# taz.de -- Mach’s gut, altes Haus
       
       > Alles in diesen Mauern atmet Geschichten. Ein letzter Rundgang durch die
       > Rudi-Dutschke-Straße 23
       
 (IMG) Bild: Das Klo im 4. Stock
       
       ## Der Fahrradständer
       
       Der Fahrradständer der taz ist eine Weltraumschleuse. Hier werden aus
       gefürchteten oder geachteten Fachredakteuren für Dings oder Bums wieder
       Menschen. Sie tragen dann schiefe Fahrradhelme und schieben klapprige Räder
       mit Kindersitzen. Der Fahrradständer ist eine ziemlich exakte Uhr: Um 9 Uhr
       ist noch fast alles leer. Um 9 Uhr 15 kriegt man gerade noch so einen
       Platz. Um 9 Uhr 30 muss man am Zaun anschließen. Der Fahrradständer ist ein
       Kalender: Im Sommer kommen sogar die Schönwetterradler und nehmen den
       echten Radlern mit ihren wasserfesten Fahrradtaschen die Stellplätze weg.
       
       Am schönsten aber ist es, nach Feierabend am Fahrradständer zu stehen und
       die Touristen anzuschauen, die ungläubig kichernd, den Kopf im Nacken, das
       Kunstwerk von Diekmanns Penis an der Hauswand der taz bestaunen und dann
       ein Foto machen. Sie sehen immer aus, als würde eine Schülergruppe über die
       Reeperbahn laufen. Ich bin mir sicher: Würde die taz für jedes
       Touristenfoto der Hauswand einen Euro kassieren, hätten wir das neue Haus
       bar bezahlen können. Kersten Augustin
       
       ## Der Bürgersteig
       
       Kopfhörer, Kopftücher, Anzüge und Handys, ein Hut, ein Schnauzer, die
       Rollkoffer. Eine Frau, der zwei goldene Ballons hinterher wehen, die eine
       „20“ formen. Links, am Checkpoint Charlie, bricht sich das Herbstlicht in
       den Fenstern der Hochhäuser, rechts ist die Litfaßsäule – und gegenüber,
       bei Tim Raue, jenem eher arg teuren Restaurant, noch zu. Dort, hinter den
       Scheiben, jedenfalls bis 17 Uhr: schwere, graue Vorhänge, die „uns“ von
       „denen“ trennen.
       
       Ein bisschen fühlt es sich an wie im Zentrum der Welt – zwischen Raue und
       Redaktion, an den Tischen auf dem Gehweg vorm taz Café. Ich meine, bleiben
       wir großspurig: wenn nicht hier, wo dann?
       
       Man hört hier alles und riecht eine Menge. Die Abgase des M29 etwa, der
       Richtung Neukölln fährt oder woandershin, wo man nie ist. Früh morgens oft
       einen Parfümstoß, da sind die Leute frisch geduscht. Meist laufen sie die
       Rudi-Dutschke-Straße entlang, als müssten sie zu einem wichtigen Termin in
       Manhattan, crazy busy, oder, ganz anders: als schlenderten sie über eine
       Promenade in Südfrankreich. Manchmal klingt es auch nach Savoir-vivre, wenn
       hier ein Lkw hupt – als lege gerade eine Fähre vom Hafen ab.
       
       An einem Tisch vorm taz Café kann man den Menschen ansehen, ob gerade
       wieder Fashion Week ist. Und dann zieht vielleicht eine Pferdekutsche
       vorüber. Man kann für sich sein, bleibt aber nie allein – die beiden
       Großraucher der taz sagen, „Guck, da: arabisch, holländisch. Die Touristen
       gehen ins Hostel, die Prekären ins Jobcenter“ und „wann sind Sprüchepullis
       bloß in Mode gekommen?“ Die Layouterin sagt, sie habe letzte Nacht in
       ihrem Bus geschlafen, der um die Ecke steht, weil ihre Schicht gestern so
       lang war. Am Morgen hat sie sich noch schnell ein T-Shirt beim Discounter
       gekauft, zum Wechseln.
       
