# taz.de -- Dossier Flughafen Istanbul: Lange Wartezeiten am Flughafen
       
       > Reisende, die vom Flughafen Istanbul abfliegen, müssen sich auf lange
       > Wege gefasst machen. Bisher gibt es kein Schienennetz zum dezentralen
       > Flughafen.
       
 (IMG) Bild: Bisher fahren nur Busse zum knapp 40 Kilometer vom Stadtzentrum entfernten neuen Flughafen
       
       Der neue Istanbuler Flughafen ist 44 Kilometer entfernt vom Taksim-Platz,
       einem der belebtesten Plätze der Stadt. Die große Distanz zwischen
       Flughafen und Stadtzentrum, die enorme Größe des Flughafengeländes und das
       Fehlen einer Schienennetzanbindung werden den Reisenden und den dort
       Beschäftigten voraussichtlich erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Laut
       einer Studie des Forschungsunternehmens INRIX steht Istanbul an zweiter
       Stelle auf einer Liste der 200 Städte mit dem dichtesten Verkehrsaufkommen.
       Für das Istanbuler Verkehrssystem ist ein dezentraler Flughafen, der nur
       über die Autobahn zu erreichen ist, ein großer Schwachpunkt.
       
       Alper Çay*, der für eine NGO arbeitet, pendelt seit vier Jahren regelmäßig
       zwischen Istanbul und Izmir. „Von meinem Arbeitsort in Zincirlikuyu bin ich
       mit dem Metrobus und der Metro in einer Stunde und 15 Minuten am
       Atatürk-Flughafen“, sagt er. Ein Schienennetz sei für eine Stadt mit einem
       solch großen Verkehrsproblem wie Istanbul unverzichtbar. Unter den
       gegebenen Umständen werde er den neuen Flughafen nicht nutzen. „Es ist
       völlig schleierhaft, wie lange die Fahrt dorthin dauert. Wenn ich mal etwas
       später von der Arbeit wegkomme, wenn mir ein Meeting oder ein Unfall
       dazwischenkommt, verpasse ich meinen Flug“, fürchtet Çay.
       
       Um zum Flughafen zu gelangen, der am 6. April den Vollbetrieb aufnehmen
       wird, können Reisende derzeit die drei öffentlichen Buslinien H-2, H-3 und
       H-4 sowie Busse der privaten Busfirma Havaist nutzen. Die Firma Havaist
       hatte im September 2018, kurz vor der ursprünglich geplanten Eröffnung des
       Flughafens, erklärt, dass sie ab Oktober Busse von 18 Startpunkten aus
       bereitstellen werde. Sobald der Umzug vom Atatürk-Flughafen zum neuen
       Flughafen vollzogen ist, sollen diese neuen Buslinien den Betrieb
       aufnehmen.
       
       Wann die Bahnverbindung zum Flughafen fertiggestellt wird, ist noch unklar.
       Das Ministerium für Transport und Infrastruktur erklärte, die
       Metroverbindung vom Stadtteil Gayrettepe zum neuen Flughafen werde Anfang
       2020 und jene von Halkalı Ende 2020 eröffnet. Da aber auch der
       Eröffnungstermin des Flughafens zunächst vom 29. Oktober 2018 auf den 1.
       Januar und dann wieder auf den 6. April verschoben wurde, bleibt
       abzuwarten, ob das Schienennetz zum genannten Termin bereitsteht. Solange
       der Flughafen vom Stadtzentrum nur über die Autobahn zu erreichen ist,
       werden Reisende, die früher den Atatürk-Flughafen genutzt haben, wohl vom
       Flughafen Sabiha Gökçen aus fliegen.
       
       ## „Hier wurden Milliarden zum Fenster rausgeworfen“
       
       Aber nicht nur die Anbindung ist schlecht. Die gigantische Größe des
       Flughafens führt dazu, dass die Passagiere im Flughafen viel Zeit verlieren
       und Stunden früher vor Ort sein müssen, um ihren Flug zu erreichen. Die
       Gesamtfläche des Flughafens beträgt 76,5 Millionen Quadratmeter, allein das
       Terminal ist 1,3 Millionen Quadratmeter groß. Inlandsreisende können Ankara
       schneller mit dem Zug und Izmir schneller mit dem Bus erreichen.
       
