# taz.de -- berliner szenen: Kaffeepreis über Nacht gestiegen
       
       Früher Morgen. Seit einem halben Jahr gehört zum Ritual ein Cappuccino in
       einer Bäckerei um die Ecke. Die nette Verkäuferin – eine Serbin – erkennt
       mich von Weitem. Schön, wenn man dir deine Wünsche von den Augen abliest:
       zum Mitnehmen, sehr stark, kein Zimt, kein Kakaopulver, einmal Zucker. Das
       singt sie förmlich vor sich hin, während sie brüht, schäumt und gießt, und
       dieses Liedchen gehört zur Vorfreude dazu. „2,19 bitte!“, sagt sie
       plötzlich entschuldigend.
       
       Diesmal werde ich wach, bevor ich nur einen Schluck zu mir nehme. „Wie
       bitte? Ich habe doch Kundenkarte. Und gestern hieß es noch 1,90“, erinnere
       ich sie. „Seit heute haben wir neue Preise“, sie zeigt auf die Preistafel.
       „Habe ich was verpasst, ist der Kaffeepreis über Nacht etwa weltweit
       gestiegen?“ Die Chefin, die nebenan bedient, wirft ihr einen strengen Blick
       zu. Jetzt leidet meine Serbin sichtlich. Unser Verhältnis ist über das
       Smalltalk-Niveau deutlich hinaus. Ich kenne quasi ihr halbes Leben. Und sie
       kann mir nicht erklären, warum ich aus heiterem Himmel für einen Cappuccino
       30 Cent mehr hinblättern soll? Das mache ich übrigens dreimal täglich.
       Macht einen ganzen Euro pro Tag. Also? Sie ist hin- und hergerissen. „Sie
       wissen das wirklich nicht?“ Sie flüstert fast. Nun bin ich hellwach. Sie
       nutzt die Gelegenheit, als die Chefin in ein Kundengespräch verwickelt ist,
       und haspelt kaum wahrnehmbar ab: „Der Laden ist insolvent. Ich denke, die
       versuchen so die Kassen wieder zu füllen. Und wollen das natürlich nicht an
       die große Glocke hängen.“
       
       Der Laden hier in bester City-Lage pleite? „Nein, nein, wir sind ja nur
       eine Filiale. Es geht um insgesamt 400 Läden.“ Ich lasse sie frei. „Guten
       Morgen, Frau Müller“, begrüßt sie die ältere Dame hinter mir. „Trinken Sie
       Ihren Kaffee hier oder nehmen Sie ihn mit?“ „Danke, den mache ich mir
       selber zu Hause.“ Irina Serdyuk
       
       21 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Irina Serdyuk
       
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