       Dann kommt ein Lieblingskollege, er lacht über meinen Stift und meinen
       Block. „Harte Recherche!“, sagt er, fragt: „Kaffee?“, bringt zwei Becher,
       dreht sich eine Zigarette, und dann schauen wir zusammen ein vorvorletztes
       Mal die Fassade des Gebäudes hoch.
       
       Annabelle Seubert
       
       ## Die Empore
       
       Das Geheimnis dieses Lieblingsorts kennen nur wenige, eine
       Berlin-Redakteurin gehört dazu, eine von der Meinungsseite, früher die
       stellvertretende Ressortleiterin des Wochenendteils. Und ich. Bei vielen
       geheimen Plätzen ist es so, dass sie ihren Zauber nur zu bestimmten Zeiten
       haben. So ist das auch auf der Empore des taz Cafés, die Lieblingszeit
       dieses Lieblingsorts ist zwischen acht und neun in der Früh.
       
       Bevor ich den Platz nehme, gehe ich unten an den Tresen, der Kollege oder
       die Kollegin sagt etwas Freundliches oder nimmt mich etwas hoch, es ist auf
       jeden Fall immer angemessen. Ich bekomme aufs Tablett einen doppelten
       tazpresso, eine kleine Orangensaftschorle, die genau wie ein Capri-Eis
       schmeckt, eventuell einen einzelnen taz-Brownie. Die taz nehme ich mir vom
       Stapel.
       
       Oben auf der Empore leuchtet die Morgensonne, ich habe die Eingangstür im
       Blick. Dann lese ich – und wenn ich von der Zeitung aufschaue, kommt oft
       gerade eine Kollegin oder ein Kollege ins Haus. taz, tazler, taz, tazlerin,
       taz, tazlerin. Man trinkt tazpresso, liest die taz, und es wirkt, als
       spazierten die tazler im Sonnenlicht aus den Artikeln der Zeitung heraus.
       Georg Löwisch
       
       ## Das Entree
       
       Echter, schwerer, hie und da leicht angeschlagener Marmor an den Wänden! In
       Schokosahnepuddingbraun, elfenbeinfarben gesprenkelt! Große, schön
       schlierige Spiegel! Und: Reliefs! Zweidimensionale Wandbilder von antiken
       Gottheiten! Es gibt keinen eleganteren Ort in der taz als den
       Eingangskorridor des alten Haupthauses. „Juhu! Endlich habe ich es jetzt
       auch mal in großbürgerliche Kreise geschafft!“ – so konnte man kurz
       träumen, wenn man diesen Weg in die Redaktion wählte, statt quer durchs
       poppig rote taz Café ins Treppenhaus zu spazieren.
       
       Das Gebäude stammt aus der Zeit um 1910, als es gesellschaftlich noch etwas
       hermachte, bei einer Zeitung zu arbeiten, und als rund um die Kochstraße
       ein blühendes Verlagsviertel entstand. Der Architekt Carl Kühn mixte ein
       bisschen Neobarock mit einem Schuss Jugendstil. Zu den Erstmietern zählten
       angeblich ein Inkassounternehmen und eine Stummfilmproduktion. Die Götter
       im Entrée sollten ihnen wohl gute Geschäfte bescheren. Bis heute halten
       dort Venus, Amor, Merkur und Vulcanus die Stellung. Sie haben mir zum
       Feierabend immer zugezwinkert, vor allem der kleine Amor natürlich – ich
       schwöre! Ach, ich werde sie vermissen. Katja Kullmann
       
       ## Der Konferenzraum
       
       Wenn wir Wikipedia nicht hätten, wüssten wir nicht: „Ein Konferenzraum ist
       ein meist speziell ausgestatteter Raum zur Abhaltung von Konferenzen,
       Tagungen, Symposien, Kongressen, großen Besprechungen und Versammlungen.“
       Da die taz einen solchen hat, wissen wir aber auch: Er steht meistens leer.
       Oft wird er nur zur Morgenkonferenz genutzt. Manchmal kommen „Gäste“ zum
       Zuhören und setzen sich in die zweite Reihe vor die großen Topfpflanzen am
       Fenster. Wenn sie aufstehen, brechen sie oft Blätter oder ganze Zweige ab
       mit ihren Stühlen. Dann schimpft ihr Betreuer über diese „Scheißökos“ in
       einer Hausmail. Am Ende des Panoramafensters befindet sich eine
       Eisengittersäule, durch die Kabel nach oben führen. Daran lehnte eine
       Yuccapalme, die vier Meter hoch gediehen war und aus dem Topf zu kippen
       drohte.
       
