# taz.de -- Berliner Projekt für Langzeitarbeitslose: Es hätte ihre Chance sein können
       
       > Es klang wie der Hauptgewinn: Eine Weiterbildung mit Jobgarantie. Zehn
       > Monate später ist von den Hoffnungen der Teilnehmer kaum etwas übrig.
       
 (IMG) Bild: Endlich weg vom Jobcenter: Das war das Versprechen
       
       „Eine kurze Rast vor der Altersarmut, davon habe ich geträumt.“ Michael
       Marx ist 62, Akademiker, Musiker, für den die Selbstständigkeit schon lange
       nicht mehr zum Leben reicht. Seit Jahren bekommt er als Aufstocker Hartz
       IV. Er ist der älteste in dem Kurs, der aus Menschen besteht, die fast alle
       schon lange in den Akten der Jobcenter geführt werden, der Einzige, der
       seinen vollen Namen nennen will. Sie sind TeilnehmerInnen einer
       Weiterbildungsmaßnahme für die öffentliche Verwaltung. Marx ist das
       Sprachrohr der rund 20-köpfigen Gruppe. Es sind Alleinerziehende dabei,
       Menschen mit Migrationsgeschichte, alle mit Ausbildung und Berufserfahrung,
       viele über 50. Das Projekt Neos des Personaldienstleisters Alinea war ihre
       große Hoffnung nach vielen Enttäuschungen.
       
       „Werde ein Teil von Neos“ – heißt es auf einem Infoblättchen des vor einem
       Jahr gegründeten Personaldienstleisters verheißungsvoll. In dem
       Modellprojekt sollen demnach vor allem Langzeitarbeitslose für die
       öffentliche Verwaltung qualifiziert werden. Und zwar nicht in der
       landeseigenen Verwaltungsakademie wie sonst üblich, sondern bei
       privatwirtschaftlichen Anbietern. Das Besondere für die TeilnehmerInnen:
       Alinea wirbt mit einer festen Garantie für eine
       sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Anschluss an die
       Weiterbildung.
       
       Mehrere hundert Menschen haben die Maßnahme bislang begonnen, finanziert
       von den Jobcentern. Doch die Euphorie vieler TeilnehmerInnen ist verflogen.
       Die Gruppe um Michael Marx erhebt schwere Vorwürfe: Keine einzige
       Einstellung oder Vermittlung durch Alinea habe es bisher gegeben, die ganze
       Weiterbildung sei wertlos für eine Zukunft in der öffentlichen Verwaltung,
       Millionen Steuermittel würden verschwendet. In einem Schreiben hat sich die
       Gruppe an Arbeitsagentur und Jobcenter gewendet. Und an die taz.
       
       ## Die TeilnehmerInnen
       
       Die Einstellungsgarantie sei ihr Hauptgrund für den Beginn der Maßnahme
       gewesen, erzählen alle TeilnehmerInnen, mit denen die taz gesprochen hat.
       Beate* zum Beispiel, 54, kaufmännische Angestellte, „schon lange
       arbeitslos“: Anfang Dezember wurde ihr das Neos-Projekt vom Jobcenter
       vorgeschlagen, die Einladung zu einer Informationsveranstaltung in den
       Räumen des Jobcenters Friedrichshain-Kreuzberg liegt der taz vor. „Das
       Neos-Modellprojekt ist ein Qualifizierungs -und Arbeitsintegrationsmodell
       für den öffentlichen Verwaltungsbereich und bereitet Sie auf die Arbeit in
       der öffentlichen Verwaltung vor“, heißt es darin vertrauenerweckend. Nach
       einem viertelstündigen Vorstellungsgespräch bekam Beate noch am gleichen
       Tag die Zusage für das Projekt.
       
       Heike, 57, freiberufliche Porzellanmalerin: Einmal noch wollte sie so viel
       Geld verdienen, dass sie vom Jobcenter in Ruhe gelassen wird und ihre
       Krankenkasse selbst bezahlen kann. Als sie im Januar die Zusage für die
       Weiterbildung bekam, hatte sie schon die Erfahrung demütigender und
       unnützer Maßnahmen gemacht, die sie aus Angst vor Sanktionen des Jobcenters
       trotzdem bis zum Ende durchhielt. Da ist Olga, 42, studierte Lehrerin, vor
       18 Jahren eingereist aus einem Nicht-EU-Land. Sie kämpfte lange darum, dass
       ihre Ausbildung in Deutschland anerkannt wird. Erfolglos, für sie gab es
       immer nur Aushilfstätigkeiten. Im September läuft ihr Visum ab, wenn sie
       dann keinen Job hat, droht die Ausweisung. Auch für sie kam mit Neos die
       Riesenchance. Gern würde Olga in der Ausländerbehörde arbeiten, als Mensch
       mit Migrationserfahrung.
       
