# taz.de -- nord🐾thema: Geschenke gegen den Straßenblues
       
       > Seit vier Jahren können HamburgerInnen Obdachlosen Weihnachtswünsche
       > erfüllen. Vor allem möchte die Aktion des Vereins „Straßenblues“ einen
       > Austausch auf Augenhöhe
       
 (IMG) Bild: Horst und seine Beschenkerin beim „Straßenweihnachtswunsch 2016“ im Hamburger Jesus Center
       
       Von Philipp Effenberger
       
       Was wünschen sich eigentlich Obdachlose zu Weihnachten? Wer über diese
       Frage schon einmal nachgedacht hat oder Wohnungslosen zu Weihnachten eine
       kleine Freude machen möchte, der kann beim Projekt
       „Straßenweihnachtswunsch“ einen Blick in den Straßenwunschzettel werfen.
       Der gemeinnützige Hamburger Verein „Straßenblues“ befragt seit 2015
       alljährlich Obdachlose und stellt eine Wunschliste zusammen. Vieles dreht
       sich in der kalten Jahreszeit um dicke Schlafsäcke und wasserdichte
       Winterjacken. Doch einige Wünsche überraschen auch und zeigen, wie wenig
       Menschen mit Wohnungen über die Menschen auf Hamburgs Straßen wissen.
       
       Ein kleiner Ausschnitt: Enrico ist Filmliebhaber und wünscht sich zu
       Weihnachten einen Gutschein für ein Hamburger Programmkino. Kais
       Weihnachtswunsch ist ein einfaches Prepaid-Handy, um erreichbar zu sein und
       Bekannte anrufen zu können. Ömer braucht warme Winterschuhe, aber am
       liebsten in Form eines Gutscheins, denn die Schuhe sollen ja auch passen.
       Ronny wünscht sich ein Fahrrad, gern auch mit Anhänger für seinen Hund
       Simba. Lorenz wünscht sich einen gebrauchten Laptop, denn der ehemalige
       Buchautor möchte wieder schreiben. Kalle würde sich über ein kleines Radio
       freuen, um Musik hören und Fußballspiele verfolgen zu können. Und Rafael
       ist Raucher und wünscht sich ganz bescheiden nur etwas Tabak.
       
       Zwei Stunden Zeit miteinander
       
       Dass viele dieser Wünsche in Erfüllung gehen, ist dem Projekt von Nikolas
       Migut zu verdanken. Er fragt Obdachlose in den Unterkünften oder direkt auf
       der Straße nach ihren Weihnachtswünschen, listet sie auf und verbreitet sie
       in Text- und Videoform in den sozialen Netzwerken und auf seiner Homepage
       www.strassenblues.de. Das Prinzip ist einfach: Freiwillige suchen sich aus,
       was sie verschenken möchten und melden sich per Mail bei „Straßenblues“.
       Die WünscherInnen und SchenkerInnen werden während der Bescherung
       vermittelt.
       
       Zwar dreht sich vieles am diesjährigen dritten Adventssonntag um die
       Geschenke, doch eigentlich geht es beim Projekt gar nicht darum. „Das Ziel
       ist nicht der materielle Austausch, sondern der Austausch untereinander“,
       sagt Migut über sein Projekt. Der Rahmen der Veranstaltung schaffe es, dass
       der Austausch auf Augenhöhe stattfinde. Auch die Obdachlosen haben meist
       eine Kleinigkeit dabei.
       
       Angefangen hatte alles im Jahr 2012. Ursprünglich kommt Initiator Migut aus
       der Nähe von Stuttgart, wohnt aber bereits seit 10 Jahren in Hamburg. Seit
       rund 20 Jahren arbeitet der 41-jährige unter anderem als Redakteur und
       Dokumentarfilmer. Migut drehte eine Reportage in der Bahnhofsmission am
       Zoologischen Garten in Berlin, als ihm der wohnungslose Kölner Alex vor die
       Linse lief. Migut begleitete ihn die restliche Nacht mit der Kamera und
       produzierte zwei Kurzfilme mit dem Material. Einer der Filmtitel entsprang
       Alex tief-traurigen Geschichten über das Leben auf der Straße:
       Straßenblues. Den gleichen Namen trägt nun Miguts Projekt. 2015 ging die
       Internetseite online, ein Jahr später gründete Migut einen Verein.
       