       Dann befestigte jemand von der EDV einen Router an der Säule, damit die
       Konferenzraumnutzer Internetanschluss haben – mit der Folge, dass der Yucca
       ringsum alle Blätter abstarben. Sie bekam einen anderen Fensterplatz, an
       ihre Stelle wurde eine auch sehr große Birkenfeige gestellt. Diese war
       anscheinend Kummer gewohnt, oder jedenfalls sah man ihr auch nach zwei
       Jahren nichts an, vielleicht waren ihre viel dünneren kleinen Blätter
       strahlenresistenter als die harten großen der Yucca, die ansonsten fast
       unverwüstlich ist. Die Birkenfeige wirkt dagegen sensibel, wenn man so
       sagen darf. Solche Gedanken kommen einem im Konferenzsaal, wenn nicht
       gerade zwischen 9 Uhr 45 und 10 Uhr 45 die Weltläufe dort durchgehechelt
       werden.
       
       Die Welt wird uns vernichten, könnten die Pflanzen, denen die
       Konferenzstühle dabei oft zu nahe kommen, auch sagen. Helmut Höge
       
       ## Die Raucherecke
       
       Dort, wo die Raucherecke sein sollte, war immer schon besetzt. Ein alter
       Einkaufswagen, in dem leere Bierflaschen zwischen dem verschmierten
       Putzzeug der Reinigungskräfte übernachteten, hatte dort seinen Stammplatz
       gefunden. Am Ekelwagen musste man sich nun, vom Konferenzraum kommend,
       vorbeiquetschen, um in den letzten Raucherbereich der taz zu gelangen: ein
       Quadratmeter Treppenabsatz vor einem großen Fenster. Auf dem Fenster
       prangte ein großer Aufkleber, auf dem in einem roten Kreis eine Zigarette
       abgebildet und durchgestrichen war. Trotz des Verbots hingen dort vor und
       nach jeder Konferenz und Versammlung alle Raucher rum.
       
       Das allein wäre völlig uninteressant gewesen, wenn nicht ständig die
       Nichtraucher dabeigestanden hätten. Denn hier wurde geredet. Hin und wieder
       über das, was in die Zeitung sollte. Meistens aber über die, die die
       Zeitung machten. Also hängten sich die Nichtraucher ans Treppengeländer,
       ließen sich von der Decke baumeln oder stellten sich zu den Bierflaschen in
       den Einkaufswagen, um mitreden zu können. Die Raucherecke stand im
       Verdacht, Palastrevolutionen, Übernahmestrategien und andere Umstürze zu
       planen und zu koordinieren. Dabei passierte dort nur eines: Viel Rauch um
       sehr viel Worte. Doris Akrap
       
       ## Die Lounge
       
       Ich bin gern hier in der Lounge. Hier trifft man Leute, die sich Kaffee
       holen, und man kann Leute sehen, die schlechte Laune haben. Die knallen
       dann ihre Tassen auf die Spüle. Oder so wie jetzt: Die Leute unterhalten
       sich, Martin holt sich gerade Kaffee und hat einen Filzstift in der Hand.
       Und ich sitze auf der Couch.
       
       Irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Wand gegenüber zu weiß ist und zu
       hässlich. Da musste ich die anmalen. Ich hab erst mit dem Hasen angefangen
       und dann den Koch gemalt. Dann kam die Schrift dazu, die Sätze hab ich aus
       der taz abgeschrieben: „Wir sind alle Menschen“. Und: „Stoppt das Sterben,
       nicht die Retter“. Ich wünsche mir, dass das auch so bleibt, wenn wir
       ausziehen. Das ist Kunst. Wenn einer die Kunst anrührt, gibt’s Ärger.
       
