# taz.de -- Haftstrafe für türkische Journalistin: „Der Preis für guten Journalismus“
       
       > Pelin Ünker deckte in der Paradise Papers-Recherche Offshore-Firmen
       > türkischer Politiker auf. Dafür wurde sie nun zu einem Jahr Haft
       > verurteilt. Ein Interview.
       
 (IMG) Bild: „So ein Urteil vor den Wahlen ist eine Warnung an Journalisten“, sagt Pelin Ünker
       
       taz.gazete: Frau Ünker, das Team, das die Paradise Papers-Affäre aufdeckte,
       wurde in der ganzen Welt ausgezeichnet. Sie haben recherchiert, inwieweit
       die Türkei verwickelt ist – und nun eine Haftstrafe von mehr als einem Jahr
       sowie eine Geldstrafe dafür bekommen. Was soll das für eine Gerechtigkeit
       sein? 
       
       Pelin Ünker: Der Preis für guten Journalismus und gute Berichterstattung
       ist in der Türkei mittlerweile, dafür bestraft zu werden. Vor Gericht stand
       der Journalismus, die Straftat war die Berichterstattung. Der Prozess wurde
       eröffnet, weil ich angeblich Binali Yıldırım (ehemaliger türkischer
       Premierminister, Anm.d.Red.) „verleumdet und beleidigt“ hatte. Binali
       Yıldırım selbst hat allerdings zugegeben, dass der Bericht stimmt. Er
       sagte, es gebe da nichts Geheimes, Verborgenes. Das ist also die Strafe
       dafür, einen wahren Bericht geliefert zu haben. So funktioniert
       Gerechtigkeit in der Türkei.
       
       Erzählen Sie uns von Ihrer Recherche. Was haben Sie herausgefunden? 
       
       Die Recherche hat zehn Monate gedauert. Im Rahmen des Internationalen
       Netzwerks investigativer Journalist*innen ICIJ haben wir dann nicht nur in
       der Türkei, sondern in der ganzen Welt, auch in Deutschland darüber
       berichtet. Genau wie bei den Panama Papers habe ich tausende Dokumente
       gesichtet. Da tauchten ein paar Reederei-Aktivitäten der Söhne von Binali
       Yıldırım auf, die haben wir verifiziert. Wir fanden Einträge der
       Yıldırım-Söhne bei diversen Off-Shore-Unternehmen. Die konnten wir mit
       Adressen in der Türkei in Verbindung bringen. Wir deckten auf, dass ein
       Unternehmen, bei dem Yıldırıms Sohn Unterschriftenvollmacht hat, in der
       Türkei unter einer anderen Adresse Geschäfte macht und sogar den Zuschlag
       für Ausschreibungen bekommen hatte. Wir haben Yıldırım mit unseren
       Ergebnissen konfrontiert, sämtliche Informationen aus dem Bericht legten
       wir ihm vorab in Frageform vor. Er hatte das Recht, sich dazu zu äußern,
       doch er hat gar nicht geantwortet.
       
       Wie waren die Reaktionen, als die Berichte in der „Cumhuriyet“ erschienen?
       Haben Sie erwartet oder geahnt, dass es zum Verfahren kommen würde? 
       
       Zunächst nicht, denn die Existenz der Firmen war ja bestätigt worden.
       Später erfuhr ich dann, dass sie mich angezeigt hatten, um eine
       Entschädigung zu bekommen. Als die Artikelserie erschien, war das Thema auf
       der Agenda in der Türkei, die CHP und die HDP stellten im Parlament einen
       Antrag zur Untersuchung der Ergebnisse. Der wurde von der AKP abgelehnt. Es
       liegt sogar ein Gesetzentwurf dazu vor, dass Steuersünder*innen, die Geld
       in Steuerparadiese transferieren, zur Kasse gebeten werden sollen, aber er
       wird nicht umgesetzt. Denn im Gesetzestext ist nicht explizit angegeben,
       welches Land Steuerparadies ist und welches nicht. Die Regierung hat es
       nicht in Kraft gesetzt. Dem Ministerrat, der die Regierung bildet, steht
       der Premierminister vor, das war damals Binali Yıldırım. Deshalb war es ja
       so wichtig, die Sache publik zu machen.
       
       Auch Erdoğans Schwiegersohn, Minister Berat Albayrak, hat wegen der
       Paradise Papers Anzeige gegen Sie erstattet. Das Verfahren läuft noch,
       oder? Erwarten Sie da ein ähnliches Ergebnis? 
       
       Die Verhandlung dieses zweiten Verfahrens ist für den 21. Februar
       angesetzt. Derselbe Vorwurf, derselbe Richter, dieselbe Artikelserie. Das
       Urteil könnte ähnlich ausfallen.
       
       Das Urteil wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht verweigerte
       die Bewährung mit der Begründung, es könne nicht ausgeschlossen werden,
       dass erneut eine Straftat begangen werde.
       
       Straftat heißt hier Berichterstattung.
       
       Werden Sie denn weitermachen? 
       
       Straftaten zu begehen? (lacht)
       
       Bericht zu erstatten. 
       
       Unbedingt. Diese Woche habe ich beispielsweise eine ganze Reihe Kneipen
       abgeklappert, um darüber zu berichten, wie die Steuererhöhungen den Rakı
       verteuert haben und inwieweit Stammgäste davon betroffen sind.
       
       Noch ist die Haftstrafe nicht bestätigt. Wann wird die nächsthöhere Instanz
       entscheiden? 
       
       Das ist ungewiss, vielleicht warten sie das andere Verfahren ab und
       beurteilen dann gleich beide zusammen. In der Türkei ist es schwierig,
       solche Dinge vorauszusehen. Wir wollten, dass beide Verfahren
       zusammengelegt werden, doch das wurde abgelehnt. Dass sie ein solches
       Urteil im Vorfeld der Wahlen fällen, ist meines Erachtens eine Warnung an
       die Journalist*innen.
       
       Sie waren schwanger, als Sie mit der Paradise Papers-Recherche begannen.
       Jetzt haben Sie einen Sohn. Erschreckt Sie die Aussicht, eventuell ins
       Gefängnis zu müssen? 
       
       Nein, denn im Augenblick setze ich mein Leben, meine Arbeit, meinen Alltag
       fort. Ich versuche, mir keine Gedanken darüber zu machen. Nach der
       Verhandlung bin ich wie an jedem anderen Tag auch nach Hause gegangen, habe
       mich hingesetzt und gegessen, habe Zeit mit meinem Sohn und meinem Mann
       verbracht.
       
       Was wird aus der Geldstrafe von 8.600 türkischen Lira (1.360 Euro)? Sie
       arbeiten ja nicht mehr bei der „Cumhuriyet“. Wird die Zeitung die Strafe
       trotzdem bezahlen? 
       
       Ja, das werden sie. Gleich nach dem Urteil haben sie mich angerufen und
       gesagt, sie würden die Strafe zahlen.
       
       Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft aus? 
       
       Ich habe nichts besonderes gemacht, ich arbeite weiter, wie eine
       Durchschnittsjournalistin eben arbeitet. Wie alle Journalist*innen. Ich
       weiß, dass ich nicht allein bin. Ich bin ja nicht die Einzige, die mit
       solchen Prozessen konfrontiert ist. Wir unterstützen uns alle gegenseitig.
       Wenn Journalist*innen und alle anderen Berufsgruppen ihre Arbeit vernünftig
       machen, dann wird sich das System in der Türkei ändern.
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
       
       9 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ali Çelikkan
       
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