# taz.de -- Ärztin über Schwangerschaftsabbrüche: „219a gehört nicht in die Demokratie“
       
       > Die Regierung will den Paragrafen 219a verändern – aber an ihm
       > festhalten. „Für uns ist das kein Kompromiss“, sagt die Ärztin Kristina
       > Hänel.
       
 (IMG) Bild: Herbst 2018: Die Ärztin Kristina Hänel vor Beginn des Berufungsprozesses im Gericht in Gießen
       
       taz am wochenende: Frau Hänel, die Ministerien haben nun [1][Eckpunkte] für
       die Zukunft des Paragrafen 219a vorgelegt. Sie haben gesagt, Sie seien
       „entsetzt“. Warum? 
       
       Kristina Hänel: Weil es für uns kein Kompromiss ist. Paragraf 219a soll
       bestehen bleiben, sachliche Informationen werden weiterhin nicht in
       medizinisch ausreichender Form auf den Websites von Ärztinnen und Ärzten
       erscheinen dürfen.
       
       In einem der Punkte heißt es, dass nun rechtlich ausformuliert werden soll,
       „dass und wie“ Ärzt*innen über ihr Tun informieren können. Ist das nicht,
       was Sie wollen? 
       
       Ja, es sieht so aus, als dürften wir bald sagen, dass wir
       Schwangerschaftsabbrüche machen – das ist der einzige Fortschritt. Und dann
       dürfen wir auf die Seiten von staatlichen Stellen verweisen, wo es
       allgemeine Informationen zu den Abbrüchen geben soll. Wofür wir uns
       eingesetzt haben, ist aber nicht erreicht: dass Frauen sich frei und
       umfänglich informieren können. Meine Homepage, wie sie jetzt im Netz steht,
       wäre wohl weiterhin strafbar. Wenigstens bleibt so mein Weg zum
       Bundesverfassungsgericht frei – das ist wohl das einzig Gute an diesem
       Papier.
       
       Warum wäre Ihre Homepage weiterhin strafbar? 
       
       Weil ich dort auch die medizinische Aufklärung, zu der ich als Ärztin den
       Frauen gegenüber verpflichtet bin, zur Verfügung stelle. Also zum Beispiel,
       welche Methoden des Abbruchs und welche Narkoseformen bei mir möglich sind
       und welche Komplikationen es geben kann. Wir verweisen auf die Möglichkeit
       einer Kostenübernahme, und dort steht, was die Frauen mitbringen müssen und
       dass sie eine Begleitperson mitbringen dürfen – alle die Details eben, die
       für Frauen relevant sind, wenn sie vor diesem Schritt stehen. All das
       bleibt, so hat es den Anschein, weiter verboten.
       
       Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, die Bundesregierung werde „genau
       definieren, welche Informationen der Arzt geben darf“. 
       
       Und besonders viel wird das nicht sein. Frauen wollen sich doch von der
       Person, in deren Hände sie sich da begeben, ein Bild machen. Bei einem
       solchen Thema geht es doch schließlich auch um die Haltung des Arztes oder
       der Ärztin. Nicht alle behandeln die Frauen gut. Bei jedem anderen Eingriff
       in Deutschland kann sie sich einen Eindruck auf der Website des Arztes
       holen – nur bei Schwangerschaftsabbrüchen wird es ihr vorenthalten.
       
       Es soll nun etwa bei der Ärztekammer Listen geben, auf denen steht, wer
       Abtreibungen vornimmt. Wäre das Informationsdefizit, mit dem ungewollt
       Schwangere bisher konfrontiert sind, damit nicht behoben? 
       
       Wir haben schon im Dezember vergangenen Jahres solche Listen gefordert, um
       die untragbare Situation für die Frauen abzumildern. Auch da stünden dann
       Namen und Adressen. Aber die Leistungen sind ja sehr unterschiedlich. Viele
       Ärztinnen und Ärzte machen Abbrüche nur bis zur zehnten Woche nach
       Empfängnis, obwohl es bis zur zwölften erlaubt ist. Manche machen nur
       operative Eingriffe, andere medikamentöse. Das so differenziert
       darzustellen wird eine Liste, die ja gepflegt werden muss, nicht leisten
       können. Dass der Staat Verantwortung übernimmt und solche Listen zugänglich
       macht, ist überfällig. Aber es ersetzt nicht meine Informationspflicht als
       Ärztin.
       
       Was ist so wichtig, dass es auf der Seite einer Ärztin stehen muss? 
       