       Christian Specht
       
       ## Der Fahrstuhl
       
       Worauf ich mich im neuen Haus am meisten freue? Auf den neuen Fahrstuhl.
       Den alten hasse ich. Für Lasten ist er gemacht, nicht für Menschen, und
       trotzdem fahren Menschen damit. Täglich. Bestimmt über hundertmal. Wenn
       nicht gerade ein kleiner Zettel in jeder Etage an seiner Tür hängt: „Der
       Aufzug ist kaputt. Otis ist informiert“. Dann kommen irgendwann zwei
       Arbeiter in Blaumännern, sie turnen auf dem Fahrstuhl herum – ja, obendrauf
       –, und dann geht er wieder. Manchmal einige Wochen, manchmal auch nur
       wenige Tage. Dann muss man sich wieder sechs Etagen ins Dachgeschoss
       schleppen, man hustet und pustet und schimpft – und denkt, ach, lieber
       Fahrstuhl, so schlecht bist du doch gar nicht.
       
       Die Fahrt ja ohnehin jedes Mal ein Erlebnis. Zu beiden Seiten offen, da
       rauscht auf der einen die milchige Glaswand vorbei, auf der anderen graues
       Metall zwischen den Geschossen. Aber bloß nicht hinfassen, sonst löst die
       Lichtschranke aus, es piept laut, man bleibt stecken und muss diverse
       Knöpfe drücken, bis es weitergeht. Das Erste, was neue KollegInnen hier
       lernen: Bloß nicht in die Lichtschranke kommen!
       
       Auf dem Weg nach oben passiert man fünf Etagen, in fast allen ein kleines
       Fenster, durch das man manchmal wartende KollegInnen sieht, denen man
       hinterherwinkt, weil der Fahrstuhl mal wieder nicht hält. Wenn er denn
       hält, hält man die Tür auf, weil die KollegInnen waghalsig sechs Tassen
       Kaffee balancieren oder einen Teller mit einem vegetarischen Reisgericht.
       Oder Kopierpapier. Dann redet man, viel Zeit ist ja nicht, übers Wetter,
       über Kaffee, über die Titelseite oder macht Komplimente über das T-Shirt.
       Oder man redet nicht. Guckt aufs Handy oder liest Plakate, die an der
       Fahrstuhlwand hängen, zum 38. Mal.
       
       Paul Wrusch
       
       ## Der Katzentisch
       
       An einem Montagmorgen im November 1991 stieg ich hoch in den obersten Stock
       des taz-Hauses, um ein Praktikum bei der Redaktion Leibesübungen
       anzutreten. Ich war aus Tübingen gekommen und am Wittenbergplatz und am
       Halleschen Tor umgestiegen. In der hintersten Ecke saßen die
       Sportredakteure Matti Lieske, Michaela Schießl und Hagen Boßdorf, Letzterer
       an einem angebauten Katzentisch. Hagen stand dann auf und ging nach China
       zur Frauenfußball-WM oder so. Schießl sagte, ich könne mich an seinen
       Katzentisch setzen, was ich auch tat. Dann gab sie mir Essenmarken und
       schickte mich runter in den vierten Stock zu Doris, die mich ins „System“
       einweisen würde. Es roch unfassbar schön nach alten Zeitungen und, wie ich
       damals beschloss, der ganz großen Welt. Peter Unfried
       
       ## Das Kabuff
       
       Keine Ahnung, ob Kabuffs in der Weltliteratur und sonstigen großen
       gesellschaftlichen Aufregerplattformen eine Rolle spielen. Besenkammern
       ja, aber Kabuffs?
       
       Überhaupt Kabuffs, was sind das?
       
       Für alle, die’ne Kurzversion wollen: Ein Kabuff ist’ne Art Besenkammer ohne
       Besen. In der taz gibt es so einen Raum, ich arbeite drin. Bald nicht mehr.
       
