# taz.de -- Am anderen Ende des Regenbogens
       
       > In Polen hat es die queere Szene aufgrund nationalistischer Politik und
       > der konservativen Gesellschaft nicht leicht. Aber es bricht etwas auf,
       > begleitet von heftigem Gegenprotest – wie beim ersten CSD in Stettin
       
 (IMG) Bild: Massig regenbogenfarbener Zulauf beim ersten Gleichheitsmarsch in Stettin …
       
       Von Hannah Geiger 
       
       Ich liebe jedes Lebewesen“ – gerade sang eine Aktivistin die letzten Zeilen
       eines Liedes auf dem ersten CSD in Stettin, als die Gläser flogen. Das
       berichtet Monika Pacyfka Tichy, die Vorsitzende des LGBT-Vereins Lambda
       Stettin, die die Pride-Parade – oder Gleichheitsmarsch, Marsz Równości, wie
       sie in Polen genannt wird – am 15. September im vergangenen Jahr
       mitorganisiert hatte. Im Außenbereich von The Clipper, einem kleinen
       Straßencafé auf dem Mittelstreifen der Allee Papieza Jana Pawla II –
       benannt nach Papst Johannes Paul II. – hatten sich mehrere Dutzend in
       weißen T-Shirts uniformierte Homo-Gegner versammelt. Als der
       Gleichheitsmarsch vorbeizog, riefen sie „Schwuchteln, verpisst euch“ und
       warfen Biergläser.
       
       Es war die erste bedrohliche Situation, die die Demonstrant_innen an diesem
       Tag erlebten, es blieb nicht die letzte. Denn obwohl die Parade mit rund
       3.000 Teilnehmenden ein großer Erfolg war, fielen die Gegenproteste nicht
       bescheiden aus. „Die aggressivsten, die ich bis zu diesem Zeitpunkt gesehen
       habe“, sagt Monika Pacyfka Tichy. Die junge Frau mit den lila gefärbten
       Haaren und dem Regenbogenanhänger um den Hals hat den LGBT-Verein Lambda
       Stettin, der 1998 gegründet wurde und zehn Jahre bestand, mit einigen
       anderen Aktivist_innen vor rund einem Jahr reaktiviert.
       
       Die Aktivist_innen von Lambda bieten psychologische Beratung für homo- und
       Trans-Kinder und Jugendliche an. Damit stehen sie einzig da in der
       400.000-Einwohner_innen-Stadt Stettin, die mit drei staatlichen
       Universitäten, insgesamt rund 35.000 Studierenden und mehreren privaten
       Hochschulen als Universitätsstadt gilt.
       
       Warum gibt es nicht mehr LGBT-Beratungsangebote an den Universitäten?
       Anfragen dazu an die Universität Stettin und die Technische Universität
       blieben unbeantwortet, einzig die Pommersche Medizinische Universität
       antwortete mit einem formellen Brief: Obwohl es seit 2016 eine Kommission
       gegen Diskriminierung für Studierende gebe, die sich „diskriminiert
       fühlten“, sei bis heute kein Fall von Diskriminierung aufgrund der
       sexuellen Orientierung gemeldet worden.
       
       Dass das eher auf einen Fehler im System als auf das Fehlen von
       Diskriminierung hindeutet, zeigt die hohe Fluktuation in der Stadt. Gerade
       jüngere Menschen und LGBTs suchten oft den Weg nach Deutschland, genauer:
       nach Berlin, um dort freier leben zu können und der Homophobie ihrer
       Heimatstadt zu entgehen, so Monika Pacyfka Tichy. Auch fast das gesamte
       Team des ersten Lambdas sei inzwischen nach Berlin gezogen, erklärt sie.
       
       Denn vieles, was in der deutschen „Regenbogenhauptstadt“ Berlin üblich ist,
       gibt es in Stettin nicht: Diskriminierungsschutz durch Institutionen,
       Beratungsangebote und eine sichtbare queere Szene. „Keine schwulen Männer
       bei Lambda laufen hier Hand in Hand. Wir zeigen in der Öffentlichkeit
       unsere Liebe nicht“, sagt Monika Pacyfka Tichy.
       
