# taz.de -- Verrückte Frauen und Flanieren
       
       > Die Lesereihe „Nochnichtmehrdazwischen“ in der Panke Kultur mit Nadire Y.
       > Biskin und Anneke Lubkowitz
       
       Von Annina Bachmeier
       
       Eine Veränderung als Ausgangspunkt ist die Gemeinsamkeit in den Texten
       „Borderline“ von Nadire Y. Biskin und „Alleen und Frauen“ von Anneke
       Lubkowitz, die am vergangenen Freitagabend bei der Lesereihe
       „Nochnichtmehrdazwischen“ im Garten der Panke Kultur hinter dem alten
       Backsteinfabrikgebäude neben dem kleinen Weg am Fluss vorgelesen wurden.
       Alle Stühle sind besetzt mit Menschen, die den Autorinnen aufmerksam
       zuhören, auf manchen Tischen stehen Kerzen.
       
       Als Nadire Biskin aus „Borderline“ liest, lässt sie ihren Protagonisten O
       (O für das geschlechtsneutrale Personalpronomen in der dritten Person
       Singular im Türkischen) vom Afrikanischen Viertel im Wedding bis zur
       Friedrichstraße nach Mitte spazieren. O war schon im Wedding, als sich die
       Deutschen dort noch über die türkischen Bäckereien wunderten und sich
       fragten, warum dort Sesamringe verkauft werden: „Wir haben doch Schrippen.“
       Und O ist jetzt, wo die türkischen Supermärkte von den Bioläden verdrängt
       werden, immer noch dort. Auf seinem Spaziergang ist O ein teilnehmender
       Beobachter, der die Zugezogenen, die sich selbst wie teilnehmende
       Beobachter zu fühlen scheinen, beobachtet. „Er blickt auf Menschen, die
       teilnehmende Beobachter im Wedding sein möchten, die mit Wörtern wie „echt“
       und „ehrlich“ das Wort „arm“ ersetzten.“
       
       ## Ein Schlurfen verschwindet
       
       In der Panke wird es schon etwas dämmrig, während die Autorinnen lesen,
       bleiben auf dem Weg ab und zu Spaziergänger*innen stehen, spähen neugierig
       durch den Zaun und hören ein bisschen zu.
       
       Die Veränderung, um die es im Text von Anneke Lubkowitz geht, ist das
       Verschwinden eines Schlurfens auf dem Dachboden über der Wohnung der
       Autorin, als dort renoviert wird. Das Schlurfen auf dem unbewohnten
       Dachboden hatte sie jahrelang gehört und sich eines Tages entschieden, dass
       dort oben eine Art „Madwoman in the Attic“ wohnt, eine Verrückte auf dem
       Dachboden, wie die Frau aus Charlotte Brontës „Jane Eyre“, die als
       Antagonistin zur viktorianischen Frau als „Engel des Hauses“ gelesen werden
       könne.
       
       Um die Erinnerung an diese verrückte Frau zu ehren, macht sich Anneke
       Lubkowitz in ihrem Text auf den Weg, um im Wedding nach Straßen zu suchen,
       die nach Frauen benannt sind. Zu einer Straße mit einem weiblichen Namen
       gelangt sie allerdings erst nach mehreren Stunden Laufen, als Wedding schon
       längst zu Mitte geworden ist: die Elisabethkirchstraße. Die sei zwar genau
       genommen nicht nach einer Frau, sondern nach einer Kirche benannt, aber
       immerhin trägt die Kirche einen Frauennamen – die Suche kann so schließlich
       zu einem Ende kommen.
       
       Zurück in der Panke bei „Nochnichtmehrdazwischen“ dreht sich das Gespräch
       nach der Lesung um Literatur und Spaziergänge: Rousseau, der angeblich nur
       im Laufen denken konnte, das Flanieren von Schriftstellerinnen als
       politischer Akt, um die Gentrifizierung des Wedding-Sprechs, und ob
       Milieuschutz eine gute Idee ist. Als die Lesung nach gut zwei Stunden zu
       Ende geht, bleibt die Hoffnung übrig, dass die Häuser in Wedding nicht alle
       zu renovierten Hochglanzgebäuden werden und dass die verrückte Frau noch
       immer irgendwo auf einem Dachboden herumschlurft.
       
       „Borderline“ und „Alleen und Frauen“ sind erschienen in dem Buch „Flexen:
       Flâneusen* schreiben Städte“ (Verbrecher Verlag), in dessen Texten
       Autorinnen literarisch durch Städte auf der ganzen Welt spazieren. Die
       Lesereihe „Nochnichtmehrdazwischen“ wird vierteljährlich veranstaltet.
       
       15 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annina Bachmeier
       
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