# taz.de -- „Es gibt immer noch die Vorstellung, dass hinter der Grenze Wildnis ist“
       
       > Das Klischee des homophoben Polen kennt er – aber die Realität ist
       > komplexer, so Paweł Lewicki
       
       Interview Hannah Geiger
       
       taz: Herr Lewicki, auf die Frage, ob Sie Polen wegen der Homophobie dort
       verlassen haben, haben Sie geantwortet, dass die Frage Stereotype
       reproduziere …
       
       Paweł Lewicki: Ja, aufgrund meiner Arbeit bin ich sehr dafür
       sensibilisiert, welche Bilder man vom „Osten“ zeichnet, nämlich oft das
       eines homophoben, erzkatholischen, „rückständigen“ und „unzivilisierten“
       Ostens. Immer, wenn man den anderen markiert, markiert man auch die eigene
       Position. Wenn ich sage, die Osteuropäer_innen sind intolerant und
       homophob, dann impliziere ich, dass ich tolerant bin. Da muss man
       aufpassen, weil das sehr verallgemeinernd ist. Ich kenne viele Menschen in
       Warschau und anderen Städten in Polen, die ihre Sexualität ganz normal
       ausleben können. Und davon gibt es immer mehr. Das Bild ist also viel
       differenzierter.
       
       Gleichzeitig gibt es krasse Gegenproteste gegen die CSDs in Polen, die von
       Gegnern direkt angegriffen werden. Da fragt man sich, ob Pride-Paraden in
       Deutschland, selbst in kleinen Städten, so massiv angegangen würden. 
       
       Das ist ein großer Unterschied zwischen Deutschland und Polen: Die
       Emotionalität, die das Thema auslöst, ist viel stärker. Aber man muss auch
       bedenken, dass die Kirche in Polen eine sehr große Rolle spielt. Und wir
       hatten sehr lange keine säkulare öffentliche Sphäre. Entweder war der
       Besatzer oder der kommunistische Staat an der Macht. Und keiner davon hat
       Homosexualität zugelassen.
       
       Der Wahlerfolg der PiS hat die Lage noch verschlimmert? 
       
       Das hat tatsächlich viel verändert, wobei das auch kein eindimensionales
       Bild ergibt. Als die PiS an die Macht kam, hat sich die Gewalt zunächst
       gegen vermeintliche Ausländer oder Geflüchtete gerichtet. Jetzt, seit etwas
       mehr als zwei Monaten, auch mehr gegen LGBTIs, weil der Bürgermeister von
       Warschau, Rafał Trzaskowski, von der liberalen Bürgerplattform eine
       LGBT-Charta unterzeichnet hat, die unter anderem mehr Aufklärung an Schulen
       verspricht. Die staatliche Propaganda und PiS-Rhetorik nennt das in ihrer
       Hetze „Frühsexualisierung“ von Kindern und Jugendlichen.
       
       Das ist doch ein Widerspruch. Einerseits wird die Gesellschaft toleranter,
       gleichzeitig wird die PiS gewählt und die Stimmung verändert sich zum
       Negativen … 
       
       Alle Regierungen bis jetzt haben vernachlässigt, dass Polen ein armes Land
       ist. Die Leute auf dem Land leben von ganz wenig Geld. Wenn eine Partei,
       wie es die PiS getan hat, verspricht: Ich gebe euch monatlich 500 Złoty,
       also etwa 120 Euro, Kindergeld, dann werden die Menschen dafür stimmen. Die
       vergangenen Regierungen haben es nicht geschafft, die Leute in der neuen
       kapitalistischen Realität abzuholen und zu unterstützen. Es hieß nur: Wenn
       du es nicht schaffst im Kapitalismus, dann bist du selbst schuld.
       
       Es gibt auch LGBTs, die die PiS gewählt haben, gerade wegen dieser sozialen
       Aspekte? 
       
       Ja. Der Betreiber eines mal sehr berühmten Gay-Clubs in Warschau etwa. Er
       hat damals gesagt, er werde die PiS wählen, quasi zum Trotz, weil die
       vorherige Regierung nie klar Position zu LGBT-Themen bezogen hat. Sie
       wollte die Kirche nicht verärgern, erklärte, es sei noch zu früh dafür,
       oder sie hat diese Themen als Nebenschauplätze abgetan.
       
       Begegnet Ihnen in Berlin oder in Ihrer Arbeit oft anti-polnischer
       Rassismus? 
       
       Als ich neu nach Berlin gekommen bin, habe ich viel abbekommen, zum
       Beispiel blöde Sprüche auf dem Amt. Ich habe aber den Eindruck, dass es
       heute weniger ist. Was mich trotzdem immer wieder stutzig macht: Obwohl wir
       hier nur circa 90 Kilometer von Polen entfernt sind, waren selbst in meinem
       linksliberalen Freundeskreis die allermeisten noch nie in Polen. Die
       Oder-Neiße-Grenze ist anscheinend immer noch eine harte Grenze. So fährt
       ein Bekannter zum Beispiel nach Warschau und sagt: „Oh, das ist so modern
       hier, wie kommt das?“ Dieses Bild steckt tief in den Köpfen. Es gibt immer
       noch die Vorstellung, dass hinter der Grenze Wildnis ist.
       
       18 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah Geiger
       
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