       Thomas, 56, Handwerker, ist leitender Angestellter gewesen, einer der
       wenigen, die noch Arbeitslosengeld I bekommen, er ist noch nicht lange
       arbeitslos. Wegen psychischer Probleme kann er nicht mehr Vollzeit
       arbeiten, hatte gehofft auf den öffentlichen Dienst, in dem auch auf
       besondere Lebenssituationen Rücksicht genommen werden kann. „Ich bring doch
       was mit, bin flexibel, ich mache auch den Spätdienst, den die Kollegen
       vielleicht nicht machen wollen.“ Oder Bernd, 58, Akademiker, bei einer
       Jobmesse im Januar ist er auf das Projekt aufmerksam worden, „Ich kann in
       meinem Alter doch nicht noch einmal komplett neu anfangen“.
       
       Neos, das hieß eine zeitlich überschaubare Weiterbildung für eine
       qualifizierte Beschäftigung im Anschluss. Das war auch die Hoffnung von
       Michael Marx, der mit seinen 62 Jahren die letzte Chance auf eine reguläre
       Beschäftigung sah.
       
       Bei erfolgreicher Absolvierung der Qualifizierungsmaßnahme wird ihm in der
       Einstellungszusage eine „sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei
       der alinea Personaldienstleistungen GmbH“ zugesichert, „mit dem Ziel, Sie
       als Mitarbeiter an die öffentliche Verwaltung des Landes Berlin zu
       überlassen“. Ein Arbeitsvertrag werde mit Nachweis des erfolgreichen
       Bestehens der Maßnahme geschlossen und solle einen zügigen Übergang in die
       berufliche Tätigkeit gewährleisten. „Ich brauchte ein paar Wochen, um das
       fassen zu können“, sagt Marx und startete wie all die anderen voller
       Hoffnung in die Maßnahme.
       
       Das Projekt 
       
       In einem dieser gesichtslosen Gebäude in Mitte nahe des Spittelmarkts hat
       die Alinea Personaldienstleistungen GmbH ihr Büro. Geschäftsführer Timur
       Baslik, Endzwanziger im blaugestreiften Hemd und Stoffhose, steht zum
       vereinbarten Termin vor der Tür, um den Weg zu weisen. Ein Schild an der
       Fassade hat Alinea nicht. Baslik ist Wirtschaftsingenieur, vor zwei Jahren
       hat er sein Studium an der TU abgeschlossen und wollte immer schon
       Unternehmensgründer sein. Im Mai 2018 hätten er und sein Kompagnon Harun
       Rashid, 34 Jahre alt, die Idee zu Neos gehabt, erzählt Baslik.
       Ausgangspunkt war der eklatante Personalmangel in der öffentlichen
       Verwaltung, seit Jahren spürbar für jeden, der einen Pass oder eine
       Geburtsurkunde beantragen will. Schon lange wird darüber diskutiert, wie
       QuereinsteigerInnen der Zugang erleichtert werden kann. Baslik und Rashid,
       der eigentlich Gesundheitsmanagement studiert hat, hatten sich dafür ein
       zweistufiges Geschäftsmodell überlegt.
       
       Zunächst wollten sie Menschen mit kaufmännischer oder vergleichbarer
       Ausbildung und Berufserfahrung in einer mindestens sechsmonatigen
       Weiterbildung für die Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung
       qualifizieren. Dafür kooperiert Alinea mit vier in Berlin ansässigen
       Anbietern von Weiterbildungen. Zielgruppe sind vor allem
       Langzeitarbeitslose, denn dann werden die Kosten der Weiterbildung über
       sogenannte Bildungsgutscheine von den Jobcentern übernommen. Zwischen 5.500
       und 6.000 Euro zahlen die Jobcenter nach eigenen Angaben pro Teilnehmer an
       die Weiterbildungs-Anbieter. Seit Start des Programms im September 2018
       sind so rund 1,3 Millionen Euro öffentlicher Mittel an die
       privatwirtschaftlichen Weiterbildungs-Anbieter geflossen.
       
