# taz.de -- der rote faden: Den eigenen Mythos befeuern, aber nicht liefern. Genial!
       
       Durch die Woche mit Klaus Raab
       
       Diese Woche haben die Sommerferien angefangen. Nicht in so fabelhaften
       Bundesländern wie Bayern, natürlich nicht. Dort wird traditionell noch mit
       eiserner Hand durchgelehrt, bis die heißen Tage vorbei sind. Aber in so
       Schmuddelregionen wie Berlin ist der Unterrichtsausfall nun offiziell
       vorgesehen.
       
       Das ist schön für die Hauptstadt, und zwar deshalb, weil sie nun mit
       eiserner Hand durchgeleert wird. Die Menschen verschwinden rudelweise in
       den Urlaub. Im Informationsradio laufen morgens nun Verkehrsmeldungen, in
       denen es heißt, es gebe derzeit – wirklich wahr – keinen Stau auf der
       Stadtautobahn, „und auch ansonsten läuft es wegen der Sommerferien recht
       gut“.
       
       Da reiben sich die Berliner verwundert die Ohren: Kein Verkehrschaos wegen
       Sommerferien. Zur Stoßzeit. Man stelle sich nur mal vor, es wären immer
       Sommerferien!
       
       Berlin wäre nicht nur ruhig und grün, es würde irgendwann wahrscheinlich
       anfangen, überhaupt nicht mehr zu existieren. Alle Zugereisten wären
       immerzu weg, auf Verwandtenbesuch. Und das würde bedeuten: null Emissionen.
       Eine klimaneutrale Stadt. Wenn die Grünen, die in Berlin mitregieren, es
       tatsächlich ernst meinen, setzen sie genau hier an: Schulen komplett
       dichtmachen. Und man bedenke zudem, was keine Schulen nicht kosten!
       
       Das Problem ist natürlich, dass dummerweise immer noch Menschen aus anderen
       Regionen in der Ferienzeit nach Berlin kommen wollen. Denn die haben ja
       leider auch irgendwann frei. Sie stehen dann vor U-Bahn-Fahrkartenautomaten
       und schauen sich alles erst mal ganz genau an: „Oh, schau mal, Ingrid, ein
       gelber Drückknopf!“ Oder sie kaufen sich auf der Friedrichstraße einen
       neuen Schlüpfer, machen dann tütenschwenkend ein Selfie vor dem Laden und
       sagen Sätze wie: „Aus Berlin, den zieh ich demnächst mal zum Sport an.“
       
       Der touristische Ruf Berlins ist offensichtlich leider immer noch viel zu
       gut. Selbst im „heute journal“ wurde dieser Tage zum Beispiel die Tür des
       Technoclubs Tresor vorgestellt, weil sie das erste Exponat einer neuen
       Dauerausstellung im Berliner Humboldt Forum sei. Es wurde auch der
       Ausstellungsmacher zitiert: „Was für das Museum für Früh- und Vorgeschichte
       Nofretete ist, das wird diese Tür sein für uns. Ich habe auch das Wort
       ‚Mona Lisa‘ benutzt.“ Die Hauptstadt kriegt eine Mona Lisa – eine alte
       Eisentür, Wahnsinn! Bei solchen Superlativen wird es natürlich schwer,
       Berlin abzuschaffen.
       
       Auf dem Weg zur klimaneutralen Weltmetropole ohne Menschen ist das ein
       Hindernis. Das weiß die Berliner Verwaltung aber selbstredend und steuert
       schon seit Jahren gezielt gegen. Oder warum, glauben Sie, wird zum Beispiel
       dieser Flughafen nicht fertig? „Eröffnungstermin kann nicht gehalten
       werden“, haha, von wegen. Richtig ist, dass man mit dem von Anfang an
       geplanten Nichteröffnungstermin voll im Soll ist.
       
       Dasselbe gilt für das Humboldt Forum. Auch dessen Eröffnung wurde ja
       „leider, leider“ verschoben. In Wahrheit ist das nachhaltige Politik: Man
       kann nicht nach Berlin reisen, um dort nicht die Berliner Mona Lisa zu
       sehen. Den eigenen Mythos befeuern, aber nicht liefern. Genial.
       
       Nun werden Spötter sagen: Wenn in Berlin niemand mehr wäre, wären ja
       trotzdem noch alle da; fürs Klima bringt das also in der Form nichts. Und
       ja, da ist was dran. Hier kommt aber nun Verkehrsminister Andreas Scheuer,
       CSU, ins Spiel. Er hat diese Woche eine nachhaltige Reduktion des
       Individualverkehrsaufkommens angekündigt. Er nennt das nur nicht so, er ist
       ja nicht gaga-grün. Kaum war diese Woche sein superinnovatives Maut-Konzept
       vom Tisch, das den Autobahnverkehr derart verteuert hätte, dass die
       Menschen freiwillig aufs Fahrrad umgestiegen wären, hat er einen neuen
       Masterplan konzipiert: Autofahrer mit ein paar Jahren Erfahrung sollen auch
       Motorrad fahren dürfen. Einige vereinzelte Fahrstunden noch, und dann kann
       es losgehen.
       
       Die Idee wurde – wie das immer so ist in Deutschland – sofort
       schlechtgeredet, weil die Leute das große Ganze nicht sehen. Vom Deutschen
       Verkehrssicherheitsrat hieß es, man sehe „keine hinreichenden Gründe, den
       Zugang zur zweitgefährlichsten Fahrzeugklasse auf deutschen Straßen zu
       lockern“. Und die Bundesanstalt für Straßenwesen wurde vom Spiegel mit der
       Aussage zitiert, es könne davon ausgegangen werden, dass es „zu einer
       Erhöhung der Verunglücktenzahlen insgesamt kommen würde“. Aber die Wahrheit
       ist, dass es doch genau darum geht: die nachhaltige Verringerung der Zahl
       der Verkehrsteilnehmer. Auch hinter dieser Oberfläche steckt also ein
       Masterplan.
       
       Es wird die CSU sicher freuen, dass die taz sie in Sachen strategische
       Genialität mit der Berliner Verwaltung vergleicht. Aber sie hat es
       wirklich verdient.
       
       Nächste Woche Ariane Lemme
       
       22 Jun 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Raab
       
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