# taz.de -- Erfahrungsmuster USA und Europa
       
       > Wie kommen die Bilder in den Speicher der Erinnerung und wer führt hier
       > Regie? Diese Fragen verfolgt Arnold Dreyblatt, Videokünstler mit einer
       > Vergangenheit in der Minimal Music, der jetzt im n.b.k. -Showroom
       > ausstellt
       
 (IMG) Bild: Arnold Dreyblatt, „The Resting State“, Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein 2019
       
       Von Michael Freerix
       
       Seit dem Beginn seiner künstlerischen Laufbahn beschäftigt sich der
       US-Amerikaner Arnold Dreyblatt, geboren 1952, mit Themen wie Identität und
       Gedächtnis. Als Kind osteuropäischer Migranten spielen diese Begriffe für
       Dreyblatt seit seiner Jugend eine große Rolle. In seiner neuen Arbeit, „The
       Resting State“, nun taucht er tiefer ein in den Moment, der die
       wahrgenommenen Bilder zu Erinnerungsmomenten verdichtet und abspeichert.
       Und sie den bereits gespeicherten zuordnet. Damit verwandelt er den
       Showroom der n.b.k. in eine Bewusstwerdungszelle.
       
       Begonnen hat die künstlerische Existenz von Arnold Dreyblatt Anfang der
       siebziger Jahre mit intensiven musikalischen Studien. Er wurde Student von
       Avantgardekomponisten wie Pauline Oliveros, Alvin Lucier und insbesondere
       LaMonte Young. Wie deren Werk ist seine eigene Musik seit dieser Zeit unter
       dem Begriff Minimal Music einzuordnen, auch wenn sich Dreyblatt ganz
       besonders mit der Wirkung von Obertönen auf unsere Wahrnehmung beschäftigt.
       Seit seiner Erstveröffentlichung, „Nodal Excitation“, im Jahr 1982 hat
       seine Musik etwas Traumhaft-Rauschhaftes, in das sich der Hörer versenken
       kann, um sein eigenes Sinneskostüm neu zu erfahren.
       
       ## Im Umkreis von„The Kitchen“
       
       Mitte der siebziger Jahre ließ sich Dreyblatt in New York nieder, wo das
       Videokünstlerpaar Steina und Woody Vasulka „The Kitchen“ etabliert hatte,
       einen Präsentationsort für Videokunst, der schnell zu einem Raum für
       jegliche zeitgemäße Avantgarde mutiert war. Als Dreyblatt dazustieß, gingen
       hier Komponisten wie Phillip Glass oder Steve Reich ein und aus, oder die
       junge Laurie Anderson zeigte, neben zahllosen anderen Künstlern, ihre
       frühen Arbeiten. Gleichzeitig gab es bahnbrechende Ausstellungen mit
       Videokünstlern wie Joan Jonas, Nancy Holt oder Bill Viola. Für Dreyblatt
       wurde „The Kitchen“ „zu einer Art Wohnzimmer“ und er enger Vertrauter des
       Künstlerpaares.
       
       Die Vasulkas brachten ihn dann auch mit dem damals recht neuen Medium Video
       in Berührung. Dreyblatt faszinierte insbesondere, dass das weiße – wie auch
       das schwarze – Bild auf dem Videoband zwei unterschiedliche Arten von
       Rauschen im Fernseher hervorrief. Dreyblatt stellte daraufhin einige Videos
       her, die sich mit diesem Klangphänomen beschäftigten – und wurde zu einem
       Bildhauer, der mit den unterschiedlichsten Kombinationsebenen von Bildern
       und Tönen arbeitete.
       
       1984 kam Dreyblatt nach Berlin und blieb. Dieser Schritt brachte ihn näher
       an seine eigenen familiären Wurzeln. Themenblöcke wie Identität und
       Erinnerung traten nun stärker in das Zentrum seiner künstlerischen Arbeit,
       eben weil er sich im Land der Täter niederließ. Sein Erfahrungsprozess aus
       dieser Beschäftigung mit der eigenen Herkunft kulminierte in der Arbeit „My
       Baggage“, die 2011 im Rahmen der Ausstellung Heimatkunde im Jüdischen
       Museum Berlin zu sehen war.
       
       Neben dieser Collage aus Erinnertem und Überliefertem tritt nun seine neue
       Arbeit. Dreyblatt geht es im Showroom des n.b.k. um den kurzen Moment des
       Einsortierens, den unser Gehirn vornimmt, nachdem ein Moment erlebt worden
       ist. Wie viele Neurologen stellt er sich die Frage, was genau und warum ein
       Moment in die Erinnerung einsortiert wird und wie solche Erinnerungsmomente
       wesentlich für unsere eigenen Zukunftsentscheidungen und für unser
       zukünftiges Sein sind. Dieser Prozess ist kaum zu erklären, begleitet uns
       aber ununterbrochen und verlischt erst mit dem Tod.
       
       Dreyblatt reflektiert in dieser Arbeit auch sein eigenes Älterwerden. Er
       blickt auf seine eigene Reise zurück im Hinblick darauf, wie sich Identität
       bildet, Bei ihm durch das Erfahrungsmuster, 32 Jahre in den USA gelebt zu
       haben im Verhältnis zu 35 Jahren in Europa. Was genau sind nun die eigenen,
       selber erlebten Erinnerungen, und was sind nur Erzählungen anderer, die wir
       in unsere Erinnerungsarchitektur eingebaut haben? Dreyblatt will dieses
       kleine Staniolpapier, das zwischen den gespeicherten und ungespeicherten
       Momenten liegt, hochpusten, um erlebbar zu machen, wo „the subject (not) at
       rest“ oder eben „at rest“ ist.
       
       Erinnerung ist ein fester Bestandteil eines jeden Menschen an jedem Eck der
       Welt, untrennbar verbunden mit dem, was sich Identität nennt. Es sind
       Fundamente des Sich-Nennens, unbegrenzt, unbegrenzbar.
       
       Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass derzeit eine weitere Arbeit
       von Arnold Dreyblatt, „Repertoire“, noch bis zum 30. April als
       Dauerausstellung in der Akademie der Künste Berlin zu sehen ist. Und dass
       er das Denkmal zur Bücherverbrennung, das auf dem Königsplatz in München
       entstehen soll, dem Originalort dieses Fanals, in diesem Jahr installieren
       soll.
       
       Arnold Dreyblatt, The Resting State, Neue Gesellschaft für bildende Kunst,
       Chausseestraße 128/129, Di.–So. 12–18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, bis 28. 4.;
       Repertoire (2016) in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, bis 30. 4.
       2019, täglich von 10–20 Uhr
       
       6 Mar 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Freerix
       
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