       Nehmen wir nur mal die Kosten. Neulich war eine Frau in meiner Praxis, die
       kein Deutsch konnte. Niemand hat ihr gesagt, dass sie Anspruch auf eine
       Kostenübernahme hatte. Aber ihr Dolmetscher hat ihr vorgegaukelt, die
       Abtreibung koste 1.000 Euro, was völlig überzogen ist. Das Geld hat er sich
       selbst in die Tasche gesteckt – wir haben das erst hinterher erfahren.
       Diese Frau hatte gar keine Gelegenheit, sich zu informieren. So etwas darf
       es nicht geben.
       
       Warum traut sich die Bundesregierung nicht mehr? 
       
       In diesem Papier hat sich die Lebensschützer-Ideologie durchgesetzt –
       deswegen ist es kein Kompromiss, sondern im Grunde ein Zugeständnis an eine
       religiöse Minderheit: an radikale fundamentalistische Gruppierungen
       innerhalb der Christen. Es gibt auf der anderen Seite ja viele Christen,
       Katholiken wie Protestanten, die klar für die Informationsfreiheit für
       Frauen sind.
       
       Wieso verlangen Sie, dass der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch
       verschwindet? 
       
       So etwas gehört nicht in eine Demokratie. Wenn ich als Ärztin rechtmäßig
       handle und Frauen medizinisch behandle, darf ich nicht ins Gefängnis gehen
       müssen, wenn ich darüber informiere. Zumal der Staat verpflichtet ist, für
       genug Einrichtungen zu sorgen, die Abbrüche vornehmen, und ich somit im
       Staatsauftrag handle. In der Realität kann ich ja fast schon froh sein,
       dass ich nicht mehr als Hexe verbrannt werde.
       
       Der Regierungsvorschlag betont den Schutz des ungeborenen Lebens. Wird er
       dem gerecht? 
       
       Es ist erwiesen, dass restriktive Abtreibungsgesetze keine einzige
       Abtreibung verhindern. Um Leben zu schützen, brauchen wir ganz andere
       Dinge; Zugang zu Verhütung, Gleichberechtigung der Geschlechter, eine
       kinderfreundliche Gesellschaft, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt und
       nicht zuletzt Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Nicht umsonst
       steht die Abtreibungspille Mifegyne auf der Liste der „essential drugs“ der
       WHO. Selbst wenn sie mit Todesstrafe belegt ist, finden Frauen in Not den
       Weg zu einer Abtreibung. Aber es ist absurd, zu glauben, eine Frau würde
       sich durch Informationen zu einem Abbruch verleiten lassen. Das ist ein
       entwürdigendes Frauenbild.
       
       An diesem Samstag sind seit Ihrer [2][ersten Verurteilung] 387 Tage
       vergangen. Sie haben damals gesagt, Sie seien Marathonläuferin und hätten
       einen langen Atem. Muss der jetzt doch länger sein als gedacht? 
       
       Daran habe ich in den letzten Tagen auch ein paarmal gedacht. Als ich vor
       dem Landgericht in zweiter Instanz verurteilt wurde, dachte ich, ich wäre
       schon beim Hammermann angekommen – also an dem Punkt, an dem der Körper
       nicht mehr weiterwill. Das war schon ein Schlag in den Magen. Aber jetzt
       denke ich: Ein Marathon entscheidet sich nicht auf den ersten Kilometern.
       Das wird noch ein langer Weg. Aber ich stehe hier für so viele Menschen
       ein, das gibt Kraft. So viele betroffene Frauen haben mir gesagt, wie
       wichtig es ist, dass ich diesen Kampf für sie führe.
       
       Ihr Fall hat in Deutschland die erste Debatte seit Jahrzehnten über
       Schwangerschaftsabbrüche, die in Deutschland ja eine Straftat sind,
       ausgelöst. Wie kommt das? 
       
       Wir haben alle gedacht, es läuft schon irgendwie. Und so haben wir nicht
       gemerkt, dass die Rechten das Feld für sich besetzt haben. Wir haben die
       Leute, die ihren Angriffen ausgesetzt waren, alleingelassen. Die Hunderte
       angezeigten Ärzte sind einfach im Nirwana verschwunden und haben aus Angst
       nachgegeben. So sind auch die letzten Informationen, die Frauen doch
       brauchen, aus dem Netz verschwunden. Übrig geblieben sind diese widerlichen
       Seiten der Abtreibungsgegner, auf denen Abbrüche mit dem Holocaust und wir
       mit Mörderinnen gleichgesetzt werden. All das haben wir zugelassen. Aber
       damit ist jetzt Schluss, und das hat dieses Jahr gebracht, und das ist
       wunderbar.
       
       14 Dec 2018
       
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