       Einer der Bildungspartner ist die Gesellschaft für Personalentwicklung und
       Bildung (GPB), bei der die meisten Neos-Kurse stattfinden und in deren
       Räumen Alinea ihr Büro hat. Ob und in welcher Höhe Alinea, die die
       Weiterbildung mit der Einstellungsgarantie beworben hat,
       Vermittlungsprovisionen von diesen Bildungspartnern erhalten hat, darüber
       will weder der Alinea-Geschäftsführer noch die GPB Auskunft geben: „Über
       den Inhalt der Vereinbarungen mit den Bildungspartnern wurde
       Vertraulichkeit vereinbart.“
       
       Nach erfolgreichem Abschluss der mindestens sechsmonatigen Weiterbildung
       wollte Alinea die Teilnehmer als Leiharbeiter einstellen und an
       kooperierende Behörden überlassen. Stellt sich der Leiharbeiter als
       geeignet heraus, könnte eine unbefristete Anstellung im öffentlichen Dienst
       folgen. „Somit ist Neos ein Gewinn für die Teilnehmer, für die öffentliche
       Verwaltung und letztendlich für alle Bürgerinnen und Bürger Berlins“ –
       Win-win-win nennt Baslik das. Soweit die Idee, die bundesweit einmalig sei.
       170 TeilnehmerInnen hätten sie bislang eine feste Einstellungszusage
       gegeben, so Baslik.
       
       Die Enttäuschung 
       
       Doch kurz bevor die ersten Kurse Mitte März enden, ist klar: Es klappt
       nicht mit der Vermittlung in die öffentliche Verwaltung. Von den 48
       TeilnehmerInnen, die die Weiterbildung bereits beendet haben, konnte kein
       einziger von Alinea eingestellt und dann an Behörden entliehen werden,
       räumt Alinea-Geschäftsführer Timur Baslik ein. „Entgegen unseren
       Erwartungen haben wir noch keine Vereinbarungen mit der öffentlichen
       Verwaltung im Land Berlin erzielen können.“ Seit Ende Februar habe man
       deshalb auch keine Einstellungszusagen mehr gegeben und die Teilnehmer und
       Jobcenter informiert, „dass sich die Zusammenarbeit mit der öffentlichen
       Verwaltung verzögern könnte“.
       
       Seitdem wächst die Verunsicherung, auch der Frust: Die TeilnehmerInnen um
       Marx haben sich beschwert. Erst bei Alinea und dem Träger der
       Weiterbildung. „Wie kann man denn eine Einstellungszusage geben, wenn es
       gar keine Kooperationen gab?“, fragen sie, und wer denn die öffentlichen
       Stellen seien, mit denen Alinea vorgibt, erfolgversprechende Gespräche zu
       führen.
       
       „Wir mussten irgendwo anfangen“, sagt dazu Geschäftsführer Baslik gegenüber
       der taz. Man habe sich dann für den Start der Weiterbildungen entschieden –
       auch ohne feste Zusagen durch die Personalserviceeinheiten bei den
       Bezirken. Sie hätten nicht gedacht, dass die Gespräche so langwierig
       würden, kein Risiko gesehen. Mit etwa der Hälfte der Bezirke sei man
       aktuell in Gesprächen, genauer wolle man nicht werden, das gefährde die
       Verhandlungen. Bisher habe es immer Interesse und noch keine einzige Absage
       gegeben.
       
       Auf eine Nachfrage der taz bei den 12 Bezirken meldeten sich acht der für
       Personal zuständigen Stellen zurück. Davon bestätigten fünf, dass ihnen das
       Projekt bekannt sei, aber nur eine, dass es aktuell Kooperationsgespräche
       gebe. Mehrere Bezirke verwiesen auf ihre eigenen
       QuereinsteigerInnenprogramme und darauf, dass nur auf der Grundlage
       individueller Bewerbungen eingestellt werde.
       
       Auch bei den Jobcentern und der Arbeitsagentur haben die TeilnehmerInnen
       Alarm geschlagen. Man gehe dem nach, hieß es von dort auf Anfrage.
       Ansonsten weisen die Jobcenter, die das Projekt zum Teil aktiv in ihren
       Räumlichkeiten beworben hatten, die Verantwortung von sich. Man finanziere
       nie eine spezielle Maßnahme, sondern stelle nur Gutscheine für ein
       Bildungsziel aus. Der Jobcenter-Kunde entscheide dann selber, bei welchem
       Anbieter er diesen einlöse. Die Weiterbildungen seien allesamt extern
       zertifiziert. Vor dem Hintergrund des Personalmangels würden die Jobcenter
       auch weiterhin Bildungsgutscheine zur Qualifizierung für eine Tätigkeit im
       öffentlichen Dienst ausstellen, so deren Sprecherin. Also für Neos. Jeder
       Langzeitarbeitslose, der eine Maßnahme durchläuft, fällt für diese Zeit
       auch aus der Statistik.
       
       Es rumort in der Gruppe um Marx: Ist Neos am Ende nur eine Masche? „Für uns
       Hartzer ändert sich mal wieder nichts, solange an uns gutes Geld verdient
       wird“, befürchtet Marx.
       
