# taz.de -- Geschlechtergerechtigkeit statt Blumen: Eine andere Liebe ist möglich
       
       > Am Valentinstag gehen Frauen in Istanbul gegen Männergewalt auf die
       > Straße. Ihr Botschaft an Männer: „Auf ungleiche Liebe pfeifen wir“.
       
 (IMG) Bild: One Billion Rising-Bewegung am 14. Februar 2013 in Istanbul
       
       „Der Mann ist eifersüchtig.“
       
       „Der Mann ist ein Aufreißer.“
       
       „Der Mann ist das Oberhaupt der Familie.“
       
       Diese Sprüche, die ein paar mittelmäßige Männer in der Vergangenheit
       erfanden, haben sich mit der Zeit in der Sprache etabliert und wurden von
       einer Generation zur nächsten überliefert. Darum schenken Männer ihren
       Frauen, Geliebten und Mätressen zum Valentinstag am 14. Februar einen
       Strauß roter Rosen und eine Schachtel Pralinen, und halten sich einen Tag
       lang für Romeo. Meine Herren, mit Rosen und Pralinen läuft das aber nicht.
       Ohne Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es keine Liebe.
       
       In der Türkei werden Söhne von der Familie meist verzogen. Ihnen wird mehr
       zugestanden als Töchtern. Wachsen die verzogenen Söhne heran, glauben sie,
       ungeheuer wichtige Wesen zu sein, die alles dürfen.
       
       Männer haben 2018 in der Türkei 440 Frauen ermordet. Es macht wenig Sinn,
       im Schatten einer ständigen Zunahme von Morden an Frauen und trans
       Menschen, genderbasierter und sexueller Gewalt, Homophobie, Transphobie,
       Belästigung und Vergewaltigung unbekümmert den Valentinstag zu feiern.
       
       ## Tanzen aus Protest gegen Männergewalt
       
       Aus diesem Grund begeht die feministische Bewegung der Türkei den 14.
       Februar seit ein paar Jahren als Kampftag gegen Männergewalt. An diesem Tag
       gehen Frauen und trans Menschen auf die Straße und erheben ihre Stimmen.
       
       Wie wurde der Valentinstag zum Kampftag gegen Männergewalt? Nachdem 1996
       das Stück „Die Vagina-Monologe“ der feministischen amerikanischen
       Theaterautorin Eve Ensler in New York aufgeführt worden war, entstand 1998
       die V-Day-Bewegung. Seitdem gehen Frauen jedes Jahr am 14. Februar fast
       überall auf der Welt gegen systematische Männergewalt auf die Straße. 2012
       brachte dann die Bewegung One Billion Rising die neue Strömung einen
       Schritt weiter.
       
       One Billion Rising wurde am 20. September 2012 mit dem Slogan „Schluss mit
       der Männergewalt“ als globale feministische Kampagne ausgerufen. Im
       indischen Delhi war die 23-jährige Studentin Jyoti Singh Pandey von sechs
       Männern vergewaltigt worden, darunter der Fahrer des Busses, in den sie
       gestiegen war, um in ihr Dorf Munirka zu fahren. Elf Tage nach der Tat
       starb sie in der Klinik in Singapur.
       
       Die Tat löste in Indien und der ganzen Welt ein enormes Echo aus. Am 14.
       Februar 2013 gingen Frauen in über 200 Ländern gleichzeitig auf die Straße
       und tanzten aus Protest gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt.
       Weltberühmte Sängerinnen und Schauspielerinnen unterstützten die Kampagne.
       
       ## „Eure todbringende Liebe wollen wir nicht“
       
       Auch in Istanbul fand diese Bewegung natürlich Widerklang. Seither
       organisieren feministische Gruppen am 14. Februar in verschiedenen Städten
       des Landes, allen voran in Istanbul, Veranstaltungen wie Theater- und
       Filmvorführungen, Konzerte, Gemälde-, Keramik- und Fotoausstellungen.
       
       Die Plattform „Frauen sind gemeinsam stark“, die sich für die Rechte von
       Frauen und trans Menschen einsetzt, ruft in diesem Jahr Frauen und trans
       Menschen mit dem Slogan „Wir schreiben das Gesetz der Liebe neu“ auf, den
       Kampf auf der Straße zu unterstützen. In den sozialen Medien findet sich
       der Aufruf der Plattform unter dem Hashtag #14ŞubattaKadınlarSokakta (Am
       14. Februar sind die Frauen auf der Straße). Ihre Botschaft für die Männer
       lautet: „Eure todbringende Liebe wollen wir nicht. Wir wollen das Leben.
       Auf ungleiche Liebe pfeifen wir. Wir schreiben das Gesetz der Liebe neu.“
       
       Wer hätte ahnen können, dass das Lied „Was, wenn ich das Gesetz der Liebe
       neu schriebe“ (Aşkın Kanunu Yazsam Yeniden) der Istanbuler Sängerin Nesrin
       Sipahi von 1971 nach 48 Jahren zur Inspiration für den feministischen Kampf
       werden würde! Im herrschenden, vom Patriarchat begründeten
       heterosexistischen System ist die Liebe der Männer tödlich. Solche Liebe
       kann uns gestohlen bleiben! Aber ist denn eine andere heterosexuelle Liebe
       überhaupt möglich? Selbstverständlich. Die Formel ist simpel:
       
       • Männer brüsten sich nicht mit ihrer Männlichkeit
       
       • Männer begreifen, dass sie nicht das dominante Geschlecht sind
       
       • Männer lernen, dass die Geschlechter gleichberechtigt sind
       
       Meine Herren, wenn ihr das nicht mit eurer Vorstellung „wie ein Mann“ zu
       lieben, vereinbaren könnt, dann versucht doch, wie ein Mensch zu lieben. Es
       ist Zeit für den Wandel. Ihr tragt doch jedes Kleidungsstück, das gerade
       Mode ist, ihr kennt euch mit Farben und neuesten Trends aus, ihr benutzt
       die angesagteste Technologie – warum geht ihr nicht mit der Zeit, wenn es
       um die Gleichheit der Geschlechter geht? Sprengt eure Ketten, gebt euch
       einen Ruck und legt eure alten Verhaltensmuster ab. Passt euch den
       Veränderungen eurer Zeit an. Eine andere Liebe ist möglich.
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
       
       14 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michelle Demishevich
       
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