       Damit steht Stettin ganz im Einklang mit dem Rest Polens: Ehe für alle und
       selbst Eingetragene Lebenspartnerschaften sind nicht erlaubt, von dem
       Adoptionsrecht sind gleichgeschlechtliche Paare auch ausgeschlossen. Vor
       dem Zugang zu Transitionen, also geschlechtsangleichenden Maßnahmen für
       Trans-Menschen wie Personenstandsänderung, Hormonbehandlung oder
       Operationen, stehen große Hürden: Die Eltern der Betroffenen,so Tichy,
       müssen der Transition vor Gericht zustimmen. Ein enormes Hindernis, denn
       viele Eltern unterstützen ihre Kinder nicht darin.
       
       Beratungsangebote für LGBTs wie die von Lambda wären da eine Möglichkeit zu
       helfen. Dariusz Sadowski aus dem Pressebüro des Stettiner Rathauses
       antwortet auf Nachfrage der taz schriftlich: „Die Stadtverwaltungen haben
       keine festgeschriebenen Pflichten bezüglich bestimmter sozialer Gruppen.
       Dem entsprechend bietet die Stettiner Stadtverwaltung keine
       Unterstützungsangebote nur auf LGBTPersonen bezogen, sondern handelt nach
       der Maßgabe, alle Anwohner_innen zu unterstützen, unabhängig von der
       Gruppe, die sie repräsentieren.“
       
       Eine Antwort, die erkennen lässt, dass der Kern des Problemes nicht erkannt
       wurde oder nicht erkannt werden will, denn natürlich brauchen LGBTs an ihre
       Bedürfnisse angepassten Diskriminierungsschutz. Die Stadtverwaltung will
       ein Bild von Toleranz zeichnen, beschreibt Stettin als „offene Stadt“, in
       der „jeder und jede dieselben Rechte hat und alle gleichberechtigt sind“.
       
       Die zweite bedrohliche Situation auf dem Stettiner Gleichheitsmarsch, vor
       dem Platz Źołnierka Polskiego 21, ergab jedoch ein anderes Bild: Rund 60
       Männer rannten auf die Demo zu und konnten nur von berittener Polizei
       gestoppt werden. Einer der Gegendemonstranten wollte die Regenbogenfahne,
       die an der Touristeninfo auf dem Platz hing, abreißen. Als ein Polizist ihn
       daran hinderte, griff er auch diesen an. Hooligans und Rechtsextreme
       stellten sich der Pride in den Weg. Einige von ihnen gehörten, wie Monika
       Pacyfka Tichy erfuhr, dem Nationalradikalen Lager ONR an. Das sind
       organisierte Rechtsextreme, die mithilfe des nationalistischen Kurses der
       rechten polnischen Regierungspartei PiS einen erheblichen Aufschwung
       erleben. Die gewaltbereit sind und extrem queerfeindlich. Aus diesem Grund
       hatte die Orga-Gruppe für das Pride-Picknick, das zwei Stunden vor der Demo
       stattfinden sollte, sogar eine eigene Security angeheuert.
       
       Eine erfreuliche Entwicklung macht trotzdem Hoffnung für LGBTs in Polen.
       Seit eineinhalb Jahren läuft eine kleine „Regenbogen-Revolution“, wie Tichy
       sie nennt, bestehend aus einer Reihe neuer CSDs. Den Anfang machte Torun im
       Oktober 2017, acht weitere folgten: Tschenstochau, Oppeln, Kattowitz,
       Stettin, Rzeszów, Lublin, Konin und Zielona Góra.
       
       „Viele Leute kamen nach der Pride auf mich zu und sagten, dass es ihnen
       persönlich sehr geholfen hat“, sagt Monika Pacyfka Tichy. „Dass es das
       erste Mal war, dass sie erhobenen Hauptes durch die Straßen der Stadt
       laufen konnten.“ Und so soll es auch weitergehen. Am 14. September 2019
       findet der nächste Gleichheitsmarsch in Stettin statt, und für ihr
       Engagement und das Organisieren der ersten Pride-Parade in Stettin hat
       Lambda vergangenes Jahr auch den 14. „Hecht“-Preis bekommen. Einen Preis,
       der von Journalist_innen und Kulturschaffenden an mutige Akteur_innen und
       Organisationen verliehen wird. Ein Zeichen, dass sich langsam etwas
       ändert.
       
       18 May 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah Geiger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA