# taz.de -- Kleiner Grenzverkehr mit Hindernissen
       
       > Von Leer nach Groningen: Die Verbindungen zwischen Ostfriesland und den
       > Niederlanden waren immer eng, seit dem Wegfall der Grenzkontrollen kann
       > man sich hier frei bewegen - nur nicht per Bahn, denn die davor
       > vorgesehene Brücke über die Ems ist seit über drei Jahren kaputt
       
 (IMG) Bild: Außer Betrieb: Über die Friesenbrücke bei Weener würde die Zugverbindung von Ostfriesland ins niederländische Groningen führen, wäre die Brücke nicht von einem Schiff der Meyer-Werft zerstört worden
       
       Aus Leer Thomas Schumacher
       
       Das Grenzland zwischen Leer und Groningen hat auf beiden Seiten den
       gleichen Namen: R(h)eiderland – einmal für die Niederlande ohne „h“ und
       einmal für Deutschland mit „h“. Beide R(h)eiderländer waren früher die
       Armenhäuser ihrer Vaterländer.
       
       Der Grund: Das Ende der Welt war von Land her schwer zu erreichen. In den
       deutschen Teil führten wegen der unzugänglichen Moore keine Straßen. Die
       erste Brücke zum nahe liegenden Leer wurde erst 1951 eröffnet, davor gab es
       nur eine kleine Fähre. Die erste Eisenbahnlinie hatte Mitte des 19.
       Jahrhunderts ihren Dienst aufgenommen.
       
       Der Austausch zwischen dem deutschen und niederländischen Teil des
       R(h)eiderlandes dagegen klappte reibungslos. Deutsche Bauern pflegten ihre
       Töchter als Haushaltshilfen nach Nordniederland zu schicken, bei
       Erntearbeiten half man sich gegenseitig. Aus Groningen schwappte die
       Reformation nach Ostfriesland. Bis zur Verleihung der Stadtrechte, 1823,
       hatte Leer keine eigene Verwaltung, das erledigte die Reformierte Gemeinde.
       Sie verwaltete die Steuern und trieb sie auch ein.
       
       Eigentlich gab es nie wirkliche Grenzen zwischen dem ostfriesischen Süden
       und dem niederländischen Norden. Das änderte sich erst mit der
       Nationalisierung der Staaten und fand seinen traurigen Höhpunkt nach dem
       Zweiten Weltkrieg. Nach 1945 war der Grenzübergang Bunde/Nieuweschans einer
       der bestbewachten und -kontrollierten der ganzen Region. So mancher kann
       heute noch ein Lied davon singen, wie herbe und sogar aggressiv die
       Kontrollen waren.
       
       Im Prinzip blieb das so bis zur Öffnung der Grenzen durch die Europäische
       Union 1995. Das hielt die Ostfriesen aber nicht davon ab, heimliche
       Schmugglerwege zu aktivieren. Etwa von Boen aus oder von Charlottenpolder
       schlichen sie sich in die Niederlande und versorgten sich in Bellingwolde
       mit Schokolade, Kaffee und Kakao. Heute gibt es an der freien Grenze
       gelegentlich Kontrollen. Meist möchte die Polizei Cannabisfans abgreifen,
       die sich im ersten Coffeeshop in den Niederlanden, in Winschoten, mit Stoff
       versorgen.
       
       Es ist bequem, von Leer aus mit dem Auto nach Groningen zu fahren.
       Allerdings ist die Fahrt auf der Autobahn recht langweilig. Während in
       Ostfriesland satte Wiesen mit zahlreichen Wiesenvögeln, Kiebitzen und
       Wildgänsen noch etwas Abwechslung bieten, wird es in den Niederlanden auf
       der etwa einstündigen Fahrt öde. Äcker bis zum Horizont. Wer hier typisch
       Niederländisches erwartet, wird schwer enttäuscht.
       
       Auch das erste Dorf in den Niederlanden, Nieuweschans, könnte glatt als
       deutsches durchgehen. Eine Besonderheit jedoch gibt es hier: Das ganze
       R(h)eiderland ist unterhöhlt von Salzkavernen. Die Niederländer nutzen die
       Sole und haben in Nieuweschans ein beliebtes Wellnesszentrum gebaut. Das
       beschert dem kleinen Ort ein wenig Wohlstand.
       
       Zehn Kilometer weiter, im ostfriesischen Jemgum, haben viele Bauern ihre
       Weiden an Energiekonzerne verkauft. Die haben die Sole ins Meer gepumpt
       und die Kavernen als größte deutsche Vorratskammer für Gas genutzt. Jetzt
       jammern manche Bauern, sie hätten kein Weideland mehr und fordern
       Subventionen.
       
       Auf einer Autofahrt nach Groningen lohnt es sehr, von der Autobahn
       abzufahren. Hinter den Äckern verbergen sich wahre Goldstücke: etwa
       herrliche Gulfhöfe, ja ganz typisch, meist ohne Fenstergardinen. Alte
       Villen prangen in schmucken Dörfern in der Gemeinde Bellingwolde. Oder das
       klitzekleine Oudeschans: Die schnuckligen Häuser sind Reste einer alten
       Festung. Die Wehrmauer ist lange abgetragen, aber findige Geschichtsfans
       haben sie mit dem Aufwurf von begrünten Wällen nachgezeichnet. Auf denen
       kann man bummeln und die Zeit vergessen. Appingedam ist mit seiner
       mittelalterlichen Altstadt neben Groningen die schönste Stadt der Region.
       Hier gibt es auch den echten Appelgeback met Schlagroom.
       
       Das einzige, was einen von einer Reise mit dem Auto abschreckt, ist die
       bewusst autofeindliche Politik Groningens. Sie will keine Autos in der
       Innenstadt! Dementsprechend katastrophal ist die Parksituation. Und
       Parksünder werden von den zahlreichen Politessen und Politeuren gnadenlos
       geknechtet.
       
       Angenehm wäre die Anreise von Leer aus mit dem Zug. Aber das ist seit dem
       3. 12. 2015 nicht mehr möglich. Da rauschte ein Transportschiff der
       Papenburger Meyer-Werft gegen die Friesenbrücke bei Weener. Über sie
       verläuft die Bahnlinie Leer-Groningen. Seitdem berät eine Arbeitsgruppe mit
       der Meyer-Werft, was für eine neue Brücke gebaut werden soll. Meyer meldet
       immer mal neue Wünsche an. Auf die Frage, wer die bezahlen soll, schweigt
       Meyer höflich.
       
       Heute ist es möglich, mit dem Bus nach Weener oder Nieuweschans zu fahren
       und dort in den Regionalexpress einzusteigen. In Groningen wird man dann
       absolut belohnt. Viele Touristen begeben sich direkt vom Bahnhof zum Grote
       Markt, dem Herzen der Stadt. Groningen hat ein wenig mehr als 200.000
       Einwohner, davon sind fast 40.000 Student*innen. Groningen ist quirlig,
       jung, kreativ und ein bisschen verrückt. Immer gibt es irgendeinen Event.
       
       Gut bewirtet kann man das bunte Treiben von einem der zahlreichen
       Straßencafés aus beobachten. Es soll Besucher geben, die ihren
       Beobachtungsplatz auf dem Grote Markt gar nicht verlassen. Aber das wäre
       schade, denn Groningen hat so viel zu bieten.
       
       25 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Schumacher
       
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