# taz.de -- Die Wahrheit: Hitler hatte kein Asthma
       
       > Aufruhr unter den Filmbösewichten in Hollywood: Es soll keine Narben oder
       > andere deutliche Stigmata im Film mehr geben dürfen.
       
 (IMG) Bild: Lord Darth Vader einmal ganz privat
       
       Man duzt Darth Vader nicht. Selbst wenn er sich einem mit typisch
       amerikanischer Freundlichkeit vorstellt: „Nennen Sie mich Darth!“ Erst
       einmal muss das Blut in den Adern wieder auftauen, nachdem es schier
       gefroren ist, als der dunkle Lord den Raum betrat und mit seinem dröhnenden
       Bass die Wände erzittern ließ.
       
       Wir sind zum Interview verabredet in einem unscheinbaren Bürogebäude am
       Hollywood Boulevard, nahe dem Chinese Theatre, wo jedes Jahr die
       Oscar-Verleihung stattfindet. Dort residiert die mächtige BGG, die Bad Guys
       Guild. In der Gewerkschaft der Film- und Fernsehbösewichte muss jeder
       Mitglied sein, der es auf der dunklen Seite Hollywoods zu etwas bringen
       will. Dazu gehören die großen Antihelden von Hannibal Lecter bis Voldemort,
       wie auch sämtliche Bond-Schurken von Dr. No bis May Day. Es gibt
       Unterabteilungen für Trickfilmfiguren wie den Atomkraftwerkbesitzer Charles
       Montgomery Burns aus den „Simpsons“, für Zwischenwesen wie die Nazgûl aus
       dem „Herrn der Ringe“ und sogar eine eigene Tiersektion, deren
       Abteilungsleiter der Weiße Hai ist. Präsident der BGG ist derzeit der
       Joker, dessen Wahl vor zwei Jahren endgültig die Bedeutung der Comicfiguren
       für Hollywood unterstrichen hat.
       
       „Mir geht es blendend“, antwortet der galaktische Lord keuchend auf die
       Frage nach seinem Befinden. „Ich bin immer noch sehr gut im Geschäft.“ Dann
       zeigt er mit seinem schwarzen Panzerfinger auf das Wappen der Bad Guys
       Guild an der Wand und ihrem Motto: „Semper immortalis“.
       
       Tatsächlich sind die meisten Bösewichte unsterblich. Zwar werden sie
       ständig in die Luft gesprengt, Abgründe hinabgestoßen oder sogar in
       glühendem Stahl aufgelöst, aber weil sie für die Filmindustrie zu wichtig
       sind, sind sie nicht unterzukriegen. In Sequels und Prequels tauchen sie
       stets wieder auf und werden von immer neuen Darstellern verkörpert. „Mir
       kann keiner etwas, außer meiner Frau!“, lacht Vader, der inzwischen fester
       Bestandteil der Populärkultur ist und sich uns als netter Kerl von nebenan
       und treusorgender Ehemann präsentiert.
       
       Doch der schöne Schein trügt. Unter den Bösewichten herrscht helle
       Aufregung. Kürzlich hat das British Film Institute bekanntgegeben, dass es
       künftig keine Drehbücher mehr fördern wird, in denen Menschen mit durch
       Narben entstellte Gesichtszüge als Schurken vorkommen. Eine Figur wie zum
       Beispiel Scarface wäre dann nicht mehr möglich. Dabei soll der
       narbengesichtige Verbrecher, der seit dem Brian-de-Palma-Film von 1983
       berühmt für seinen Furor ist, demnächst in einem Remake erneut sein ganzes
       brutales Können beweisen.
       
       ## Schurken als Vorbild
       
       Werden also bald in Hollywood nur noch schöne Schurken Arbeit finden? Der
       dunkle Lord erkennt zumindest die Vorbildfunktion für betroffene Menschen
       an: „Aber die Gezeichneten können sich auch einfach mich als
       Identifikationsfigur wählen. Ich habe es doch schließlich weitgebracht.“
       
       „Wehret den Anfängen!“, warnt Vader, der weitreichende Auswirkungen auf das
       Gewerbe befürchtet. „Wir sind die Nächsten“, behauptet er und röchelt, um
       auf das nach der Narbe bekannteste Merkmal aller Bösewichte anzuspielen.
       „Sehen Sie, seit der Erfindung des Inhalators in den Fifties ist der
       asthmatische Schurke fester Bestandteil unserer Branche. Im Jahr 1962 ist
       mein geschätzter Kollege Red Lynch, gespielt von Ross Martin in ‚Experiment
       in Terror‘, der Erste gewesen. Lynch hat viele Nachfolger inspiriert – wie
       auch mich, dem das Asthma-Schurkentum mit den ‚Star Wars‘-Filmen ab 1977
       seinen endgültigen Durchbruch verdankt.“
       
       Den Einwand, dass Darth Vader eigentlich gar kein Asthma habe, wischt der
       Fürst der Finsternis beiseite, gibt aber zu, dass er eher an einer Art
       kosmischem Asthma leide. Seine Lungen seien bei einem Kampf über einer
       Lavagrube verätzt worden. „Wenn mein Röcheln kein Asthma ist, dann heiße
       ich John Doe“, spottet Vader.
       
