# taz.de -- Sozialkompetenz: ungenügend
       
       > Schüler in Vechta haben über soziale Medien ein Enthauptungsvideo
       > verbreitet. Nun ermittelt die Polizei wegen Gewaltdarstellung, die
       > Jugendlichen sind aber noch gar nicht strafmündig. Experten sehen als
       > Ursache kein Medienproblem, sondern soziale Defizite
       
 (IMG) Bild: Was man übers Handy verschickt, ist nicht nur eine private Angelegenheit
       
       Von Philipp Effenberger
       
       Am Mittwochabend des 5. Dezembers vibrierten kurz nach 22 Uhr noch einmal
       die Handys zahlreicher SchülerInnen einer siebten Klasse. Ein Schüler der
       katholischen Ludgerus-Oberschule in Vechta postete ein Video in die
       inoffizielle Whatsapp-Klassengruppe: Ein Enthauptungsvideo, welches von
       einer militant-islamistischen Gruppe stammen könnte. Das Perfide dabei: Es
       war nicht als Gewaltvideo gekennzeichnet oder zuvor erkennbar, sondern
       beginnt mit einem harmlosen Comic. Nach einem Schnitt folgt die brutale
       Szene.
       
       Am nächsten Tag informierte die Klassensprecherin die Klassenlehrerin über
       das Video. Die syrische Jugendliche ist vor einigen Jahren nach Deutschland
       geflohen. „Es war vorbildlich von ihr, sich damit an Erwachsene zu wenden“,
       sagt Schuldirektor Clemens Feldhaus dazu. Dass sie selbst vergleichbare
       Gewalterfahrungen gemacht habe, glaube er nicht. Sie habe sich dazu nicht
       geäußert und sich unabhängig davon an die Lehrerin gewendet, so Feldhaus.
       
       Wegen der Verbreitung des Videos werde nun gegen mehrere Schüler wegen
       Gewaltdarstellung ermittelt. Im Chatverlauf sollen auch sexistische,
       neonazistische und sogar kinderpornografische Inhalte geteilt worden sein,
       so der Schuldirektor. Drei Schüler wurden für einen Tag von der Schule
       suspendiert. Vier weitere wurden in den folgenden Tagen getrennt von ihren
       Klassen betreut.
       
       „Wir gehen den gestellten Strafanzeigen nach“, bestätigt Ulrich Suhr,
       Präventionsbeauftragter der Polizei Vechta. Bei der Bearbeitung der Anzeige
       handle es sich allerdings um reine Formalität. „Uns geht es eher um den
       Austausch als um Bestrafung.“ Fast alle Beschuldigten seien unter 14 Jahre
       alt und damit rechtlich gesehen Kinder und nicht strafmündig.
       
       Vor gerade mal zwei Jahren stand er selbst noch vor der Klasse, in der das
       Gewaltvideo jetzt die Runde machte. Alle zwei Jahre leitet er an der
       Oberschule eine Doppelstunde über Mediensicherheit. Suhr besucht fast jeden
       Jahrgang der 63 Schulen im Landkreis Vechta drei mal in ihrer Schullaufbahn
       – in der fünften, siebten und nochmal in der neunten Klasse.
       
       Der nächste Termin für die Klasse der Ludgerus-Oberschule war eigentlich
       für Januar vereinbart. Nun sei er wegen der Aktualität auf Dezember
       vorverlegt worden. Zusätzlich hat Suhr die Beschuldigten zwei Tage nach der
       Verbreitung des Videos getroffen und sie darüber aufklärt, dass dies
       strafbar ist. Zum Teil sei ihnen das trotz seiner Schulungen nicht bewusst:
       „Innerhalb von zwei Jahren vergessen die Schüler auch wieder viel.“
       
       Alle zwei Jahre eine Doppelstunde zu Mediensicherheit – das sei nur
       ausreichend, wenn auch darüber hinaus der Umgang mit neuen Medien in
       anderen Kontexten geübt werde, glaubt der Polizeibeamte. Schuldirektor
       Feldhaus sagt, dass dies in gesonderten Projekttagen und AGs angeboten
       werde. Ein eigenes Medienschulfach hält er nicht für notwendig, da man den
       „kritischen und reflektierenden Umgang mit neuen Medien“ auch in
       bestehenden Schulfächern lernen könne.
       
       Auch die niedersächsische Kultusbehörde sieht keine Notwendigkeit für ein
       eigenständiges Fach zur Medienkompetenz. „Sinnvoller ist aus unserer Sicht,
       Medienkompetenz im konkreten Anwendungszusammenhang aller Unterrichtsfächer
       zu erwerben.“ Das solle in Fächern geschehen, die ethische Dimensionen
       ansprechen und Daten- und Jugendschutzthemen behandeln.
       
       Wie so etwas konkret aussehen könnte, formuliert der Medienpädagoge Moritz
       Becker vom Verein Smiley, der SchülerInnen und LehrerInnen zum Thema
       Medienkompetenz weiterbildet. „Problematische Internetpornografie könnte
       man im Biologie-Unterricht thematisieren und das Erkennen schwieriger
       Quellen und Fake-News im Geschichtsunterricht.“
       
       Schulleiter, Kultusministerium und Präventionsbeauftragter sind sich einig,
       dass Jugendliche einen sicheren Umgang mit den neuen Medien besitzen
       sollten. Verpflichtende Angebote fehlen jedoch. Im Grunde ist es jeder
       Schule selbst überlassen, wie sie das Thema gestaltet.
       
       Der Medienpädagoge Becker betont, dass deshalb viel vom Engagement des
       Lehrpersonals abhänge. Zur Einführung von Medienkompetenz als
       Unterrichtsfach sagt er: „Kurzfristig würde es die Wissenslücken von
       Lehrpersonal und SchülerInnen vermutlich ausgleichen.“ Langfristig sei es
       jedoch keine Lösung. Außerdem gehe es im konkreten Fall eher um Sozial- als
       um Medienkompetenz.
       
       17 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Effenberger
       
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