# taz.de -- Esoterik-Kongress „Welt im Wandel“: Wunder zu verkaufen, nur 195 Euro
       
       > Steinchen gegen schädliche Strahlung, Armreifen zur Harmonisierung der
       > Energiefelder: Eindrücke von einem Kongress in Würzburg.
       
 (IMG) Bild: Kreuz, Ketten und Heilsteine – wogegen das wohl alles helfen soll?
       
       Würzburg taz | Ein Mann steht auf der Bühne, stumm. Er blickt in den Saal,
       mehr als 1.300 Menschen stehen vor ihm. Minutenlang lässt der Mann seinen
       Blick durch die Menge schweifen. Das lockere weiße Hemd bewegt sich nicht,
       blond-graue Haare umrahmen sein Gesicht. Im Scheinwerferlicht verharrt er.
       Dann verlässt er, immer noch wortlos, die Bühne. Manche im Publikum weinen,
       einige liegen sich ergriffen in den Armen. Stille im Saal.
       
       Der Auftritt des selbsternannten Wunderheilers Braco aus Kroatien und sein
       „gebender Blick“ waren der Höhepunkt des ersten Tags des „Welt im
       Wandel“-Kongresses. Braco tourt seit 1995 durch Europa und selbst bis nach
       Hollywood. Im bayerischen Würzburg tagten Mitte April mehr als 1.300
       Interessierte im städtischen Congress Centrum. Im Angebot: Esoterische
       Produkte, Seminare mit vermeintlichen Wunderheiler*innen und Vorträge
       selbsternannter Alternativmediziner*innen.
       
       [1][Spirituell-religiöse Selbstfindung], weltanschaulich angetriebene
       Alternativmedizin und angeblich geheime, vor allem aber
       [2][wissenschaftlich unbewiesene Theorien boomen]. Allein in Deutschland
       setzt die Esoterik-Branche jährlich bis zu 20 Millarden Euro um, wie der
       Trend- und Zukunftsforscher Eike Wenzel schätzt. Bücher, Reisen, Seminare,
       Internetportale, Kongresse, Kleidung, Elektrogeräte, Schmuck: Unzählige
       Firmen bieten eine unerschöpfliche Produktpalette. Auch darum sind exakte
       Umsatzzahlen schwer zu beziffern, zudem gibt es keinen Branchenverband.
       
       Der Kongress in Würzburg zeigt, wie groß die Produktvielfalt ist – und wie
       professionell die Branche aufgestellt ist. Das 2015 umgebaute Congress
       Centrum ist modern, repräsentativ, zentral – die Mietkosten allein für Saal
       und Ausstellungsfläche für das Wochenende liegen bei rund 30.000 Euro. Bei
       den mindestens 1.300 Besucher*innen und einem Ticketpreis von 129 Euro
       belaufen sich die Ticketeinnahmen jedoch auf 167.700 Euro.
       
       ## YouTube-Videos zu „Energievampiren“
       
       Ähnliche Kongresse finden im deutschsprachigen Raum zuhauf statt, einen
       Schwerpunkt stellt aber das Internet dar. Auch „Welt im Wandel“ setzt auf
       YouTube: Dort werden Ratschläge zur Ernährung mit Kräutern gegeben, es wird
       über die „Kraft des Lichts“ gerätselt, aber auch von „Energievampiren“
       berichtet und die Existenz von Ufos behauptet.
       
       In Würzburg sind klare Botschaften zu hören. Wer an Krebs erkrankt ist,
       einem „Selbstmordprogramm, das sozial legitimiert ist“, der müsse einfach
       nur Schwefel gegen die Bakterien im Darm nehmen, so Dr. Karl Probst. Und
       wer in emotionalen Krisen steckt, der habe Traumata seiner früheren Seelen
       und Leben noch nicht aufgearbeitet, behauptet der Filmemacher Clemens Kuby
       in einem Gespräch zu „Reinkarnation“. Die Welt befinde sich im Umbruch,
       eine große und bedeutende Zeit stünde unmittelbar bevor.
       
       Schnellstmöglich sollen die Kongressbesucher*innen unter dem Motto „Sei der
       Wandel“ zum Handeln motiviert werden. Ihre Krankheiten, so der Tenor,
       sollen sie als eine innere Angelegenheit begreifen und diese nun selbst
       lösen.
       
       Die passenden Produkte werden im Foyer verkauft. Eine „Harmonisierung“ der
       „Energiefelder“ gegen vermeintlich schädliche Strahlung ist hier zentral.
       Allerlei Accessoires, etwa Halsketten mit Steinchen, eine kleine
       Sprühflasche mit „Engelselixier“ für 22 Euro oder Papieraufkleber für
       Smartphones gegen deren Funkstrahlung für 19 Euro. Eine mit buntem Muster
       bedruckte Tasse mit „Verjüngungsmatrix“ verspricht den morgendlichen
       Energieschub, für satte 18 Euro.
       
       ## Schutz vor Elektrosmog ab 1.390 Euro
       
       Doch nicht nur Kleinigkeiten werden ausgestellt. Die Firma „Swiss Harmony“
       etwa bietet neben entsprechenden Armreifen für 145 Euro und Ringen für 195
       Euro auch eine „Harmonisierung“ der Schwingungen in Wohnungen und Häusern
       an. Diese solle gegen „Elektrosmog“ schützen und das „körpereigene
       Energiefeld“ gegen Strahlungen stärken. Ab 1.390 Euro ist ein solches
       Angebot möglich, bei Ummantelung der Stromkabel und Wasserrohre steige der
       Preis jedoch, wie Geschäftsführer Neel Neubersch der taz erläutert.
       
