# taz.de -- Chemiekonzerne gegen Züchter: Das Broccoli-Patent
       
       > Chemiekonzerne lassen neuerdings auch konventionell gezüchtete Pflanzen
       > und Tiere patentieren. Wie unser Essen in Zukunft aussieht, regelt nun
       > das Europäische Patentamt.
       
 (IMG) Bild: Bekommen die Chemiekonzerne jetzt noch mehr Macht über unsere Ernährung?
       
       BERLIN taz | Die Natur haben sie bei der Pflanzenzuchtfirma Limagrain ganz
       gut im Griff: In Kühlräumen und Hitzekammern lassen die Agraringenieure in
       nur fünf Monaten neue Weizenpflanzen so schnell wachsen wie im Freien
       während eines ganzen Jahres. Mit der Hand bestäuben sie verschiedene Sorten
       miteinander, obwohl sich eine Weizenpflanze eigentlich selbst befruchtet.
       So schaffen die Limagrain-Züchter seit fast 70 Jahren Saatgut, das immer
       besser Krankheiten, Dürre und andere Widrigkeiten der Natur übersteht. Doch
       nun sehen sie sich einer ungleich gefährlicheren Bedrohung gegenüber:
       Patentanwälten.
       
       Denn die Juristen vor allem großer Agrochemiekonzerne wie Monsanto, BASF
       und Syngenta lassen neuerdings nicht nur gentechnisch veränderte Pflanzen
       und Tiere patentieren, sondern auch konventionell gezüchtete. Die Patente
       sichern den Unternehmen ein Monopol: Nur sie dürfen dann entscheiden, wer
       das Lebewesen weiter züchten und verkaufen darf. Kritiker warnen, dass die
       Konzerne so noch mehr Macht über unsere Ernährung erlangen. Die Patente
       könnten sie nutzen, um die Produktion von Lebensmitteln zu verteuern und
       den Markt auf noch weniger Tier- und Pflanzensorten zu beschränken als
       bisher.
       
       Unter welchen Bedingungen Pflanzen und Tiere künftig patentiert werden
       dürfen, darüber verhandelt das höchste Gericht des Europäischen Patentamts
       am Dienstag und Mittwoch in München.
       
       Anlass sind Einsprüche gegen ein israelisches Patent auf eine wasserarme
       Tomate und ein britisches auf einen Broccoli, der besonders viel einer
       krebshemmenden Substanz enthalten soll. Einer der Kläger ist Limagrain.
       Deren Zuchtstation im niedersächsischen Dorf Rosenthal leitet Reinhard
       Hemker. Mit weißer Wuschelfrisur und von der Sonne auf dem Feld geröteter
       Haut steht der 51-Jährige in einer Klimakammer des Unternehmens. Der Zeiger
       des Thermometers neben der Tür zeigt auch jetzt - mitten im Sommer - nur 8
       Grad an.
       
       "Hier ist gerade Winter", sagt Hemker. Die niedrige Temperatur verpasst den
       Winterweizenpflanzen den Kältereiz, den sie brauchen, um später zu blühen.
       Noch sind sie nur kleine grüne Halme, die aus der dunkelbraunen Erde in
       etwa 350 Blumentöpfen auf dem Boden der Kammer sprießen. Hemker streicht
       mit der Hand über die Pflanzen. "Sie haben sich ganz gut entwickelt", sagt
       der Züchter.
       
       Hemkers Kollegen haben die Pflanzen aus 100 verschiedenen Kombinationen
       bereits existierender Weizensorten herangezogen. Die besonders
       krankheitsresistente, aber nur als Futter geeignete "Lear" von Limagrain
       zum Beispiel haben sie mit der nicht ganz so widerstandsfähigen, aber dafür
       zum Brotbacken geeigneten "JB Asano" der Konkurrenzfirma Josef Breun
       gekreuzt - in der Hoffnung, dass die neue Sorte beide Vorteile in sich
       vereint. "Das Sortenschutzgesetz erlaubt uns, mit Sorten anderer
       Unternehmen weiterzuzüchten", sagt Hemker. "Wenn die Pflanzen unter
       Patentschutz stehen würden, dürften wir das nicht."
       
       Dabei sind neue Sorten so wichtig wie nie. Denn als Folge des Klimawandels
       wird es in vielen Regionen für die Pflanzen von heute zu trocken. Gerade
       Entwicklungsländer brauchen deshalb dürreresistente Sorten. Wenn nun aber
       weniger Züchter Zugriff auf einen kleineren Genpool haben, dann wird es
       länger dauern, solche Pflanzen zu entwickeln. Und teurer werden sie dabei
       auch. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt davor, dass
       Pflanzenpatente die globale Ernährungssicherheit bedrohen.
       
       Natürlich können die Patentinhaber anderen Züchtern gegen Bezahlung
       erlauben, die patentierten Pflanzen weiterzuzüchten. Doch glaubt man etwa
       Bundesagrarministerin Ilse Aigners Beirat für Genetische Ressourcen,
       müssten viele kleine Zuchtunternehmen, vor allem wenn diese für kleine,
       regionale Märkte züchten, aufgeben, weil die Patentgebühren ihre ohnehin
       schon geringen Gewinnmargen auffräßen. Dabei verbuchten schon 2008 die fünf
       größten Züchter 65 Prozent des weltweiten Umsatzes mit Gemüsesaatgut für
       sich, wie es in einer Studie der niederländischen Universität Wageningen
       heißt.
       
       Die Patentgegner von Limagrain, Greenpeace und dem Deutschen Bauernverband
       hoffen nun auf eine klare Entscheidung des Europäischen Patentamts: gegen
       Patente auf Pflanzen, die ohne Genmanipulation geschaffen wurden. Bisher
       hat die Behörde aber nach eigenen Angaben schätzungsweise 3.000 solcher
       Patente auf Pflanzen und Tiere erteilt. Greenpeace fordert deshalb, in der
       EU-Richtlinie zu Biopatenten solche Patente unmissverständlich zu
       verbieten.
       
       Michael Kock sieht das ganz anders. Der Patent-Anwalt sitzt in seinem Büro
       in Basel, in der Zentrale des Schweizer Chemiekonzerns Syngenta - einem der
       aktivsten Pflanzenpatentierer weltweit. Auch er hat gegen das
       Broccoli-Patent Einspruch eingelegt. Doch nur, weil es zum Beispiel
       schlecht beschrieben sei - nicht, weil er etwas gegen Patente auf Lebewesen
       hätte. Für die These, dass Patente Innovationen bei der Zucht neuer
       Pflanzen behinderten, fehlten Belege, sagt er. Patente seien auch nicht der
       Grund, dass es immer weniger Saatgutproduzenten gibt. Das Problem seien
       vielmehr die Technologien, die immer teurer würden. "Wir brauchen das
       Patentsystem als Anreiz, neue Pflanzeneigenschaften zu entwickeln", glaubt
       Kock.
       
       Damit kann er Züchter Hemker nicht überzeugen: "Den Anreiz, neue Pflanzen
       auf den Markt zu bringen, gibt auch der Sortenschutz." Nach dem Gesetz
       könne der Züchter von Bauern Geld verlangen, die seine Sorten benutzen, und
       so die Züchtung neuer Pflanzen finanzieren. "Dazu brauchen wir nicht das
       Broccoli-Patent."
       
       17 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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