# taz.de -- Umweltaktivisten in der Türkei: Protest gegen Goldminen
       
       > Aktivisten kritisieren den Abbau von Edelmetall nahe dem historischen
       > Troja: 200.000 Bäume wurden schon gefällt und es droht Zyankali im
       > Trinkwasser.
       
 (IMG) Bild: Umweltaktivisten protestieren Anfang August in der türkischen Provinz Çanakkale
       
       „Unglaublich, was hier passiert“, sagt Ülgür Gökhan, der Bürgermeister der
       Provinzhauptstadt Çanakkale. „Für eine Hand voll Gold erlaubt der Staat die
       Zerstörung eines gesamten Ökosystems und gefährdet auch noch die
       Trinkwasserversorgung unserer Stadt. Wir werden uns mit aller Kraft dagegen
       wehren.“ Es geht um eine große Goldmine die im Nordwesten der Türkei in
       Betrieb genommen werden soll. „Seit 2007 kämpfen wir bereits dagegen“,
       erzählt Ülgür Gökhan, „jetzt endlich nimmt das ganze Land Kenntnis von dem
       Skandal, der hier abläuft.“
       
       Seit Ende Juli Umweltaktivisten am Rande des Abbaugebiets eine Mahnwache
       errichtet haben, ist der Protest gegen die Goldmine in der Provinz
       Çanakkale ständig gewachsen. Zu Protesten vor einer Woche kamen mehr als
       zehntausend Personen aus dem ganzen Land zu dem Ort in der Nähe der
       geschützten Kaz-Dağları-Berge. Am kommenden Sonntag ist bereits die nächste
       Demo geplant. Im Moment zelten Tausende Protestierende am Rande des
       Bauzauns.
       
       Für die türkische Umweltbewegung ist die geplante Goldschürfung unweit der
       historischen Stätte von Troja ein Skandal. Satellitenbilder, die Tema, die
       größte Umweltorganisation des Landes, in Auftrag gegeben hatte, haben die
       Menschen aufgeschreckt. Mitten in den großen Wäldern – das gesamte Gebiet
       gilt als wichtigste grüne Lunge des Landes – sieht man eine riesige kahle
       Fläche. Statt offiziell 45.000 sind laut Tema mehr als 200.000 Bäume
       gefällt worden. „Sollen wir unseren Kindern eine Wüste hinterlassen“,
       fragte die Umweltaktivistin Aslin Yildiz empört.
       
       Sie hält ein Transparent mit der Aufschrift „Wasser und Gewissen“ in die
       Höhe, dem Motto der Mahnwachen. Denn neben den Bäumen geht es vor allem um
       das Wasser. Die Kaz Dağları sind ein wichtiger Wasserspeicher. Sie füllen
       ein großes Wasserreservoir, den Atikhisar-Staudamm, der nur 14 Kilometer
       unterhalb des geplanten Goldabbaugebiets liegt. „Außer um den Schutz
       unserer Bäume geht es uns vor allem darum, zu verhindern, dass hier
       Zyankali in unser Wasser gelangt“, sagt Bürgermeister Gökhan. „Und das wird
       unweigerlich passieren, wenn die Goldmine in Betrieb geht.“
       
       Denn das für Menschen und Tiere giftige Zyankali ist das Wundermittel beim
       Goldabbau. Gold wird heute kaum noch in Goldminen unter Tage abgebaut,
       sondern mithilfe einer Zyankalilauge aus Sand und Erde herausgewaschen, in
       der das Gold in Sandkorngröße vorkommt. Das Zyankali verklumpt das Gold,
       sodass es aus den Becken mit Zyankalilauge herausgefischt werden kann.
       Zurück bleibt eine giftige Lauge.
       
       Aufgeschreckt von den Protesten, hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan jüngst
       behauptet, in der fraglichen Mine solle kein Zyankali für den Abbau des
       Goldes verwendet werden. Doch das ist falsch, wie selbst John McClusky, der
       Chef des kanadischen Bergbaukonzerns Alamos Gold, der die Mine betreiben
       will, zugibt. „Wir werden mit dem Zyankali sehr vorsichtig umgehen“, sagte
       er bei einem Auftritt vor türkischen Journalisten in Ankara vor einigen
       Wochen. „Es wird nichts ins Grundwasser gelangen.“ Doch das kann McClusky
       nicht garantieren.
       
       ## AKP-Regierung will nicht einlenken
       
       „Vielleicht für ein paar Jahre“, sagte Ülgür Gökhan der Tageszeitung
       Cumhuriyet, „doch was passiert dann?“ Gökhan und die anderen
       Protestierenden haben noch die Katastrophe in Rumänien vor Augen, bei der
       im Januar 2000 mehrere Flüsse verseucht wurden. Starke Regenfälle spülten
       damals aus angeblich sicheren Rückhaltebecken einer Goldmine 100.000
       Kubikmeter zyankalihaltigen Schlamm in den Fluss Szamos, von dem aus die
       Giftladung über die ungarische Theiß bis in die Donau gelangte. Mehrere
       hundert Tonnen Fische starben, Umweltaktivisten sprachen von der größten
       Katastrophe seit Tschernobyl. „Dasselbe kann hier auch passieren“, sagt
       Gökhan, die Region ist stark erdbebengefährdet, schon ein leichtes Beben
       würde ausreichen, um die Katastrophe herbeizuführen.
       
       Doch die AKP-Regierung will nicht einlenken. Im Gegenteil, unter ihrer
       Führung sind die Bergbaugesetze mehrfach zugunsten der Konzerne geändert
       worden, und das zuständige Ministerium hat nach Informationen von
       Cumhuriyet bereits 29 weitere Abbaulizenzen für die Gegend um die Kaz
       Dağları vergeben. Angeblich, um Arbeitsplätze zu schaffen und das
       Steueraufkommen zu erhöhen. Doch laut Vertrag soll der Staat nur 2 Prozent
       des gewonnenen Goldes bekommen, die Kanadier hoffen auf Milliardengewinne.
       
       Auch mit den Jobs ist es nicht weit her, sagt die Opposition: Vieles werde
       maschinell erledigt. Die größte Oppositionspartei CHP stellt den
       Bürgermeister in Çanakkale, und sie ist auch an der Ägäisküste führend. Der
       Bürgermeister der Ägäis-Metropole Izmir, Tunç Soyer, ebenfalls CHP,
       besuchte das Protestcamp am Wochenende. Auch der prominenteste
       CHP-Politiker Ekrem İmamoğlu, der Sieger von Istanbul, schaltete sich
       bereits in den Konflikt ein.
       
       İmamoğlu traf sich mit dem kanadischen Botschafter Chris Cooter und trug
       ihm seine Bedenken vor. „Ich dachte, der kanadische Premier Justin Trudeau
       will die Welt retten“, schrieb ein enttäuschter Aktivist auf Twitter, „wie
       kann er dann dieses Verbrechen hier zulassen?“ Unter dem Hashtag
       „#KazdaglariHepimizin“ organisiert sich der Protest im Netz.
       
       12 Aug 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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