       Das Kabuff, von dem ich mich verabschiede, ist vielleicht zwölf
       Quadratmeter groß und hat eine Dachschräge auf einer Seite, denn es liegt
       im sechsten Stock, und zwar, was nicht unwesentlich ist: auf der Südseite.
       
       Das Kabuff steht voller Bücher, die Bibliothek von Christian Semler, diesem
       Querdenker, dieser gewaltigen taz-Kraft, diesem zauberhaften Kollegen, der
       2013 starb, ist im Kabuff untergebracht. Denn bevor ich ins Kabuff zog,
       arbeitete Semler hin und wieder da drin. Rauchend, so weit ich mich
       erinnere. Außer den Büchern ist das Kabuff mit zwei Türen, zwei
       Schreibtischen und einem kleinen Fenster in der Dachschräge bestückt, das
       sich nur minimal öffnen lässt. Dazu muss man das Rollo hochziehen – und das
       geht wirklich gar nicht. Aus zwei Gründen.
       
       Zum einen, weil hochgezogen die Sonne nicht nur aufs Kabuff, sondern auch
       ins Kabuff knallt. Im Sommer ist es dann so heiß, dass, wer darin arbeitet,
       in einen aufgeweichten Zustand gerät, der einem Rausch ähnelt. Also bis
       aufs Unterhemd ausgezogen habe ich mich dort jedenfalls.
       
       Zum anderen geht es auch nicht, weil ich was an den Augen habe und mich
       Licht blendet. Und zwar so, wie ich mir Verhörmethoden in Unrechtsstaaten
       vorstelle, wo einem ein Scheinwerfer direkt aufs Gesicht gerichtet ist.
       „Bitte machen Sie das aus.“ Was für andere nur Sonne ist, ist für mich mehr
       als das. Deshalb bin ich ins Kabuff gezogen, denn das ist der dunkelste
       Raum in der taz. Ein Nichtraum. Fragt sich, was für einen Journalismus ich
       darin gemacht habe. Nichtjournalismus vermutlich. Wegwerfliteratur.
       
       Ja, das ganz bestimmt. Aber eine Pointe hat dieser Text nicht. Die
       Kurzversion hätte gereicht. Waltraud Schwab
       
       ## Der Hinterhof
       
       Normalerweise betrete und verlasse ich das Hauptgebäude der taz durch das
       Café und nutze dann das Treppenhaus. Den oft betriebsgestörten Lastenaufzug
       kann man ohnehin erst ab dem ersten Stock nutzen. Es sei denn, man hat
       einen Schlüssel, den ich nicht besitze.
       
       Wenn man allerdings von oben nach unten fährt, kann man bis ins Erdgeschoss
       fahren. Wo man dann landet – das ist kein Ort für offizielle Gäste. Der
       Aufzug hält im Hinterhof. Ein enger, dunkler Ort zwischen dem benachbarten
       Altenheim und den zwei Küchen des Cafés und des Sale e Tabacchi.
       Vollgestellt mit Mülleimern, Altglascontainern, Kartons, Kanistern und
       Rattenködern. Für einen Moment fühle ich mich wie in New York, der Geruch
       nach Abfall und abgestandenem Fett, nach Angebranntem und Zigarettenrauch.
       Küchenmitarbeiter*innen lehnen in der Tür und rauchen, jemand wirft
       klirrend Flaschen in die Container.
       
       In wenigen Schritten erreicht man die schicke Friedrichstraße und erinnert
       sich kaum, dass es diesen düsteren Platz überhaupt gibt. Nicola
       Schwarzmaier
       
       ## Der Keller
       
       Tief unten im taz-Haus an der Rudi-Dutschke-Straße erstreckt sich ein
       obskures Gewirr aus Gängen. Wer sich auskennt oder findig ist, kann dort,
       ohne nur einmal einen Schlüssel benutzen zu müssen, in das kalte Herz der
       Zeitung vordringen, in den Kühlraum des Cafés, wo verschiedene Biersorten
       lagern und Wein. Gut, wenn man eine Abschiedsparty oben auf dem Dachgarten
       macht und sich so dermaßen im Gästeaufkommen verkalkuliert hat, dass um 9
       Uhr abends schon alle Flaschen leer sind.
       
