# taz.de -- Experte über Krise in Venezuela: „Die reale Macht liegt bei Maduro“
       
       > Im Machtkampf in Venezuela sind die Streitkräfte mitentscheidend. Maduro
       > hat ihnen große Privilegien gewährt, sagt ein Lateinamerika-Kenner.
       
 (IMG) Bild: „Eigentlich ist Venezuela eine Militärdiktatur“: Militärparade in Caracas
       
       taz: Herr Bahrmann, [1][in Venezuela beanspruchen zwei Männer das
       Präsidentenamt für sich]. Woran hängt es, wie dieser Machtkampf ausgeht? 
       
       Hannes Bahrmann: [2][Juan Guaidó] hat keine reale Macht, auch wenn er von
       außerhalb Venezuelas anerkannt wird. Die reale Macht liegt bei Nicolás
       Maduro, den Streitkräften und der regierenden Sozialistischen
       Einheitspartei Venezuelas.
       
       Maduro hat die Ausweisung der US-Diplomaten angeordnet. Die Trump-Regierung
       erklärt, die Diplomaten bleiben. Ist da nicht plötzlich die Machtfrage sehr
       konkret? 
       
       Ich halte das für eine der typischen Finten Maduros. Seit Beginn der großen
       Protestwellen 2015 macht er immer wieder die USA für alles Elend im Land
       verantwortlich. Aber die Fakten sind: Die USA sind nach wie vor der größte
       Handelspartner von Venezuela. Nicht Russland, nicht China, sondern die USA.
       Wenn aus den USA nicht jeden Tag 30 Millionen Dollar für Öllieferungen aus
       Venezuela gezahlt würden, dann wäre die Regierung bereits zahlungsunfähig.
       Venezuela betreibt in den USA das drittgrößte Tankstellennetz, die Citgo.
       Goldman Sachs hat 2017 die Staatsfinanzen von Maduro gerettet, indem sie
       für 2,8 Milliarden Dollar venezolanische Staatsanleihen kaufte. Maduros
       Vorwürfe Richtung USA haben keine Substanz.
       
       Sie sehen auch jetzt kein echtes Eskalationspotenzial? 
       
       Ich weiß natürlich nicht, was in Trumps Kopf vorgeht. Aber: Die fast zwei
       Jahrzehnte regierende chavistische Regierung hat Venezuela sehr unattraktiv
       für jede Art der Intervention gemacht. Venezuelas Armee verfügt über
       modernste Luftabwehrsysteme, eine ziemlich schlagkräftige Luftwaffe, dazu
       allein 5.000 schultergestützte Luftabwehrraketen russischer Bauart in der
       Hand der Milizen. Das alles lässt jeden, der eben mal einen „chirurgischen
       Angriff“ planen sollte, ins Nachdenken kommen. Das wird es vermutlich nicht
       geben.
       
       Welche Perspektive haben dann Juan Guaidó und die Opposition? 
       
       Seit vier Jahren ist klar: Die Opposition kann machen was sie will, sie
       kommt nicht weiter. Bei Wahlen wird betrogen – einzige Ausnahme: die
       Parlamentswahl 2015, wo der Vorsprung so groß war, dass das Ergebnis nicht
       mehr geleugnet werden konnte. Danach wurde wieder gefälscht. Und wenn die
       Opposition auf die Straße geht, steht sie der Macht des
       Sicherheitsapparates gegenüber: Von den colectivos in den Wohnvierteln, die
       mit Motorrädern und leichten Waffen ausgestattet werden und auf der Straße
       als Aufstandsbekämpfung agieren, über die Polizei, den Geheimdienst, die
       Milizen, bis zu den Streitkräften. Venezuela ist ein Land unter Waffen –
       dagegen kann keine Opposition angehen.
       
       Guaidó hat mehrfach die Armee gebeten, an der Seite des Volkes zu stehen.
       Hat er eine Chance? 
       
       Da kann ich nur lachen. Denn das ist ja keine moralische Frage, sondern
       eine der Verteilung von Reichtum und Einkommen.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Eigentlich ist Venezuela eine Militärdiktatur, die sich nur zivil
       verkleidet. Militärs kontrollieren die größten Teile der verstaatlichten
       Wirtschaft. Sie sind Diplomaten, sie führen Ministerien, öffentliche
       Verwaltungen. Militärs leiten den Zoll, Steuerbehörden, Banken, die
       Bankenaufsicht, die wichtige Devisenverwaltung, die Metro, Flughäfen,
       Stromversorger, Nationalversicherung. Die Militärs sind völlig unantastbar.
       Eine solch privilegierte Situation kriegen die nie wieder! Sie haben nur
       alles zu verlieren, aber nichts zu gewinnen.
       
       Venezuela ist in einer Wirtschaftskrise, wie sie schlimmer kaum kommen
       kann: Hyperinflation, Halbierung der Erdölförderung, drei Millionen
       Geflohene, Minuswachstum. Da schließt sich ein „weiter so“ doch aus. Wo
       liegen Perspektiven, wenn es keinen Machtwechsel gibt? 
       
       Es ist noch schlimmer. Venezuela hat seine Ressourcen bis weit in die
       2020er-Jahre hinein schon verpfändet, an den führenden russischen
       Erdölkonzern Rosneft und an die Chinesen. Und die Sozialprogramme waren
       Quelle einer Korruption beispiellosen Ausmaßes. In den letzten 19 Jahren
       wurden über 500 Milliarden Dollar aus den Sozialprogrammen in die eigenen
       Taschen gewirtschaftet. Ein Beispiel ist Leutnant Andrade, Sicherheitschef
       von Hugo Chávez. Der wurde dann der Chef eines Sozialfonds, der Bank für
       Sozialentwicklung und des nationalen Schatzamtes. Durch die Swiss Leaks
       wurde sein Privatvermögen von fünf Milliarden Dollar offenbar. Und das ist
       nur eines von unzähligen Bespielen. Die Korruption ist die wichtigste
       Ursache für die Verelendung eines der reichsten Länder der Welt. Wer will
       denn in einer solchen Situation die Macht übernehmen?
       
       Das wollen ja nun gleiche mehrere. 
       
       Dann soll denen mal jemand eine Anfangsbilanz aufmachen. Das Land ist auf
       Jahre hinaus verschuldet. Die Einnahmen gehen zurück und können auch nicht
       so schnell wieder gesteigert werden. Die Erdölindustrie ist seit mindestens
       einem Jahrzehnt nicht mehr angemessen gewartet worden. Die Anlagen sind
       verschlissen, die Bohrlöcher verwahrlost. Das verlangt die Investition
       vieler Milliarden Dollar – wo sollen die denn herkommen?
       
       Wie schätzen Sie die Bedeutung der venezolanischen Krise für den Niedergang
       der Linken in Lateinamerika ein? 
       
       Nicht so groß. Maduro hat solche Ansprüche auch gar nicht, wie sie Chávez
       noch hatte. Maduro ist an der Parteihochschule des ZK der KP Kubas als
       Perspektivkader ausgebildet worden. Als Mann der Kubaner hat ihn Chávez als
       Nachfolger ausgewählt, aber ihn drängt es nicht nach kontinentaler
       Bedeutung.
       
       Venezuela ist also nicht das abschreckende Negativbeispiel überhaupt? 
       
       Brasilien ist viel wichtiger und zwar mit dem Thema Korruption. Sie macht
       auch vor der Linken nicht halt und was aus Brasilien von der Firma
       Odebrecht ausgegangen ist, ist ein Krebsgeschwür, was für den Niedergang
       der Linken vermutlich viel größere Bedeutung hat.
       
       24 Jan 2019
       
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