# taz.de -- Mode als gesellschaftliche Tiefengrammatik
       
       > Was sagen die fürchterlichen Anzüge aus, die Politiker wie Horst Seehofer
       > oder Donald Trump tragen? Sicher sind sie nicht der Kern des Problems
       > einer Politik gegen Errungenschaften der Zivilisation. Aber vielleicht
       > seine Schale?
       
 (IMG) Bild: Frühjahr-Sommer-Kollektion 2019 von Dior Homme
       
       Von Gerhard Schweppenhäuser
       
       Dass Politiker wie Seehofer oder Trump fürchterliche Anzüge tragen, ist
       sicher nicht der Kern des Problems. Aber vielleicht seine Schale? Das
       Erscheinungsbild einer Politik gegen Errungenschaften der Zivilisation,
       gegen reale Humanisierung der Lebensverhältnisse?
       
       ## His clothes are loud, but never square 
       
       Für Semiotiker*innen ist Mode ein strukturelles System, das sich von der
       Tracht unterscheidet. Beide ersetzen Nacktheit durch Bekleidung, aber
       Tracht tut es formkonstant, während Mode formunbeständig ist. Roland
       Barthes hat gezeigt, wie Mode die Körper zum Bedeutungsträger macht: Sie
       hüllt sie in ein Zeichensystem mit festgelegten Codes, die aber aus immer
       wieder anderen Subcodes bestehen. Traditionell betont Mode den
       Geschlechtsunterschied. Gerade das macht paradoxerweise sichtbar, dass er
       keine Naturkonstante ist; nicht erst seine Inszenierung ist Konstruktion.
       
       Trachten wollen Soziales wie Natur erscheinen lassen, und dies galt
       klassischerweise auch für Mode. Semiotische Aufklärung lüftet diesen
       Schleier. Das unterscheidet die späte Modekritik von der frühen. Rousseau
       hatte es im 18. Jahrhundert noch rasend gemacht, dass die Bürger*innen von
       Paris in aufreizenden Draperien herumspazierten, die jene vermeintliche
       Naturordnung der Geschlechter verdrehten. Barthes konnte sich gelassen
       darüber wundern, dass Herrenmode kaum Elemente aus der Damenmode
       integriert, während dies umgekehrt doch mühelos geht.
       
       Heute haben sich die Parameter verschoben. Kim Jones präsentierte seine
       Dior-Herren-Kollektion 2018 mit dem Slogan: „Geschlechter spielen keine
       Rolle mehr“, und im Grunde kennen wir diesen Ansatz ja schon von David
       Bowie.
       
       ## This pleasure-seeking individual always looks his best 
       
       Umso wichtiger wird semiotische Aufklärung, wenn es um Volks- und
       Nationaltrachten geht. Die Ursprünge „nationaler“ Kulturzeichen, die sich
       im mythischen Dunkel der Frühzeit zu verlieren scheinen, sind zumeist
       Konstruktionen aus dem 19. Jahrhundert. Die Clansmuster der Schottenröcke
       zum Beispiel waren, wie man inzwischen weiß, kein Bestandteil ethnischer
       Tracht. Sie wurden für Arbeitskleidung in der Stahlherstellung entworfen.
       Später, als man Mythen erfand, um neuen Nationalstaaten fiktive uralte
       Identitäten zu verleihen, entstand die Legende, jeder alte schottische Clan
       hätte sein eigenes Stoffmuster.
       
       Die Unterordnung des (Sozio-)Kulturellen unter ethnische Natalität prägte
       das 19. und das 20. Jahrhundert. Was man unter Kultur verstand, wurde durch
       Ausgrenzung des Anderen bestimmt. „Alles, was nicht der Norm entspricht,
       nach der man selber lebt, wird aus der Kultur in den Bereich der Natur
       verwiesen“, schrieb Claude Lévi-Strauss.
       
       Ebenso wie das System Kultur schließt auch das System Mode aus und ein.
       Einzelne, Gruppen und Klassen grenzen sich ab – über ästhetische Codes, die
       ihre expressiven Bedürfnisse zeitweilig fixieren. Sie signalisieren aber
       auch Zugehörigkeit. Mode inszeniert symbolische Integration und
       Ausgrenzung. Das betrifft Gesellschaften, Generationen und Subkulturen. Im
       Anschluss an die Trickle-Down-Theorie von Thorstein Veblen und René König
       hat Gerhard Goebel resümiert: „Das Bedürfnis nach Distinktion und
       Konformität – Konformität nach oben, Distinktion nach unten – war die
       Triebkraft, die den Prozess des Modewechsels in die Wege leitete.“ Sie hat
       das „Marktgesetz der permanenten Innovation“ ins Leben gerufen, „den
       Imperativ der Mode“.
       