       Ach Keller, wir wussten, du würdest uns nicht im Stich lassen. Die letzte
       Sause im alten Haus sollte nicht allzu früh am Abend enden müssen. Wir
       haben das aber nur einmal gemacht, Ehrenwort!
       
       Viel häufiger nahmen wir den direkten Weg in eine Art Hauskapelle, wo
       mehrere Reihen eines Holzregals aufgereiht stehen und die heiligen
       taz-Reliquien verwahren. Kein vertrockneter Federkiel eines taz-Gründers,
       keine Plastiktüte, mit dem das Geld für „Waffen für El Salvador“ zu den
       Kämpfern gebracht wurde, keine Kiffertüte des ersten Chefredakteurs,
       sondern, sortiert in Stapel, liegen dort sämtliche Ausgaben der taz, von
       den ersten Nullnummern bis heute. Das Zeugnis einer stets sich wandelnden
       Zeitung, ein Zeitstrahl auf Papier gebannt, bundesrepublikanische
       Geschichte, Archiv eines irgendwie linken Daseins und Bewusstseins, weiter
       wachsend.
       
       Am schönsten wäre es, sie würden den Keller versiegeln, wenn wir bald
       gehen: so, wie er jetzt ist.
       
       Mit dem Lastenaufzug, Baujahr 68, geht es ganz nach unten, ein schwarzes K
       zeigt die tiefste Tiefe an. Zeug steht da rum, Überbleibsel früherer
       Benutzergenerationen, fast schon eins geworden mit dem Erdboden, blecherne
       Regalbretter, abgewetzte Bürostühle, taz-Moder. Das alles müssten die, die
       später an dieser Stelle nach Ursprüngen ihrer Zeit suchen, beiseite räumen,
       bis sie zu jenem Raum vordringen, der die alten taz-Ausgaben konserviert
       hat. Ein Sensationsfund wäre das. Und vielleicht wäre ein paar Räume weiter
       noch ein prickelnder tazsecco übrig. Mit dem könnten sie anstoßen. Wir von
       der Party haben den jedenfalls nicht angerührt. Felix Zimmermann
       
       ## Die Kammer
       
       Mein Lieblingsort in der taz ist etwa vier Quadratmeter groß, er hat ein
       dreiteiliges Fenster und leuchtet bei Sonnenschein wunderschön hell. Ich
       kenne ihn noch gar nicht so lange. Erst bei einer sentimentalen
       Abschiedstour durchs Haus habe ich ihn für mich entdeckt.
       
       Während der fast legendären Rudi-Dutschke-Haus-Adieu-Party gingen Gereon
       Asmuth und ich kürzlich Stockwerk für Stockwerk durch das alte Gebäude. Wir
       beide haben vor Jahren in genau der gleichen Woche als Praktikant und
       Praktikantin bei der taz angefangen. Das hat schon einen gemeinsamen
       sentimentalen Abschied verdient. Gereon ist, anders als ich, die ganze Zeit
       über bei der taz geblieben, er zeigte mir den Raum.
       
       Der Boden in meinem geheimen Raum ist mit grauen und roten Steinbröckchen
       bedeckt. Am Rand kreuzen sich in rechtwinkliger Anordnung graue
       Stromleitungs-Ummantelungen und blassgelbe Heizungsrohre. An der Decke sind
       weinrote Wasserleitungen befestigt. Und wenn man den Staub wegwischt, sieht
       man ein kleines Viereck, 10 mal 10 Zentimeter vielleicht, mit Lochmuster im
       Boden. Dadurch kann man alles hören, was im Raum drunter passiert.
       
       Auf dem Boden meines Lieblingsraums liegt eine Kippe. Ich hätte dort auch
       gern noch gesessen, ein Glas Wein getrunken und eine Zigarette geraucht.
       Barbara Junge
       
       ## Das Klo
       
       Es gibt zwei Arten von MitarbeiterInnen: die einen, die am Arbeitsplatz
       nicht können, die anderen, die können.
       
