremismus, wie Herrn Güngör, und den Opfern von Erdoğans
       rechtsextremer Politik in dieser Stadt der kurzen Wege nicht ein einziges
       Mal überschneiden?
       
       Es wirkt eher wie eine bewusste Entscheidung, dass er sich von den neu
       eingewanderten Opfern Erdoğans in Bremen und Deutschland mit großem Abstand
       fernhält, die dessen autokratische Staatspolitik kritisieren, während sich
       die deutsche und bremische Öffentlichkeit, politische Parteien,
       Gewerkschaften, Presse, besonders für die Wissenschaftler_innen und
       Journalisten_innen aus der Türkei interessiert und sie unterstützt. Warum
       traut er sich nicht, seine antirassistische, rechtsextremismuskritische
       Haltung gegenüber Erdoğan und der AKP zum Ausdruck zu bringen?
       
       ## Keine kritische Äußerung
       
       Eine mögliche Antwort auf diese Frage wäre, dass er nicht als Rassismus und
       Staatsrepression wahrnimmt, was in der Türkei besonders den Kurden, den
       Aleviten sowie den syrischen Flüchtlingen angetan wird. Dass die AKP mit
       der ultrarassistischen Partei MHP seit vier Jahren eine Machtkoalition
       bildet und die Demokratie unterhöhlt, gilt wahrscheinlich für ihn nicht als
       eine Gefahr wie die AfD.
       
       Während er die zurecht verurteilt, bleibt ihm scheinbar gleichgültig, dass
       Erdoğan in der Türkei gewählte [4][kurdische Bürgermeister absetzt],
       kurdische Politiker wie den damaligen Co-Vorsitzenden der HDP
       [5][Selahattin Demirtaş] im Widerspruch zum Urteil des
       EU-Menschenrechtsgerichtshofs hinter Gittern hält, Journalisten wie
       [6][Deniz Yücel] ohne Anklageschrift monatelang einsperrt, die
       Unterzeichner_innen der Friedenspetition von den [7][Academics for Peace ]
       einsperrt und feuert …
       
       Trotz all diesen unumstrittenen Fakten ist von diesem Bremer SPD-Politiker
       keine kritische Äußerung, keine reflektierte Haltung, keine
       nachvollziehbare Distanz zu Erdoğan und seinen Sprachrohren in Deutschland
       überliefert. Nicht eine. Aber er verurteilt Rechtsextremismus und
       Rassismus, setzt sich für die Demokratie ein! Wer kann daran glauben?
       
       ## Immer doppeldeutig
       
       Herr Güngör bleibt konsequent doppeldeutig, sodass die entscheidende Frage
       lautet: Fehlt diesem „überzeugten Sozialdemokraten“, die Urteilskraft, das
       Böse und Gute voneinander zu unterscheiden? Oder ist er bloß ein
       pragmatischer Politiker, der nur das eigene persönliche Interesse verfolgt
       und darum auf eine öffentliche Stellungnahme zu kritischen Themen
       verzichtet, weil das seine Karriere gefährden würde?
       
       Es wird in der deutschen Öffentlichkeit und den Medien oft die Frage
       gestellt und diskutiert, [8][warum] die Deutsch-Türken so einen Autokraten
       wie Erdoğan und seine Partei so sehr [9][lieben und unterstützen], obwohl
       sie in Deutschland in der Demokratie leben, sie genießen und von ihr
       Gebrauch machen. Mit dieser Frage ist die türkische Community [10][ständig
       konfrontiert]. Ich denke, es liegt nun in der Verantwortung der Bremer SPD
       [11][diese Frage zu beantworten] und die deutsche Öffentlichkeit
       aufzuklären.
       
       Wie kann es sein, dass Bremens SPD jemanden zum Fraktionsvorsitzenden
       wählt, der jede Gelegenheit auslässt, sich von Erdoğan zu distanzieren,
       obwohl er in Deutschland in der Demokratie lebt? Wenn wir als Bürger diese
       indirekte Unterstützung verstehen, werden wir die möglichen Gründe dafür
       auch begreifen, warum das türkische Regime so viel Unterstützung erhält von
       seinen hier in Deutschland lebenden Bürger_innen.
       
       29 Aug 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Union_Internationaler_Demokraten
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=Rt3bxdtq1l8
 (DIR) [3] https://www.spd-fraktion-bremen.de/abgeordnete/mustafa-guengoer/
 (DIR) [4] https://www.nzz.ch/international/die-tuerkei-setzt-gewaehlte-kurdische-buergermeister-ab-ld.1502758
 (DIR) [5] https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/weltspiegel-tuerkei-demirtas-100.html
 (DIR) [6] /Schwerpunkt-Deniz-Yuecel/!t5388975
 (DIR) [7] https://barisicinakademisyenler.net/English
 (DIR) [8] https://www.tagesspiegel.de/politik/tuerkische-praesidentschaftswahlen-warum-tuerken-in-deutschland-fuer-erdogan-stimmen/22733474.html
 (DIR) [9] https://www.deutschlandfunk.de/tuerkei-wahlen-warum-stimmen-deutschtuerken-fuer-erdogan.1769.de.html?dram%3Aarticle_id=419845
 (DIR) [10] https://www.sueddeutsche.de/politik/praesidentschaftswahl-unter-erdogan-wie-tuerkeistaemmige-in-deutschland-waehlen-1.4022236
 (DIR) [11] https://www.bz-berlin.de/berlin/warum-waehlen-so-viele-deutsch-tuerken-erdogan-frau-ates
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Çetin Gürer
       
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