# taz.de -- Eine trans* Utopie für die Türkei: Gleich einer Zauberfee
       
       > Was wäre, wenn eine trans*-Präsidentin regieren würde?
       > taz.gazete-Kolumnistin Michelle Demishevich blickt in die Zukunft und
       > entdeckt Erstaunliches.
       
 (IMG) Bild: Willkommen in der Republik Istanbul
       
       Wir schreiben das Jahr 2028. Im Rückblick scheinen mir die Jahre wie im
       Flug vergangen. Nur mein Kampf gegen Staats- und Männergewalt ist mir im
       Gedächtnis geblieben. Was ich erreicht habe und wie ich mein Leben heute
       führe, macht mich froh. Denn unsere Staatschefin ist die trans*Frau Süreyya
       Kürcü von der Queer Demokratischen Partei. Sie ist eine hervorragend
       ausgebildete moderne Politikerin Mitte 30. Ihre Wahl feierten wir damals
       die ganze Nacht hindurch auf den Straßen.
       
       Sie gehörte zu den Pionier*innen im Kampf für die Loslösung Istanbuls von
       der Türkei, das den Status einer unabhängigen Republik erhielt. Ihr
       Engagement brachte ihr die Präsidentschaft. Die 85 Prozent, mit denen die
       Istanbuler*innen sie gewählt haben, zeigen, dass sie die Präsidentin aller
       ist. Präsidentin Kürcü sorgte für die Vollmitgliedschaft Istanbuls in der
       EU.
       
       Große Unternehmen siedelten sich an, kaum jemand ist noch arbeitslos. Alle
       Bürger*innen haben das Recht auf gute Bildung und soziale Sicherheit. Die
       Medien können schreiben und senden, die Menschen sagen, was sie wollen. Wir
       sind inzwischen der Vorzeigestaat in der EU.
       
       Die City of Shilee, das ehemalige Şile am Schwarzen Meer, ist die
       Touristenattraktion in Südosteuropa, sie trägt erheblich zum Wohlstand der
       Republik bei. Was die Politiker in der Türkei all die Jahre nicht
       schafften, setzte eine trans*Frau ohne viel Federlesens um. Gleich einer
       Zauberfee schuf sie für uns ein glückliches, friedliches Leben in
       Sicherheit.
       
       ## Der Bosporus ist wieder türkis
       
       Heute gelten wir als die zweite Schweiz. Seit Englisch als
       Unterrichtssprache eingeführt wurde, kamen wir in Wissenschaft, im
       Rechtswesen, in der Kunst enorm voran. Niemand darf weniger als 2.000 Euro
       verdienen. Hässliche Betonklötze, protzige und extrem hohe Gebäude wurden
       abgerissen und durch ökologische Bauten ersetzt. Die Menschen erholen sich
       in Parks und auf Wiesen. Das Wasser im Bosporus schimmert inzwischen wieder
       türkis. Die Lokale an den Küstenstreifen von Istanbul füllen sich Abend für
       Abend mit Menschen, die es sich bei Rakı und Fisch gutgehen lassen.
       
       Für die Weltgeschichte war es ein Novum, dass Menschen nahezu jeder
       Ideologie und Identität in der Republik Istanbul eine trans*Frau zur
       Staatschefin gewählt haben. In den USA, die als fortschrittlichste
       Demokratie der Welt gelten, gab es bislang nicht einmal eine Präsidentin.
       
       Als Dienstwagen fährt Präsidentin Süreyya Kürcü einen rosa VW-Käfer Modell
       1970. Millionenschwere Schiffe oder Privatjets besitzt sie nicht. Für
       Auslandsreisen nutzt sie die Linienflüge von Istanbul Airlines. Unsere
       Präsidentin hat 30 Tage Jahresurlaub – wie alle anderen. Ihr*e Partner*in
       und sie leben in einem Landhaus in der City of Ergiske, dem ehemaligen
       Çatalca. Als Haushaltshilfe ist eine einzige Person angestellt.
       
       Die trans*Frau als Präsidentin und die junge Republik Istanbul sind ein
       wunderbares Beispiel gegen die Männerherrschaft, die uns jahrelang
       aufgezwungen wurde. Eine andere Welt ist möglich: bunt, friedlich und ohne
       Ansehen des Geschlechts – in Istanbul 2028.
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe 
       
       Das neue Journal: Dieser Artikel ist im zweiten gazete-Journal erschienen.
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       4 Jan 2019
       
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