# taz.de -- Die Wahrheit: Der liebliche Geruch der Schamhaare
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (68): Filzläuse brauchen
       > den durch das „Barbie-Ideal“ bedrohten Lebensraum untenrum.
       
 (IMG) Bild: Hipsterbärte als Ersatzbiotop könnten das Aussterben der Filzläuse noch verhindern
       
       „Warum schreibst du nie was über Tiere, die jeder kennt?“, fragte mich der
       taz-Produktionsleiter: „zum Beispiel was über Filzläuse …“ Ja, das ist auch
       dringend nötig, denn dieses nur ein bis zwei Millimeter große Insekt, dass
       sich für gewöhnlich in unsere Schamhaare krallt und Blut saugt, ist eine
       vom Aussterben bedrohte Tierart – noch bevor sie richtig erforscht wurde.
       Der Grund: die Mode der Intimrasur, des brasilianischen „Bikini Waxing“ und
       der Laserepilation.
       
       In England, wo die Mode – man spricht von einem „Barbie-Ideal“ – angeblich
       epidemisch wurde, hat sie bereits fast 90 Prozent der Frauen und über 60
       Prozent der Männer erfasst. „Filzläuse müssen flink sein, denn die
       Möglichkeit, einen neuen Lebensraum zu finden, bietet sich nicht besonders
       oft, erst recht nicht, wenn es sich um einen monogamen Wirt handelt. Kommt
       ein frisches Bündel Schamhaar vorbei, wird nicht lange gezögert, dann
       springen sie schnell hinüber,“ schreibt der Kurator des Naturhistorischen
       Museums von Rotterdam, Kees Moeliker in seinem Aufsatz „Hilfe, die Filzlaus
       stirbt aus“ (in: „Der Entenmann“, 2018).
       
       Bei einem rasierten Geschlechtsteil springt sie während des Verkehrs quasi
       ins Leere – und vertrocknet dann. Oralsex – also Kopfhaar – kann sie nicht
       richtig befriedigen, denn sie liebt den Geruch der Schamhaare, der aus den
       dortigen „apokrinen Schweißdrüsen“ kommt. Also geht es ihr nun wie nach der
       chinesischen Revolution dem Großen Panda: „Mit der Abholzung der
       Bambuswälder wurde diese Tierart, die in anderen Wäldern nicht überleben
       kann, fast vollständig ausgerottet.“
       
       Das erwachsene Weibchen klebt täglich drei bis vier Eier, Nissen genannt,
       an die Schamhaarbasen, aus den Larven entwickeln sich innerhalb von 18
       Tagen geschlechtsreife Insekten. Diese jungen Filzläuse sind es vor allem,
       die gern den Wirt wechseln (würden), denn die Filzlaus an sich, die nur
       eine Lebensdauer von drei Wochen hat, wandert ungern.
       
       ## Nichts über ihr Sinnen und Trachten
       
       Moeliker meint: „Deutschland ist die Wiege der Filzlausforschung.“ Dem
       Berliner Frauenarzt Leonhard Waldeyer, den er als Ersten erwähnt, fielen um
       1900 allerdings nur die atypischen Filzlaushabitate auf: unter anderem bei
       einer Syphilispatientin: Auf ihr saßen 180 in den Nackenhaaren und 20 in
       der Achselhöhle. Obwohl die Filzlaus (Pthirus pubis) inzwischen weitaus
       gründlicher erforscht ist, gilt immer noch: „Über Vorkommen und Auftreten
       der Kopflaus ist deutlich mehr bekannt.“ Im Internet findet man fast nur
       Einträge darüber, wie man die meist beim Geschlechtsverkehr „eingefangenen“
       Filzläuse, die im Französischen „papillon d’amour“ genannt werden, wieder
       loswird – und nichts über ihr Sinnen und Trachten.
       
       Dabei erbrachte der Physiologe an der Greifswalder Universität, Leonard
       Landois, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine wissenschaftliche
       „Meisterleistung“, wie Moeliker dessen illustrierte und bis ins kleinste
       Detail gehende Beschreibung des Muskel- und Nervensystems, des
       Verdauungsapparats, des Blutkreislaufs, der Atmungs- und der
       Geschlechtsorgane der Filzlaus nennt, die Landois in der Zeitschrift für
       wissenschaftliche Zoologie veröffentlichte. Sie wurde dort jedoch schon
       wenig später von dem österreichischen Zoologen Veit Graber kritisiert: Er
       schrieb, dass das, was der Greifswalder als Filzlaus-Penis identifizierte,
       eher „ein Complex mehrerer Organe“ sei, wovon der Penis nur den „mittleren
       Teil“ ausmache.
       
