# taz.de -- Kurdische Künstlerin aus Haft entlassen: Malen mit Menstruationsblut
       
       > Zehra Doğan malte die kurdische Stadt Nusaybin im Belagerungszustand und
       > musste deshalb ins Gefängnis. Ihr Fall wurde international bekannt.
       
 (IMG) Bild: Zehra Doğan kam am 24. Februar nach zwei Jahren Haft frei
       
       Nach zwei Jahren im Gefängnis sitzt Zehra Doğan an einem kalten Wintertag
       Ende Februar in einem Café im Istanbuler Viertel Beyoğlu und erzählt mit
       glänzenden Augen. Unter der Lippe trägt sie ein Tattoo mit regionalen
       Motiven, wie man es bei älteren kurdischen Frauen häufiger sieht. Sie ist
       eine Frau, die an ihren Wurzeln festhält und diese der ganzen Welt zeigen
       will.
       
       Als Journalistin gehörte Doğan zu den Gründerinnen von Jinha, der weltweit
       ersten Nachrichtenagentur, die ausschließlich von Frauen betrieben und
       inzwischen verboten wurde. Zugleich ist sie Malerin, deren Werke in der
       ganzen Welt ausgestellt werden.
       
       Als das türkische Militär und kurdische Milizen sich in der kurdischen
       Stadt Nusaybin 2016 heftige Gefechte lieferten, „malte“ Doğan auf ihrem
       Mobiltelefon, weil Fotos verboten waren. Sie postete die Bilder in den
       sozialen Medien. Im Internet entdeckte sie ein Foto, auf dem die türkischen
       Sicherheitskräfte sich selbst inmitten der Ruinen der Stadt mit türkischen
       Fahnen inszenierten. Diese Szene malte sie nach.
       
       Auch wegen dieses Wasserfarben-Bildes wurde Doğan am 23. Juli 2016
       inhaftiert. Später wurde sie zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, elf
       Monaten und 22 Tagen verurteilt, weil ihre Bilder und Postings von einem
       Gericht als „Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ gewertet
       wurden.
       
       ## Verurteilt wegen „Terrorpropaganda“
       
       Als sie verurteilt wurde, sagte Doğan: „Ich male nur das, was ihr tut. Ich
       halte euch einen Spiegel vor.“ Sie kam ins Gefängnis von Mersin. Nach dem
       Putschversuch vom 15. Juli 2016 platzten die Haftanstalten in der Türkei
       bald aus allen Nähten. Für das geschlossene Frauengefängnis Tarsus in
       Mersin bedeutete das konkret: Als die Tür zu der Zelle für 18 Personen
       aufging, begegnete Doğan 50 Frauen, einige hatten ihre Kinder dabei.
       
       „Ich war völlig überrascht und wusste gar nicht, was ich tun soll“, sagt
       Doğan als sie von dem Moment berichtet, in dem sich die Eisentür vor ihr
       öffnete. Mit der Zeit verwandelte sich die Gefängniszelle für sie als
       Malerin in ein Atelier und als Journalistin in einen Ort der Beobachtung.
       Zunächst gab es Probleme mit der Anstaltsleitung, erzählt sie, weil man ihr
       kein Malwerkzeug geben wollte. Nach einer Weile habe sie resigniert. Doch
       dann hätten sich ihre Mitgefangenen für sie eingesetzt. Sie habe viel
       gelernt von ihren Mitgefangenen, erzählt sie: „Schweig nicht, hör nicht
       auf, auf deiner Forderung zu bestehen!“ Doğan hat darauf gehört. Und sie
       machte Kunst auch ohne den üblichen Künstlerinnenbedarf.
       
       Zehra benutzte im Gefängnis Zeitungspapier, Stofffetzen oder auch
       Unterwäsche als Leinwand. Bekam sie keine Farben, stellte sie selbst welche
       her: Grün aus Salat-Blättern, Rot aus dem Menstruationsblut der gefangenen
       Frauen. „Ich habe in der Haft über 300 Bilder gemalt“, sagt Doğan.
       
       ## Kontakt zur Außenwelt
       
       Die meisten Bilder konnte sie nach draußen schaffen. Sie wanderten in den
       Metropolen der Welt von Ausstellung zu Ausstellung. Selbst der berühmte
       Streetart-Künstler Banksy wurde auf Zehra aufmerksam. Wer sich hinter
       Banksy verbirgt, weiß man nicht, doch Banksy weiß, wer Zehra Doğan ist. In
       New York malte er sie an eine Wand.
       