       Als Dokumentarfilmer hatte er feststellen müssen, dass seine Arbeit zwar
       einige Menschen berührte, jedoch immer nur kurzfristig. „Ich will länger
       und nachhaltiger wichtige Themen wie Obdachlosigkeit begleiten“, sagt Migut
       über das Ziel seiner Arbeit.
       
       Die Bescherung wird dieses Jahr ähnlich wie die Jahre zuvor ablaufen. Die
       geladenen Gäste, circa 40 Obdachlose und noch mal so viele SchenkerInnen,
       kommen nachmittags zu Kaffee und Kuchen zusammen und nach einer kurzen
       Ansprache beginnt die Bescherung. Die Freiwilligen und die Beschenkten
       sitzen sich gegenüber und haben über zwei Stunden Zeit, miteinander zu
       sprechen. „Das ist für viele richtig berührend“, erinnert sich Migut an die
       letzten Jahre. „Horst, der schon ein paar Mal dabei war, hat sich
       Schlittschuhe gewünscht und das Geschenk von zwei Frauen bekommen. Die
       haben sich richtig gut verstanden, am Ende herzlich umarmt und sind
       mehrmals im Winter in Planten un Blomen gemeinsam Eislaufen gewesen.“ Das
       Schönste sei, wenn am Ende des Abends etwas Nachhaltiges entstehe.
       
       Mit nur fünf Obdachlosen ging es 2015 los. Migut und sein Team fragten sie
       in Hamburg nach ihren Weihnachtswünschen und stellten den übersichtlichen
       Wunschzettel ins Netz. „Innerhalb von wenigen Tagen haben wir 2.500 Mails
       bekommen von Menschen, die spenden wollten.“ Die Veranstaltung sei völlig
       überlaufen gewesen, aber das Prinzip habe funktioniert.
       
       Berührende Geschichten
       
       In den letzten Jahren erreichten „Straßenblues“ viele Anfragen, ob sie das
       Projekt auch in anderen Städten umsetzen können. Migut kann sich das zwar
       vorstellen, doch bis dahin sei noch viel zu tun. Man brauche Kooperationen
       mit anderen Städten, ausreichend Ehrenamtliche, eine Location und eben auch
       ein Video-Team. Denn das visuelle Storytelling sei ein wichtiger
       Bestandteil des Projekts, um die Anliegen für Obdachlose in die
       Öffentlichkeit zu tragen, so Migut. „Videos berühren einen mehr als es ein
       Text oder ein Bild kann und transportieren Emotionen am einfachsten.“
       
       In einem der Videos ist auch der Wohnungslose Rolf zu sehen. Er wünschte
       sich 2016 eine dicke Decke und etwas Futter für seinen Hund. Bei der
       letzten Bescherung lernte er eine Gruppe von Frauen kennen, die ihm nicht
       nur diesen Wunsch erfüllten, sondern ihn über Monate hinweg in der
       Mönckebergstraße besuchten und unterstützten. Der Wunsch nach nachhaltiger
       Hilfe, hier ging er in Erfüllung.
       
       Ein Wunsch von Rolf für alle Hamburger Obdachlosen ist allerdings bis heute
       unerfüllt: Ein rund um die Uhr geöffnetes Winternotprogramm. Denn momentan
       öffnen die Einrichtungen erst um 17 Uhr und am nächsten Morgen um 9 Uhr
       werden alle wieder rausgeworfen. „Jeder möchte eine ganze Wohnung haben.
       Eine 24-Stunden-Wohnung. Das gehört sich einfach so“, sagt Rolf.
       
       Wer Wünsche erfüllen möchte, findet sie auf www.strassenblues.de und
       schreibt eine E-Mail an weihnachtswunsch@strassenblues.de. Das Geschenk
       kann nach persönlicher Einladung am So, 16. 12., von 15 bis 18 Uhr in
       Hamburg übergeben werden
       
       8 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Effenberger
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA