# taz.de -- Entscheidung fürs Leben
       
       > „In der Community wird diskutiert, ob es okay ist, wegzuziehen“, sagt
       > Joanna, die in Posen den CSD mitorganisiert hat, auf Veränderungen in
       > Polen hofft – und nun doch nach Berlin gekommen ist
       
 (IMG) Bild: „Der Unterschied zu Polen ist riesig“
       
       Von Hannah Geiger
       
       Ob sie für immer in Deutschland bleiben wird, weiß Joanna* nicht. Sie ist
       28 und vor einem Jahr von der westpolnischen Stadt Posen nach Berlin
       gezogen. Ihre Freundin hatte dort einen neuen Job gefunden.„Ich weiß, dass
       es hier auch homophobe Menschen gibt, und dass Berlin eine Art Insel ist,
       aber trotzdem: der Unterschied zu Polen ist riesig“, sagt sie.
       
       Dabei ist es weniger die direkte Diskriminierung auf der Straße, es sind
       nicht die Beschimpfungen, die Aggression und Gewalt, was Joanna stört, es
       ist vielmehr die subtilere und doch auf eine Art effektivere
       Diskriminierung in Polen auf Gesetzesebene. Die, die in Ämtern ausgeführt
       wird und in der Gesellschaft eingebaut ist wie ein Gerüst, das das
       homophobe Gebäude aufrechterhält. Dass schwule und lesbische Paare in Polen
       zum Beispiel weder heiraten noch eine Lebenspartnerschaft eingehen dürfen
       und somit vor dem Gesetz nicht als Familie gelten.
       
       „Offiziell leben wir als Fremde zusammen; das ist demütigend und
       institutionalisierte Homophobie. Wir bekommen keine Unterstützung vom Staat
       und haben absolut keine Rechte, auch nicht das, eine Familie zu gründen.
       Dabei stellt das für mich ein Grundrecht dar“, beschreibt Joanna die
       Situation.
       
       Und auch Kinderkriegen ist für Lesben in Polen schwierig. Während in
       Deutschland die Stiefkindadoption zwar auch lange dauert, gibt es doch
       zumindest die Möglichkeit, dass die Zweitmutter das von der biologischen
       Mutter ausgetragene Kind adoptiert. In Polen ist das nicht so. „Ich kenne
       zwar Paare, die in Polen Kinder bekommen haben, aber die leben in ständiger
       Angst, weil die biologische Mutter alle Rechte hat und die zweite Mutter
       gar keine. Sollte die biologische Mutter sterben, kommt das Kind in ein
       Heim.“
       
       Ein enormer Druck für Familien und keinerlei Absicherung. Und obwohl dieser
       Zustand dringend verbessert werden müsste, sieht es auf politischer Ebene
       nicht danach aus. Eher im Gegenteil: „Als die rechte PiS-Partei 2015 die
       Parlamentswahl gewonnen hat, wussten alle, dass es die nächsten Jahre nicht
       leicht sein würde für LGBTs“, betont Joanna. Gerade deshalb zögen immer
       mehr junge und queere Menschen aus ihrem Polen weg.
       
       Ein Dilemma, denn je mehr Schwule und Lesben auswandern, desto weniger
       Sichtbarkeit für queere Belange gibt es in Polen. Und die wäre gerade so
       wichtig. Auch Joanna stand deshalb vor einem kleinen Gewissenskonflikt: „In
       der Community wird diskutiert, ob es okay ist, wegzuziehen. Viele, die in
       andere EU-Länder oder beispielsweise nach Kanada gegangen sind, fragen
       sich: Hätten wir lieber bleiben sollen?“
       
       Denn gesellschaftlich verändere sich doch einiges und die Leute begännen
       langsam, toleranter zu werden. Das zeigt auch eine Umfrage, von der in der
       Gazeta Wyborcza im April zu lesen war und die ergab, dass 50 Prozent der
       befragten Pol_innen einer Lebenspartnerschaft und 41 Prozent einer Ehe für
       homosexuelle Paare zustimmten.
       
       Kann man also bleiben und versuchen, die Situation für LGBTs vor Ort zu
       verbessern? Ein nobles Anliegen zwar, aber der Preis ist für viele trotzdem
       zu hoch. „Ich war auch Aktivistin und habe in der Grupa Stonewall die
       jährliche Pride in Posen mitorganisiert, aber irgendwann realisierte ich,
       dass ich die nächsten Jahre kämpfen und trotzdem nie sicher sein kann, ob
       ich heiraten und Kinder kriegen kann“, sagt Joanna. „Wir können alle
       anderen von hier immer noch unterstützen, aber wir wollen unser Leben
       leben. Wir haben uns für diesen Weg entschieden.“
       
       *Joanna will ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen, sie wurde 1990
       geboren und kommt aus Posen.
       
       18 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah Geiger
       
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