       Die Welt lernte Doğan durch ihre Bilder kennen, die im Gefängnis geborene
       kleine Ayşe hingegen lernte die Welt mit den Bildern von Doğan kennen.
       Ayşes Mutter muss noch zwei Jahre absitzen. Mit ihren vier Jahren hat Ayşe
       nie etwas anderes gesehen als die Zelle und den Hof, doch unermüdlich
       fragte sie Doğan nach der Welt. Was ist ein Baum, eine Blume, was ist Gras,
       das Meer? Worte reichten nicht, um Ayşe ein Bild von der Natur zu geben,
       die sie noch nie gesehen hatte. Also malte Doğan das alles für sie. Als
       sich Ende Februar alle über Doğans Freilassung freuten, war Ayşe vermutlich
       traurig darüber.
       
       Wie an der Malerei hielt Doğan auch an ihrem Journalistinnenberuf fest. Als
       die Zeitung Özgür Gündem, die nach dem Putschversuch per Dekret verboten
       wurde, nicht mehr in die Zelle kam, fertigten die Frauen in der Zelle
       selbst eine Zeitung an. Doğan nahm Papier und Stift in die Hand und
       arbeitete an dem Layout. Sie legte fest, wo die Texte stehen und wohin die
       Bilder kommen sollten, die sie anstelle von Fotos malen wollte. Ein Name
       für das Blatt musste her, und eine Redaktion. Dafür kamen Frauen zusammen,
       die gut schreiben konnten.
       
       Ihre Zeitung nannten sie Özgür Gündem Zindan („Freie Tagesordnung der
       Zelle“). Es wurden Redaktionssitzungen abgehalten, Themen und Texte
       diskutiert. Auf den acht Seiten standen Interviews mit Frauen und Berichte
       über Rechtsverletzungen in Polizeigewahrsam und im Gefängnis. Die Frauen
       schrieben aber auch über Mal- und Lauten-Kurse im Gefängnis. Die 50 Frauen
       schleusten die Zeitung nach draußen. Sie glich mehr einem Kunstwerk als
       einer Zeitung und wurde mit Doğans Bildern im Ausland ausgestellt.
       
       ## Die Freiheit fühlt sich komisch an
       
       Als bekannt geworden war, dass die Zeitung ausgestellt wird, durchsuchten
       Vollzugsbeamtinnen die Zellen. Sie fanden aber nichts. Was haben sie
       gesucht? Zehra Doğan lacht, als sie berichtet, wie die Zelle nach einer
       Druckermaschine durchsucht wurde. Die Anstaltsleitung grübelte, wie es sein
       konnte, dass eine Druckermaschine in eine Zelle gelangt war, in der nicht
       einmal Malutensilien wie Pinsel und Farben erlaubt waren.
       
       Die Zeit im Gefängnis ist nun vorüber, seit dem 24. Februar ist Doğan
       wieder frei. „Ich bin seit ein paar Tagen draußen“, sagt Doğan, „aber es
       fühlt sich komisch an.“ Wenn sie von den Frauen in der Zelle erzählt,
       klingt ihre Stimme sehnsüchtig. Doğan hat ihnen viel zu verdanken. Und sie
       hat große Pläne für die Zukunft. In der Türkei sitzen nach wie vor mehr als
       130 Journalist*innen hinter Gittern. Doğan fühlt sich gegenüber jenen
       verpflichtet, die nach ihrer Entlassung weiter als Journalist*innen
       arbeiten: „Wären die nicht weiter in ihrem Beruf tätig gewesen, hätte
       niemand von mir und den anderen gefangenen Frauen erfahren!“
       
       Mit Gemälden und Texten will Doğan der Türkei einen Spiegel vorhalten, will
       die Probleme und Sorgen der Frauen in der Türkei abbilden. Sie sagt, sie
       wird weiter Bilder von der Sorte malen, mit der ihre Haft in der ganzen
       Welt bekannt wurde. Ihr Buch mit Geschichten von den Frauen im Gefängnis
       und mit Bildern, die sie zu diesen Geschichten gemalt hat, ist schon fast
       fertig.
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
       
       5 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tunca Öğreten
       
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