# taz.de -- Umstrittenes Staudamm-Projekt in Chile: Ein Dorf kämpft um sein Zuhause
       
       > Im chilenischen San Fabián will eine italienische Firma den Bau eines
       > Staudamms durchdrücken – auch gegen den Willen der BewohnerInnen.
       
 (IMG) Bild: Die NGO Ñuble Libre protestiert gegen das Bauprojekt
       
       Buenos Aires taz | Mit Gewalt sollten sie aus ihren Häusern vertrieben
       werden – um Platz für einen Staudamm zu machen. In San Fabián de Alico in
       der zentralchilenischen Region Ñuble rund 400 Kilometer südlich der
       Hauptstadt Santiago gingen Spezialeinheiten der Polizei mit massivem
       Aufgebot gegen die Bevölkerung vor.
       
       [1][Die Aktion wurde von der Nichtregierungsorganisation Ñuble Libre
       gefilmt und ins Netz gestellt]. Auf dem Video ist zu sehen, wie die Polizei
       die überraschten BewohnerInnen zum sofortigen Verlassen ihrer Häuser
       auffordert. Später wird gezeigt, wie Hab und Gut in Polizei- und Fahrzeugen
       der privaten Baufirma abtransportiert wird. Dann reißt ein Bagger Häuser
       ab. „Einige Häuser wurden demoliert“, bestätigte der Anwalt Ricardo Frez,
       der die Betroffenen vertritt.
       
       Dass es sich um eine unrechtmäßige Aktion handelte, bestätigte das
       zuständige Umweltgericht in Valdivia. Einstimmig gab das Gericht einer
       einstweiligen Verfügung der Betroffenen statt, die sich auf der
       Nichteinhaltung von Vereinbarungen in der Umweltverträglichkeitsverordnung
       stützte. Die besagen, dass den Betroffenen zuvor ein neuer Wohnort
       mitgeteilt werden muss und welche Entschädigungen sie erhalten.
       
       Das Gericht verhängte nicht nur einen sofortigen Räumungsstopp, sondern
       ordnete zugleich die Rückgabe der abtransportierten Gegenstände durch die
       Polizei an. „Wir wissen, dass das Ministerium für öffentliche Bauten den
       Räumungstitel beantragt hat. Jetzt wollen wir wissen, wer das Vorgehen der
       Polizei angeordnet hat“, kommentierte Frez die richterlichen Anweisungen.
       
       ## Gespaltene Bevölkerung
       
       Die italienische Baufirma Astaldi schiebt den staatlichen Behörden die
       alleinige Verantwortung zu. Hintergrund der Auseinandersetzungen sind der
       [2][Bau eines Staudamms] und eines Wasserkraftwerks. Eine 136 Meter hohe
       und 500 Meter breite Mauer soll das Wasser des Río Ñuble auf einer Fläche
       von 1.700 Hektar stauen. Das geplante Kraftwerk soll jährlich 470 GWh Strom
       liefern. Zwar wird schon seit Jahrzehnten über das Vorhaben diskutiert,
       aber erst 2010 wurde der Bau der Staumauer von der Regierung in Santiago
       beschlossen.
       
       Die Meinung in der Bevölkerung über den Bau ist gespalten. Während ein Teil
       sich gegen eine Umsiedlung und die Überflutung ihrer Ländereien wehrt,
       unterstützen die vermeintlichen Gewinner in der strukturschwachen Region
       das Projekt. Die Befürworter werben nicht nur mit der Stromerzeugung,
       sondern auch damit, dass der zukünftige Stausee die Bewässerung von 60.000
       Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche sichern wird. Von deren
       Bewirtschaftung hängt die Existenz von rund 5.000 Familien ab.
       
       Im August war das Projekt einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Die
       Umweltkommission hatte damals den Bau der 23 Kilometer langen Stromtrasse
       genehmigt. Ohne diese Trasse würde das Kraftwerk keinen Sinn machen. Damit
       wäre auch der Staudamm überflüssig. Spätestens im ersten Quartal des
       kommenden Jahres soll mit dem Bau der Staumauer begonnen werden. Dass vor
       allem Astaldi Druck macht, ist kein Geheimnis. Nach Angaben der
       chilenischen Wirtschaftszeitung Diario Financiero verhandelt der Baukonzern
       gegenwärtig mit seinen Gläubigern über die Umschuldung seiner auf rund 2,3
       Milliarden Dollar laufenden Verbindlichkeiten. Die Firma versucht sich mit
       dem Mammutprojekt also zu sanieren.
       
       ## Unterstützung aus dem Parlament
       
       Nach der Räumung zogen die Dorfbewohner vor das Rathaus von San Fabián.
       Wut, Ohnmacht und Enttäuschung richteten sich vor allem gegen Bürgermeister
       Claudio Almuna. Der hatte sich 2016 als Kandidat der Partido Ecologista
       Verde im Wahlkampf um den Amtssitz im Rathaus als überzeugter
       Umweltaktivist und entschiedener Staudammgegner gezeigt. Doch nach seinem
       Wahlsieg wurde er zum glühenden Befürworter des Projekts. Im Februar war er
       aus der Öko-Partei ausgetreten und gehört inzwischen der erzkonservativen
       Renovación Nacional an.
       
       Die Erlaubnis zur Rückkehr erhielten die Betroffenen erst Mitte Dezember.
       „Die Betreiberfirma Astaldi hatte sich verpflichtet, sich um die Tiere zu
       kümmern. Aber was wir in Begleitung von Veterinären der Clínica Integral de
       Chillán vorgefunden haben, ist das Gegenteil“, sagte Frez. 200 Hühner waren
       verendet, 10 Kühe abgemagert und erkrankt. Bisher bekommt der Fall selbst
       in Chile noch wenig Aufmerksamkeit.
       
       Unterstützung kommt nun aus dem Parlament. Die Abgeordneten des
       Umweltausschusses trafen sich mit Betroffenen und kündigten an, Minister
       Juan Andrés Fontaine vor den Ausschuss zu zitieren. Auch die
       Verantwortlichen der Baufirma wollen die Parlamentarier vorladen.
       
       21 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.facebook.com/nublelibre/
 (DIR) [2] /Massenprotest-gegen-Staudaemme-in-Chile/!5120666
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Vogt
       
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