       Ich habe schon von so vielen Leuten gehört, dass es für sie unvorstellbar
       sei, bei der Arbeit – um das Ganze mal beim Namen zu nennen – kacken zu
       gehen. Ich kann das.
       
       Aber dafür braucht es eben auch das richtige Klo. Denn davon gibt es auch
       zwei Arten. Schlimm sind diese Klos, die in solchen Plastikverschlägen
       stehen, die nicht bis zur Decke durchgezogen sind und bei denen untenrum
       auch noch 30 Zentimeter Platz gelassen wurde. Da hätte man auch gleich
       Maschendrahtzaun zwischen die Bottiche spannen können.
       
       Nein, gute Klos, die Entspannung und Behaglichkeit ausstrahlen, müssen so
       sein wie die Toiletten im vierten Stock des taz-Altbaus. Jede Kloschüssel
       steht in einem einzelnen Raum, gekachelt, eineinhalb bis zwei Quadratmeter
       groß, mit richtiger Tür und eigenem Fenster. Mehr braucht es nicht, um Ruhe
       vor dem Alltag zu bieten.
       
       Nur das Klopapier, das ist Mist: rau, zweilagig, reißt schnell. Aber
       irgendwas ist ja immer.
       
       Zum Abschied möchte ich auf die Worte von Heinz Strunk aus dem Lied „Mein
       bester Freund“ zurückgreifen: „Mein bester Freund, die Kackwurst, muss
       leider dampfend untergehen. Ein letzter Gruß, der Kackwurst: Ahoi! Auf
       Wiedersehen!“
       
       Jürn Kruse
       
       ## Die Dachterrasse
       
       Wenn man in Schweinfurt aufwächst, im Industriegebiet des sonst eher
       strukturschwachen bayerischen Nordens, dann schreibt sich das Gefühl,
       peripher zu sein, mit jedem Jahr tiefer in die Gedanken ein. Als ich 2012
       nach Berlin zog und anfing, täglich zum Checkpoint Charlie zu fahren, wo
       ich noch in den Neunzigern mit meinen Eltern ehrfürchtig die nicht mehr
       existente Grenze überquert hatte, hatte ich plötzlich ein merkwürdiges
       Gefühl von Dichte. Ich war im Zentrum angelangt. Und der Nullpunkt dieses
       Zentrums, so fühlte es sich zumindest in den ersten Monaten als Redakteurin
       an, war die Dachterrasse des taz-Gebäudes.
       
       Wenn ich dort oben stand, früh am Morgen oder spät am Abend, und die
       Nachrichten gegenüber auf dem Dach des Springerhochhauses flimmern sah,
       hatte ich das Gefühl, der Rest des Landes würde um uns rotieren. Dieses
       Gefühl kann trügerisch sein. Auf jeden Fall ist es gefährlich. Mich hat
       dort oben manchmal ein Schwindel erfasst; wenn jemand bei einer Party fast
       übers Geländer fiel, weil er ekstatisch auf einer Bank tanzte und die Menge
       anfeuerte, wie Enrico einmal vor vielen Jahren.
       
       Vielleicht auch, weil die Dachterrasse ein unwirklicher Ort ist mit ihren
       summenden Bienen, dem Rasensprenger und dem Duft der Hanfplantage im
       Großstadtgebrüll. Und auch wenn ich das Gefühl der Größe dort oben immer
       genossen habe, habe ich mich jedes Mal darauf gefreut, die Treppe wieder
       nach unten zu steigen und in die Peripherie zu fahren. Steffi Unsleber
       
       ## Der Pavillon
       
       Der Pavillon sitzt ganz oben auf dem Dach des alten Neubaus. Hoch über der
       Rudi-Dutschke-Straße wurde er über viele Jahre als Raum unter anderem für
       die wöchentliche Sitzung des Kulturressorts genutzt. Bei allzu zähen
       Diskussionen und der ermüdenden Erörterung bürokratischer Details von
       Dienstplänen gestattete er den verträumten Blick in die Weite des Berliner
       Himmels.
       