       Die enorme Größe des Flughafengeländes werde die Dauer von Boarding und
       Ankunft stark verzögern, sagt Nesrin Can* von der Marketingabteilung der
       TAV-Holding, dem Flughafenbetreiber des Atatürk-Flughafens. Sie ist der
       Meinung, dass der Verzicht auf eine räumliche Trennung von In- und
       Auslandsflügen bei einem derart großen Flughafen ungünstig ist. Sie
       befürchtet, dass diese neue Ordnung den Ablauf sogar dann erschweren wird,
       wenn ein geringes Flugaufkommen besteht.
       
       Ahmet Kara*, der als Sicherheitsangestellter auf dem neuen Flughafen
       arbeiten wird, hält das neue System, das den Flughafen in drei durch Codes
       kategorisierte Bereiche einteilt, zwar für besser als das alte System. Da
       man den Menschen das System aber noch nicht verständlich erklärt habe,
       rechnet auch er mit Chaos.
       
       ## Dann lieber Sabiha Gökçen
       
       Das Flughafenpersonal, das vom Atatürk-Flughafen zum neuen Flughafen
       umziehen wird, halte generell nicht viel vom Umzug, sagt Kara. „Den
       Atatürk-Flughafen erreichen wir, wenn es sein muss, auch mit öffentlichen
       Verkehrsmitteln. Beim neuen Flughafen wird das nicht so sein. Da bevorzuge
       ich doch den Sabiha-Gökçen-Flughafen.“
       
       Neben der weiten Anfahrt bereite den Angestellten Sorge, dass sie noch
       keine klare Auskunft über die Arbeitsbedingungen am neuen Arbeitsplatz
       bekommen haben. Kara weiß immer noch nicht, wie die Arbeitszeiten auf dem
       neuen Flughafen geregelt werden. Die Firmen geben den Beschäftigten keine
       eindeutigen Antworten auf ihre Fragen, sagt er. Noch sei beispielsweise
       ungeklärt, ob der Arbeitsweg in die Arbeitszeit eingerechnet wird. „Die
       Firmen haben das Recht, Angestellte nach elf Stunden Pause wieder arbeiten
       zu lassen. Aber wir wissen nicht, ob die Anfahrtszeiten in die elf Stunden
       eingeschlossen sind“, sagt er. Was Kara auch beunruhigt: Wie kann auf einem
       derart großen Flughafen für Sicherheit gesorgt werden?
       
       Der Unmut vieler Reisender richtet sich auch gegen die schlechten
       Arbeitsbedingungen beim Flughafenbau. Es ist bekannt, dass hier Bauarbeiter
       gestorben sind und gegen protestierende Arbeiter hart vorgegangen wurde.
       Für Gözde Engin*, die berufsbedingt viel fliegt, wiegt das schlechte
       Gewissen schwerer als die logistischen Fragen. Sie sagt, sie verzichte
       lieber auf einen Flughafen, bei dessen Bau Arbeiter vor allem deshalb
       schlecht behandelt wurden, damit er früh genug fertig ist – und die
       Politiker ihn dann im Wahlkampf präsentieren können. „Dann werde ich eben
       vom Sabiha-Gökçen-Flughafen aus fliegen“, sagt sie.
       
       * Name von der Redaktion geändert. Die Protagonist*innen möchten aus
       Sicherheitsgründen anonym bleiben. 
       
       Aus dem Türkischen von Judith Braselmann-Aslantaş 
       
       Dieser Text ist Teil des multimedialen Dossiers zum Flughafen Istanbul. Mit
       Grafiken, Videos, Reportagen und Interviews beleuchtet taz gazete die
       Folgen des Megaprojekts für Menschen, Umwelt und Wirtschaft. Lesen Sie mehr
       unter [1][taz.de/flughafen-istanbul]
       
       17 Apr 2019
       
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