       Die ideologische Einbettung erfolgt im Vortragssaal. Alexander Kalenjuk,
       der sich als „talentierten Heiler“ und „Bewusstseinsforscher“ beschreibt,
       referiert mit seiner Kollegin Elena Martin vom „Orania-Zentrum“ bei
       Würzburg über eine „feinstoffliche“, unsichtbare Ebene der Welt und
       sogenannte Proto-Menschen. Deren oktavische, also auf Schwingungen
       basierende Zellstruktur hätte sie zur Nutzung ihres gesamten Gehirns
       befähigt und zu einer besonders hoch entwickelten Form des Menschen
       gemacht. Bis vor 20.000 Jahren die Welt erobert worden sei, die
       Zellstruktur verändert, der Mensch „primitiv“ gemacht und so besondere
       Fähigkeiten wie die Telekinese ausgelöscht worden seien.
       
       „Das ist keine Esoterik“, betont Martin im Gespräch mit der taz, „sondern
       neue Wissenschaft aus Russland.“ Über das Internet verkauft ihr Zentrum
       Reisen, etwa nach Peru, Großbritannien oder Zypern, bei denen das
       „Geheimwissen“ preisgegeben wird. Hier erfährt der Kunde in Trainings, wie
       er sich „für die neue Zeit“ mental aufrüstet und auch, wer denn die Welt
       damals erobert hat. Kosten ohne Flug, Mahlzeiten und Unterbringung für ein
       einwöchiges Seminar auf Zypern: 890 Euro.
       
       „Ich sehe da zunächst mehr Glauben als Wissen“, sag Ottmar Kullmer. Der
       Evolutionsbiologe arbeitet am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt
       am Main und ordnet die vorgetragenen Äußerungen gegenüber der taz als
       unwissenschaftlich ein. Insbesondere die Behauptungen zu Proto-Menschen
       weist er strikt ab. Jegliche naturwissenschaftliche Arbeitsweise, Methodik
       oder Überprüfbarkeit fehle. Ernsthafte Erkenntnisse sollten auch für andere
       Wissenschaftler*innen überprüfbar sein, so Kullmer.
       
       ## „Pseudomedizin, Verschwörungsmystik, Unfug“
       
       „Das ist Hardcore-Esoterik, Spiritismus mit wissenschaftlichem Anstrich“,
       sagt Johannes Fischler zum Kongress. Der Psychologe und Marketingexperte
       veröffentlichte 2013 das Buch „New Cage. Esoterik 2.0. Wie sie die Köpfe
       leert und die Kassen füllt“ und kritisiert esoterische Geschäftsmodelle
       scharf. Beim jüngsten Kongress in Würzburg habe „eine gefährliche Mischung
       aus nur scheinbar Vernünftigem, Pseudomedizin, Verschwörungsmystik und
       barem Unfug“ getagt, sagt Fischler.
       
       Einen Drang zur radikalen Selbstoptimierung sieht er als einen Kern der
       Esoterik, in der eine „Verantwortlichkeitsübertragung an die Leidenden“
       zentral sei. Wer krank oder eben nicht mehr gesund werde, habe schlicht
       nicht gut genug an sich gearbeitet, fasst er zusammen. Entsprechend, auch
       das habe seine Recherche auf zahlreichen Tagungen gezeigt, richten sich die
       Angebote vor allem an zahlungsfähiges Publikum mit Sinnfragen und
       zunehmender Abkehr von religiösen und kirchlichen Institutionen.
       
       Das Ressentiment von Kongressbesucher*innen und Vortragenden gegenüber der
       Schulmedizin ist unüberhörbar. Unter großem Jubel bezeichnet etwa Karl
       Probst, Erfinder der Schwefelkur, die Schulmedizin und Krankenhäuser auf
       der Bühne als „staatlich finanzierte Mordanstalt“. Viele
       Kongressbesucher*innen, wird in Gesprächen vor Ständen deutlich, haben
       leidvolle Krankheitsgeschichten und sind auf der Suche nach Problemlösung
       und Zuwendung. Auf Anfrage der taz betont der Organisator der Tagung,
       Oliver Schil, dass es keine Vorbehalte gegenüber der Schulmedizin gebe. Man
       appelliere jedoch an die „Eigenverantwortung und ein Bewusstsein für
       Gesundheit“ und forciere die „Ganzheitsmedizin“, so Schil.
       
       „Es besteht natürlich Meinungsfreiheit, und Verbote machen utopische
       Phantasmen meist nur noch interessanter“, sagt Psychologe Fischler. Dennoch
       sollten bei der Raumvermietung an manche esoterische Veranstalter*innen
       auch die Gefahren für Gesundheit und Leben durch diverse Angebote bedacht
       werden, so der Kritiker. Auf Anfrage der taz teilt die Stadt Würzburg mit,
       dass das Congress Centrum als öffentliches Gebäude prinzipiell von jedem
       gemietet werden kann. Bedingung sei lediglich, dass keine „unseriösen und
       unlauteren“ Angebote gemacht würden und sich an „Recht und Gesetz“ gehalten
       werde. Im September steht auch bereits das nächste „Welt im Wandel“-Event
       an. Dann in Leipzig.
       
       26 Apr 2019
       
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