       Die Perspektiven 
       
       Dass weder er noch Rashid Expertise in Sachen öffentliche Verwaltung haben,
       räumt Alinea-Geschäftsführer Baslik ein. Auch, dass er mit dem Wissen von
       heute keine Einstellungszusagen mehr geben würde. „Ich sage nicht, dass wir
       keine Fehler gemacht haben, aber wir haben nach besten Intentionen
       gehandelt“, so Baslik. Er glaube auch weiterhin daran, dass Neos
       funktionieren könne. „Wenn die Bezirke etwas Neues wagen und ihrer
       Verantwortung für den Personalmangel gerecht werden.“ Wenn aber ihre
       Gesprächspartner endgültig absagen, dann sei auch das Projekt Neos zuende.
       „Wir machen nur Gewinne, wenn wir auch Arbeitnehmer entleihen“, so Baslik.
       
       Auf die Frage, ob diese Idee von Alinea, die Entleihung qualifizierter
       ArbeitnehmerInnen in die öffentliche Verwaltung, überhaupt funktionieren
       kann, gibt es keine einfache Antwort. Personalexperten aus der Verwaltung
       sprechen von grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber Leiharbeit. Zwar gab es
       auf Landes- und Bezirksebene immer wieder Zusammenarbeiten mit
       Leiharbeitsfirmen, etwa als beim damaligen Landesamt für Gesundheit und
       Soziales (Lageso) nach dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen Land unter
       war. Tatsächlich ist im Koalitionsvertrag aber als Ziel festgehalten,
       Zeitarbeit in der öffentlichen Verwaltung im Sinne der „guten Arbeit“
       abzubauen. Nur wenige Absätze später steht aber auch, dass man zur
       Erleichterung des Quereinstiegs die Voraussetzungen für einen temporären
       Einsatz Externer in der Verwaltung schaffen werde.
       
       Dass eine externe Weiterbildung die Chancen der Quereinsteiger erhöhe, sei
       denkbar, „wenn die Inhalte und die Qualität vergleichbar ist zu dem, was an
       der Verwaltungsakademie Berlin gelehrt wird“, sagt Christine Müller,
       stellvertretende Leiterin der Akademie, gegenüber der taz. Sie äußert aber
       Zweifel daran, dass dies mit Dozenten, die nicht selbst in der Verwaltung
       arbeiten, möglich sei. Dass es aktuell eine Abstimmung der Inhalte der
       Neos-Weiterbildungen mit der Verwaltungsakademie gebe, wie Baslik im
       Gespräch mit der taz anführt, konnte Müller nicht abschließend bestätigen.
       Es ist Sommerpause und die zuständigen Kollegen sind im Urlaub.
       
       Tatsächlich haben von den 48 Neos-TeilnehmerInnen, die die Weiterbildung
       bereits abgeschlossen haben, immerhin die Hälfte auch ohne das Zutun von
       Alinea einen Job gefunden. Zum Teil auch in der öffentlichen Verwaltung,
       wie die Jobcenter bestätigen. Für die Übrigen heißt es wohl: Zurück in die
       Mühle der Jobcenter.
       
       Bei einem für August angesetzten weiteren Durchgang der Weiterbildung ist
       noch nicht klar, ob er zustande kommt. Seit sie keine Einstellungszusagen
       mehr geben, so Baslik, seien die Bewerbungen für das Projekt Neos
       zurückgegangen. Diejenigen, die eine Zusage haben, könnten natürlich auf
       einer Einstellung bei Alinea bestehen, so Baslik. „Aber wem nützt das, wenn
       wir die Menschen gar nicht beschäftigen können?“
       
       In der Gruppe um Michael Marx schwankt man indes zwischen Frust und dem
       Rest einer einst riesigen Motivation. Die meisten sind Ende August fertig,
       bei einigen läuft die Weiterbildung noch bis Januar. „Ich weiß, es bringt
       nichts, aber ich mache trotzdem weiter“, sagt Olga, der die Ausweisung
       droht. Heike, die Porzellanmalerin, fürchtet: „Ist das nicht
       Lebenszeitverschwendung, gerade für uns, die schon älter sind?“ Auch Bernd,
       der Akademiker, schiebt „den Frust, den wir alle haben“. Aber er hat „noch
       ein bisschen Resthoffnung, dass wir vielleicht etwas anschieben können“.
       Die Jobs seien doch da und sie hätten alle so viel zu bieten.
       
       * Aus Angst vor Sanktionen des Jobcenters haben die TeilnehmerInnen um
       Anonymisierung gebeten
       
       15 Jul 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jobcenter
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