# taz.de -- Ausgehen und rumstehenvon Annina Bachmeier: Die Seele baumeln lassen am Spreekanal
Wir, F. und ich, sitzen am Freitag auf der Fußgängerbrücke über dem
Spreekanal neben dem Pekinger Platz in Wedding. Wir trinken Bier und lassen
unsere Beine durch die Streben an der Brücke nach unten hängen. Es ist
schon fast Nacht, der Himmel dunkelblau gefärbt, das Wasser unter uns sieht
ölig aus, auf der Brücke gegenüber zischen alle paar Minuten die
beleuchteten Fenster der Ringbahn in der Dunkelheit vorbei.
F. sagt, dass er sich gerade mit einer Frau trifft, die eine
Arbeitskollegin seiner Ex-Freundin ist und dass er nicht so genau weiß, ob
das angemessen ist. Ich sage, solange zwischen ihm und seiner Ex-Freundin
nichts mehr läuft, ist’s wahrscheinlich nicht so schlimm. Er sagt, dass
nichts mehr läuft, er sich aber trotzdem manchmal komisch dabei vorkommt,
wenn er die Arbeitskollegin trifft.
Uns gegenüber setzt sich ein mittelalter Mann, er trägt ein blassgelbes
T-Shirt, hat ein seltsames Band um seinen Kopf geschlungen und spielt
Gitarre. Er beobachtet uns, während wir uns unterhalten, zwischendurch
zupft er hin und wieder ein paar Akkorde. Ich glaube, er möchte in unser
Gespräch mit einbezogen werden. Irgendwann seht er auf und verzieht sich
mit seiner Klampfe wieder in die Dunkelheit. Wir laufen ein Stück den
kleinen Pfad durch die Büsche am Ufer, Menschengrüppchen stehen herum,
Zigaretten glimmen in der Dunkelheit, unter den Laternen spielen zwei
Betrunkene Frisbee. F. erzählt, dass er mit einem Freund ein Start-up für
eine App gründet. Weil sie ihren Finanzplan noch nicht fertig haben, will
er aber noch nicht sagen, worum genau es in der App gehen soll. Dann sagt
er, wenn er viel Geld mit der App verdient, will er mir ein Haus an der
Côte d’Azur kaufen.
Am Samstagnachmittag besuche ich M. in Reinickendorf und fahre mit dem
Fahrrad über den Leopoldplatz. Es riecht nach Autoabgasen vermischt mit
verschiedenen Essensdüften aus den Imbissen und kleinen Restaurants an der
Straße. Es ist schwül-warm, auf dem Platz vor der Alten Nazarethkirche
packen die Verkäufer ihre Flohmarktstände zusammen. Am Nauener Platz biege
ich in die Reinickendorfer Straße, die sich immer gleich aussehend endlos
hinzieht. Auf jeder Straßenseite wechseln sich jeweils die immer gleichen
Supermarktfilialen, Einkaufszentren und Tankstellen ab. M. wohnt in einem
Neubau direkt unter dem Dach. Weil mir ziemlich warm ist, fahre ich mit dem
kleinen Fahrstuhl nach oben. In seine Wände hat, wie es scheint, jedes
Pärchen, das jemals darin nach oben gefahren ist, seine Initialen geritzt.
Ich hoffe, dass er nicht stecken bleibt und mich in seiner stickigen, nur
mit Neonlicht beleuchteten Enge gefangen nimmt.
Bei M. sitzen wir auf dem Fensterbrett, rauchen, trinken Kaffee, blicken
über Reinickendorf und reden über das Buch „A Mushroom at the End of the
World. On the Possibility of Life in Capitalist Ruins“ von Anna Tsing, das
ich mir von M. geliehen habe. Es geht um den Matsutake-Pilz, der vor ein
paar Jahrzehnten begonnen hat, massenweise in industriell zerstörten
Wäldern zu wachsen. Wir stellen uns vor, dass nach dem Aussterben der
Menschheit die Erde zu einem Planeten wird, der von gigantischen Pilzen
überwuchert ist, die sich von Plastik und industriellen Abfällen ernähren.
13 Aug 2019
## AUTOREN
(DIR) Annina Bachmeier
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