       Mit schönen Erinnerungen belegt ist er aber auch aus einem anderen Grund.
       Wann immer auf der Dachterrasse eine Party stattfand, verwandelte sich der
       Pavillon früher oder später in einen Dancefloor. An einen Moment erinnere
       ich mich besonders gut. Aus irgendeinem Grund war ich der letzte DJ bei der
       ausufernden Abschiedsfeier von Deniz Yücel. Unten saß die Polizei im
       Streifenwagen, Nachbarn hatten sich wohl beschwert, die Beamten fanden aber
       keinen Weg nach oben.
       
       Die Morgensonne blickte auf die bereits leicht entgleisten Züge der letzten
       Tänzerinnen, als ich „Wir müssen hier raus“ von Ton Steine Scherben
       spielte. Deniz war außer sich. Altlinker Kitsch! Ich blieb hart, das Lied
       wurde zu Ende gespielt. „Für mich heißt das Wort zum Sonntag: Scheiße. Das
       Wort zum Montag: Mach mal blau.“ Keine große Lyrik, aber Power hatten diese
       Zeilen Rio Reisers immer noch, an diesem Morgen im Pavillon. Ulrich Gutmair
       
       ## Die Rauchertreppe
       
       Der rechte Fuß kommt auf die unterste Stufe der Metallleiter, der linke auf
       die darüber – und mit Hintern und Rücken an die Wand. In der Position steht
       man bequem – und hat einen fantastischen Blick: Denn hier, im hinteren,
       schäbigsten Treppenhaus befindet sich der höchste Punkt der taz. Oder fast
       der höchste Punkt: Die Metallleiter führt schließlich nach oben, auf das
       Dach des Altbaus, wo sich Antennen, Schornsteine und der Fahnenmast
       drängen. Und gerüchteweise der Maschinenraum des Aufzugs, auf den nur ein
       Lichtschalter verweist. Aber wer will dort schon rauchen?
       
       Über das Rauchen habe ich diesen Platz seinerzeit entdeckt, als selbiges in
       den Redaktionsräumen nicht mehr gestattet war. Fortan fand man sich im
       aschgrauen, zugigen, schlecht riechenden Hintertreppenhaus wieder. Der
       Raucher aber, sehr frei nach Henry Miller auf der Suche nach dem „Geschenk
       einer unablässigen, stetig sich neu erweckenden, neu sich speisenden
       Freude“, die man sich einfach anzünden kann, macht es sich dann doch so
       schön es eben geht. Die Kollegin aus der Kultur, zwei Stockwerke tiefer,
       legte sich zum Beispiel eine taubenblaue Decke auf die Treppenstufen, damit
       sie schön sitzen konnte während des Inhalierens.
       
       Ich aber hatte ja die Treppe, an deren unterster Sprosse ich lächelnd
       rauchen und auf den Himmel oberhalb der Hochhäuser in der Leipziger Straße
       schauen konnte.
       
       Im Hintergrund hörte man leise den altersschwachen Wasserkasten des
       Klosetts säuseln, aus den unteren Etagen drangen unverständliche Stimmen
       herauf, Husten auch. Klar.
       
       „Du hältst in der Hand deine Seligkeit – eine Zigarette lang“ sang einst
       Eva Busch, und „Das Glück, das du meinst, ist nur flüchtiger Rauch“.
       Nachdenken.
       
       Viele Jahre später, ich hatte mit Rauchen aufgehört und das
       Rauchertreppenhaus war längst auf das Betreiben militanter Rauchgegnerinnen
       geschlossen worden, blickte ich einmal umgekehrt auf meinen eisernen
       Ausblick; vom Balkon eines der Hochhäuser der Leipziger Straße aus.
       Vielleicht waren die Dinge ja immer schon ganz anders, als ich sie mir
       hatte denken wollen. Und vielleicht ist es ganz gut, ab und an umzuziehen.
       Martin Reichert
       
       13 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
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 (DIR) Georg Löwisch
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 (DIR) Steffi Unsleber
       
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