       Man kann und muss außerdem noch kritisieren, dass die Geschlechtsteil- und
       -verkehrsforschung der Zoologen, die nicht gering ist an „Output“, sich bis
       heute auf den Penis konzentriert und die Vagina sträflich vernachlässigt,
       was seltsam ist, denn für Männer sollte die Vagina, und sei es die der
       weiblichen Filzläuse, eigentlich viel interessanter als der Penis sein,
       zumal der in seiner Funktionsweise vergleichsweise simpel ist.
       
       ## Schnelles Handeln ist gefragt
       
       Die Ignoranz gegenüber Vaginen aller Art beginnt sich erst jetzt langsam
       mit den weiblichen Forschern zu ändern. Aufschlussreich ist in diesem
       Zusammenhang Kees Moelikers Rotterdamer Kollege Menno Schilthuizen und sein
       Buch „Darwins Peep Show“ (2014), in dem er etliche Vaginaforscherinnen
       zitiert. Eine Filzlausvaginaforscherin findet man darin jedoch auch nicht.
       
       Für Moeliker ist das nicht einmal ein Problem, als Museumskurator
       interessierte ihn nur: Wenn die Filzlaus zu den vom Aussterben bedrohten
       Arten gehört, wo kriege ich dann noch einige Exemplare für meine „Große
       Schamlaus-Ausstellung“ her, denn „die Erfahrung zeigt, dass bei Arten,
       deren Bestand stark schrumpft, schnelles Handelns gefragt ist“. Dafür
       scheint er sofort ein großes Budget locker gemacht zu haben: Nicht nur
       schaltete er Filzlaus-Suchanzeigen in Zeitungen und rief in allen möglichen
       Kliniken und Hautarztpraxen an, er reiste auch zu vielen ausländischen
       Museen, um sich deren Filzlaus-Sammlung anzusehen und gegebenenfalls einige
       Exponate auszuleihen. Aber auch dort galt laut FAZ: „In manchen
       wissenschaftlichen Sammlungen mangelt es rund 3,3 Millionen Jahre nach dem
       Befall der Hominiden durch Läuse immer noch an repräsentativen Beständen.“
       
       Die größte Sammlung mit 200 Filzläusen besitzt das National Museum of
       Natural History in Washington, nach dem Einsturz des World Trade Center
       2001 hat man die dortige Tiersammlung in bombensichere Bunker verlegt.
       Etliche Exponate wurden von einem Läuseexperten im Kongo gesammelt, dazu
       gehört eine Laus (Pthirus gorillae), die ausschließlich im Haar von
       Gorillas vorkommt, und sie war es auch, „die vor mehr als drei Millionen
       Jahren auf den Menschen übersprang“. Ob während eines Geschlechtsverkehrs,
       kann man nur vermuten, auf alle Fälle ist die Gorillalaus die Urmutter
       unserer Filzlaus.
       
       ## „Politisierung“ über die Filzlaus
       
       Das naturhistorische Londoner Museum fand Moeliker enttäuschend, denn es
       besitzt nur 33 Filzläuse, das Kopenhagener Museum noch weniger, das
       Hamburger besitzt dagegen 44 Trockenpräparate: Seine Filzläuse stammen aus
       Kuba, aus dem Kriegsgefangenenlager Güstrow und aus dem Schamhaar von
       Wehrmachtssoldaten. Der jüngste Fund kommt von einem jungen Mädchen zu
       Beginn der Studentenbewegung, die eine Hochzeit der Filzläuse war: Es gab
       damals praktisch keinen Rädelsführer, der sie nicht auf seine Mitläufer
       übertrug. Der Sozialmediziner Dr. Salm-Schwader vertrat 1977 sogar die
       These, dass die eigentliche „Politisierung“ über die Filzlaus erfolgte.
       
       Einige der Hamburger Nasspräparate halten noch Schamhaare umklammert, eins
       fand Moeliker geradezu einmalig: „Nirgendwo sonst auf der Welt fand ich in
       naturhistorischen Sammlungen Filzläuse unterschiedlicher
       Entwicklungsstadien in“ – und jetzt kommt’s – „Barthaaren.“ Der Hamburger
       Bart „gibt Anlass zur Hoffnung“, freut sich Kees Moeliker, denn die neue
       Mode der „Hipsterbärte als Ersatzbiotop könnte das Aussterben der Filzläuse
       noch verhindern“.
       
       Praktisch hieße das auch und zugleich, dass die schamhaarlosen Frauen
       zukünftig von der Übertragung verschont werden und sie nur unter Männern
       zirkuliert, wobei schon ein inniger Kuss der Filzlaus genügen würde.
       
       21 Jan 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
       ## TAGS
       
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