       Ob denn die Zuschauer heutzutage wirklich auf die ausgeklügelten
       Darbietungen der Asthma-Schurken verzichten wollen, fragt er sich. Wie
       Little Junior Brown, gespielt von Nicolas Cage 1995 in „Kiss of Death“, der
       als Obergangster nur das Metall der Pistole im Mund schmecken muss, um
       völlig außer Atem zu geraten. Oder Silvio Dante bei den „Sopranos“,
       verkörpert seit 1999 von Steve Van Zandt, der immer dann seinen Inhalator
       braucht, wenn er als Vertreter des Mafiabosses Tony Soprano überfordert
       ist. Oder Wheezy Joe, grandios gegeben von Irwin Keyes in dem
       Coen-Brothers-Film „Intolerable Cruelity“ von 2003, der als Mietkiller
       George Clooney klarmacht, warum er der Keuchende Joe genannt wird. Oder Le
       Chiffre, der in Gestalt von Mads Mikkelsen 2006 in „Casino Royale“ das
       doppelt Böse darstellt, da er sowohl Asthmatiker als auch Narbengesicht
       ist. Lord Vader gerät bei seiner Aufzählung regelrecht ins Schwärmen.
       
       Der nächste Schritt einer immer spießiger und korrekter werdenden
       Gesellschaft sei es, nicht nur die Narben-, sondern auch die Asthmafilme
       unter dem Deckmäntelchen der medizinisch-psychologischen Fürsorge zu
       verbieten, meint Vader. „Sehen Sie, die größte Bestie aller Zeiten, Adolf
       Hitler, hatte kein Asthma. Aber um das Böse schlechthin zu zeigen, braucht
       es banale Mittel. Und wenn uns die genommen werden, dann hätten wir wieder
       Verhältnisse wie in den fünfziger Jahren. Damals gab es einen Zensur-Codex,
       der darüber wachte, dass keine Toiletten, kein Sex, keine Gewalt im Film
       erlaubt waren. Wo bleibt da die künstlerische Freiheit?“
       
       ## Nicht vorzeigbare Schurken
       
       Es stimme schon, nicht jeder Asthma-Schurke sei vorzeigbar. Besonders beim
       Horrorfilm gebe es ein paar Gestalten, die „völlig durchgeknallt“ sind, wie
       Vader sich unmissverständlich ausdrückt. Der Sith-Lord nennt Darren Mullet
       in „Tormented“ von 2009, der als übergewichtiger Internatszögling von
       mehreren Mitschülern gemobbt wird, sich das Leben nimmt, jedoch als Zombie
       wiederkehrt, um seine Feinde umzubringen. „Und obwohl er untot ist, greift
       er immer noch dauernd zum Inhalator. Crazy!“ Genau wie Huff in „Big Bad
       Wolf“ von 2013. „Der terrorisiert drei Frauen und verwandelt sich jedes Mal
       in eine Art Hulk, wenn er seinen Inhalator benutzt. Irre!“
       
       „Oder ganz schlimm“, schüttelt Lord Vader den Helm bewehrten Kopf, „der
       widerwärtigste Spielfilm aller Zeiten: ‚The Human Centipede II‘ von 2011.“
       Der übergewichtige, unter seiner Mutter leidende Parkhauswächter Martin
       entführt und foltert Menschen, um sich seinen Traum von einem menschlichen
       Tausendfüßler zu verwirklichen, indem er Münder an After näht. „Und was ist
       Martin? Natürlich Asthmatiker! Das krankeste Stück Film, das je einem
       menschlichen Hirn entsprungen ist“, gruselt sich Vader angeekelt.
       
       Doch habe er durchaus Hoffnung für die Zukunft, versichert Vader. Neulich
       habe er beim „CSI“-Spinoff „Cyber“ in einer Folge von 2015 mit dem Titel
       „Crowd Sourced“ den vielversprechenden Cyber-Terroristen Tobin gesehen, der
       aus dem Gefängnis heraus verheerende Bomben in Washington platziert und bei
       der Vernehmung an seiner Asthmaflöte nuckelt.
       
       Aber warum macht eigentlich den Menschen eine Krankheit wie Asthma solche
       Angst? „Wissen Sie, wenn jemand niest, finden wir das lustig und wünschen
       ihm fröhlich ‚Gesundheit‘. Wenn jemand hustet, erschrecken wir und erinnern
       uns unbewusst an die schreckliche Pest des Mittelalters. Die begann immer
       mit einem Husten. Und mit dieser Angst spielen wir dunklen Künstler, und
       das wollen wir auch weiterhin!“
       
       So kämpferisch, wie sich Lord Vader gibt, muss man sich wohl keine Sorgen
       um die Zukunft der Filmbösewichte machen. Routiniert platziert der dunkle
       Lord zum Abschied einen Scherz, den er sicher schon zigmal bei Fantreffen
       untergebracht hat: „Und nicht vergessen, Mike! Ich bin dein Vater!“ Röchel,
       röchel.
       
       12 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
       ## TAGS
       
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