       Was im System Kultur/Barbarei zu Gewalt und tödlichem Schrecken tendieren
       kann, ist in der Mode allerdings eher lebensfördernd: die Inszenierung von
       Attraktivität und Lust, Schönheit und Interesse im Rahmen von Neuheit und
       Wiederholung, Information und Redundanz.
       
       ## He flits from shop to shop just like a butterfly 
       
       Mode hat Zeichen-, aber auch Bildcharakter. Zeichenhaft kodierte Aussagen
       lesen wir, Bilder schauen wir an, erleben sie in der Betrachtung. Mode
       produziert und vermarktet bildhaft-ästhetische Impulse, aber eben auch mehr
       und anderes: nicht nur Objekte (Kleidung, Accessoires), sondern, wie
       Friedmar Apel betonte, vor allem „Benennungen und Erfahrungsmuster“.
       
       Ästhetik der Expression und Semiotik durch Kodierung – beide Schichten
       spielen zusammen. Es ist ja der „Ausdruckswille“ eines Menschen, die seiner
       Bekleidung den „Zeichencharakter“ gibt. Und so können „auch andere die
       Merkmale sozialer, politischer und kultureller Abgrenzungen und
       Einschließungen verstehen“. Dieser Gedanke von Silvia Bovenschen geht auf
       Georg Simmel zurück. Für ihn war Mode ein Abbild der Gegenwart
       gesellschaftlicher Bewegungen in ihren einzelnen, sichtbaren Bestandteilen.
       Simmel faszinierte, dass Mode eine gesellschaftliche Tiefengrammatik
       anschaulich macht: die Wechselwirkung von Sozialisation und Individuation.
       
       ## It will make or break him so he’ s got to buy the best 
       
       Die konstante Differenz der Kleidung – „altmodisch/modisch“ – drückt sich
       in variablen Binnendifferenzen aus: lang/kurz; symmetrisch/asymmetrisch;
       körpernah/loose fit; Business/Casual (Streetwear); elegant/sportlich; Haute
       Couture/Prêt-à-porter; rasiert/struppig; Country/City; gemustert/uni;
       trendy/classic; used/retro; uniform/individuell … usw./usf. …
       
       Jede Saison braucht ein neues Erscheinungsbild. Dauernder Wandel der
       Erscheinungsformen innerhalb des Immergleichen: Ist das nur Schein, oder
       kommt hier ein realer Widerspruch zur Erscheinung? Mode ist „eine
       Dauerkrise“, schrieb Bovenschen im Geiste Walter Benjamins: „das Prinzip
       des ewig Neuen“. Jede neue Gestalt ist zum raschen Untergang verurteilt.
       Ein entsprechendes Sensorium vorausgesetzt, kann es peinlich sein, sich mit
       Sachen zu kleiden, die aus der Mode gekommen sind. Das Prinzip des
       Verschwindens zeigt sich paradox auch bei Retrostilen. Kleidung oder Möbel
       sollen an vergangene Moden erinnern, dürfen sie jedoch nicht exakt
       wiederholen. Schnitt-, Material- und Designidentität wären unerträglich;
       zum Design der Ähnlichkeit muss das der Differenz kommen. Zumal ja die
       Körper selbst gewissen Epochenänderungen unterliegen.
       
       Modedesigner*innen finden keine Ruhe, ständig müssen sie Anregungen suchen.
       Wechselnde Trends der (Lebens-)Stile, der neueste Stand in Forschung, Kunst
       und Unterhaltung, Transformationen des Religiösen – allem „müssen sie
       Aromastoffe abgewinnen, die eine stimmige Komposition des Neuen
       begünstigen“, so Bovenschen. Fehlgriffe werden sogleich bestraft, wenn die
       neue Form am Markt floppt.
       
       ## ’ cause he’ s a dedicated follower of fashion 
       
       Das universale Für-anderes-Sein der Tauschgesellschaft bildet sich auch im
       Diskurs über Mode ab. Auf die Objekte selbst, die Kleider, geht er nämlich
       eher selten ein. Wer sich diesen zuwendet und ihre Materialitäten, ihre
       Formen, Ästhetiken und Logiken erschließt, wer also den Objekten Vorrang
       lässt und ihre unvertretbar besondere Sprachen wahrnehmen kann, vernimmt
       auch den unvertretbaren Ausdruck der Subjekte, die sich ihrer bedienen –
       und ihnen zugleich dienen, indem sie sie tragen.
       
       Geschmack zeigt sich auch als Empfindlichkeit gegen Grobiane und als
       Antipathie gegen scheußliche Anzüge, abgetragene Jacken und abgeschmackte
       Hundekrawatten im öffentlichen Raum. Geschmack könnte sich als wichtig
       erweisen, wenn es gilt, zivilisatorische Errungenschaften zu verteidigen.
       Man darf nur nicht der Illusion erliegen, jedes smarte Bürschchen in
       körpernah geschnittenem Tuch stünde für humane Politik.
       
       5 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gerhard Schweppenhäuser
       
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