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       > Als Musikerin und Performerin eine Riesin: Masha Qrella bei Pop-Kultur
       
       Von Kristof Schreuf
       
       In der Mitte der Bühne des Palais der Kulturbrauerei steht eine
       Hollywoodschaukel. Das Requisit dient dazu, zwei augenzwinkernde Hinweise
       zu geben. Einer lautet, dass im Leben eine Zeit kommen mag, in der sich das
       Bedürfnis meldet, sich zurückzulehnen und zu fragen, was bisher passiert
       ist. Der zweite Hinweis lautet, das von Jugendträumen im Erwachsenenalter
       womöglich nicht mehr übrigbleibt als eine Gartensitzbank, die nach der
       berühmten amerikanischen Traumfabrik benannt ist.
       
       Was sich vor Erreichen der Hollywoodschaukel ereignet hat, berichtet Masha
       Qrella bei ihrem Auftritt im Rahmen des Festivals mit dem possierlichen
       Namen „Pop-Kultur“ unter der Überschrift „Wie soll ich dir das
       beschreiben?“ zunächst mit einem Selbstgespräch. Aus dem Off ist ihre
       aufgenommene Stimme zu hören, die biografische Hinweise gibt und Fragen
       stellt.
       
       Die Antworten gibt Qrella live auf der Bühne: „Mit 14 waren wir
       Revolutionäre und mit 16 bereits verstummt.“ Die Gegenwart ist keine
       freundliche Zeit, denn „wir ersticken an der Utopielosigkeit unserer
       Generation“.
       
       Der Grund für die Unterhaltung von Qrella mit Qrella sei, dass sie
       „verstehen“ wolle. Das gelingt ihr an diesem Donnerstagabend mit allem, was
       sie sagt, und ebenso mit jedem ihrer zu Gedichten von Thomas Brasch
       geschriebenen, wunderbaren Songs. Qrella ist als Musikerin und Performerin
       eine Riesin. Es reißt den Zuhörer mit, wie sie sich als Material verwertet.
       Ihr Auftritt hätte allerdings noch mehr begeistert, wenn Qrella weniger
       Wert auf Ortsbezüge legen würde.
       
       Wenn sie zum Beispiel davon spricht, dass sie in einem Hochhaus aufwuchs,
       weckt das bei Wohnungseinwohnern, die nie über den 5. Stock hinausgekommen
       sind, die Neugier, zu erfahren, wie es weiter oben war. Doch wenn Qrella
       dann ergänzt, dass das Gebäude in „Marzahn“ gestanden habe, bleibt offen,
       ob es sich bei der Großwohnsiedlung in dem Berliner Bezirk für sie um einen
       Sehnsuchtsort, ein Horrorszenario oder um beides gehandelt hat. Bei
       Menschen, die in ähnlichen Gegenden gelebt haben, mag die Nennung des
       Ortsteils verstehendes Kopfnicken auslösen. Aber für alle, die ihre
       Kindheit oder Jugend woanders verbrachten, bleibt „Marzahn“ eine unbekannte
       Chiffre.
       
       Dass Masha Qurella diese Chiffre mit ihrer sprachlichen Leichtigkeit und
       erzählerischen Kraft entschlüsseln könnte, beweist schon der „Antrag“, den
       sie mehrfach erwähnt. Solche Anträge zu entwerfen, gehört für KünstlerInnen
       der unterschiedlichsten Disziplinen mittlerweile zum Alltag, wenn sie
       gefördert werden möchten. In Qrellas Text, aus dem sie mehrfach vor dem
       verblüfften Publikum zitiert, findet sich unter anderem ein Satz zu den
       sprachlichen Folgen, welche der Aufenthalt in einer unbekannten Umgebung
       nach sich ziehen kann: „Unsere Wissenslücken sind unser Akzent.“
       
       Ohne Ironie: Das hätte Walter Benjamin nicht pointierter formulieren
       können.
       
       Wenn schon die zu offiziellen Zwecken geschriebenen Texte so viel hergeben,
       dann liefert deren künstlerische Fortsetzung erst recht Anlass, sich zu
       freuen. Noch ist Thomas Brasch der Startblock, von dem Qrella in ihre Kunst
       abspringt. Und im Dezember setzt sie dieses Work in Progress über Brasch
       mit einer Mischung aus Konzert, Performance und Ausstellung und unter der
       Überschrift „Woanders“ im HAU2 fort. Es wäre sehr zu wünschen, wenn Qrellas
       Tour de Force durch ihre Staunen machende Vita danach eine weitere
       Fortsetzung fände. Ein oder mehrere Musikalben kämen dafür ebenso infrage
       wie ein Theaterstück und ein Film. Woanders ist da, wo Masha Qrella es so
       bravourös beschreibt.
       
       kultur
       
       24 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristof Schreuf
       
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