# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Auf der Suche nach dem Fokus
       
       > Die große Aufmerksamkeitsspanne könnte ein schönes Leben haben, wäre ihr
       > nicht ihr Fokus verlorengegangen. Die Erzählung einer Suche.
       
 (IMG) Bild: Unsichtbar, aber doch da: der Fokus
       
       Die große Aufmerksamkeitsspanne hat eigentlich ein schönes Leben. Sie ist
       sehr diszipliniert, liest viel, lernt einiges und erlebt so immer wieder
       Neues. Doch heute ist die große Aufmerksamkeitsspanne ganz unglücklich,
       denn sie hat ihren Fokus verloren. Sie hat nur einmal aus dem Fenster
       geschaut und dann war ihr Fokus einfach weg.
       
       Drei Arbeitskollegen versuchen sie aufzumuntern: „Du kannst ja gar nichts
       dafür“, sagen sie, „das Internet ist schuld.“ „Das Internet?“, fragt die
       große Aufmerksamkeitsspanne verwundert. „Was hat das Internet mit meinem
       Fokus zu tun?“ Die Arbeitskollegen antworteten: „Diese digitale Welt ist so
       schnell und unübersichtlich“, sagt der erste, „da hat sich dein Fokus
       sicher verloren.“
       
       [1][„Das Internet macht süchtig“], sagt der zweite, „vielleicht ist der
       Fokus krank danach geworden.“ Der dritte räuspert sich. „Ich will dir keine
       Angst machen“, flüstert der Freund, „aber du hast doch sicher schon von dem
       [2][Informationsüberfluss im Internet] gehört. Vielleicht hat die Flut
       deinen Fokus weggeschwemmt.“
       
       Die große Aufmerksamkeit bekommt Panik und begibt sich auf die Suche ins
       Internet. Die großen Suchmaschinen bringen sie nicht weiter, sondern
       schlagen ihr immer wieder nur den Focus vor. Sie lädt eine
       To-do-Organisations-App herunter, um die Orte zu sortieren, an denen sie
       suchen muss. Aber besonders effektiv ist das nicht, sie ist mehr mit dem
       Sortieren in der App, als mit der Suche selbst beschäftigt.
       
       ## Alles Ablenkung, nichts hilft
       
       Auch die Meditationsapp, die verspricht, den Fokus zu finden, kann der
       großen Aufmerksamkeitsspanne nicht weiterhelfen. Denn die gut gemeinten
       Tipps, die ihre Arbeitskollegen ihr ständig im Gruppenchat schicken, lenken
       sie von ihrer inneren Reise zum Fokus ab.
       
       Als Nächstes versucht die große Aufmerksamkeitsspanne nur noch nachts zu
       arbeiten, wenn die Timelines in den sozialen Netzwerken schlafen. Mit
       weniger Bewegung im Netz findet sie vielleicht ihren Fokus. Doch der großen
       Aufmerksamkeitsspanne fallen nur selbst die Augen zu. Also gibt sie die
       Suche auf. „Vielleicht hatten meine Arbeitskollegen Recht“, denkt sie, „das
       Internet ist so groß und schnell und gefährlich, dort werde ich meinen
       Fokus niemals wiederfinden.“ Also geht die große Aufmerksamkeitsspanne raus
       in den Park und traut ihren Augen kaum. Auf der Bank liegt ihr Fokus in der
       Frühlingssonne.
       
       Als die große Aufmerksamkeitsspanne ihren Arbeitskollegen davon berichtet,
       mahnen sie: „Du solltest deinen Fokus nun besser trainieren“, schreibt der
       erste, „er muss jetzt etwas reißen.“ „Du solltest dem Fokus beibringen,
       sich richtig zu setzen“, sagt der zweite, „ihr müsst etwas erreichen.“ „Du
       musst den Fokus zwingen, sich zu steigern“, rät der dritte, „es geht um
       eure gemeinsame Leistung.“ Doch die große Aufmerksamkeitsspanne denkt nicht
       dran, jetzt weiterzuarbeiten. Sie kauft zwei Kugeln Zitroneneis und legt
       ihren Fokus auf den schönen Frühlingstag.
       
       20 Apr 2019
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bednarczyk
       
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