# taz.de -- Die Wahrheit: Grünismus oder Barbarei
       
       > Post-Merkel-Deutschland wird sich positionieren müssen: Wie geil
       > gestaltet soll unsere Gesellschaft denn in Zukunft daherkommen?
       
       In Zeiten wie diesen gilt es, Farbe zu bekennen. Der Kolibri mag Milch und
       ist weiß-bunt-gestreift. Die Hose ist antarazit, eine perverse,
       übelriechende Farbton-Auskopplung der Anthrazitfamilie: ihr schwarzes
       Schaf, sozusagen. Das Auto ist rot, der Himmel blau und der Bürgersteig
       vollgekotzt. Vor allem aber sind da die Grünen.
       
       Es wird wieder gelacht dieser Tage. Es wird gesungen, gejubelt, konfettit.
       Innere Veggiedays werden gefeiert und Ulf Poschardts alte Socken als
       Kaffeefilter verwendet. Die Stimmung ist gelöst wie ein himalajanisches
       Moosblüten-Vollbad im heißen, noch dampfenden Wasser; man freut sich. Der
       Faschismus ist gebannt! Und alles, was es dafür gebraucht hat, waren ein
       paar Dinkelnudelonkel.
       
       Halt, Moment! Das sind doch gar nicht die alten Grünen! Also die ganz
       alten. Die mit den Öko-Klischees. Nein, nein. Und auch nicht die
       schmierigen Schröder-Grünen, die Umfaller, Verräter, die Trittins und
       Fischers oder Figuren wie Rezzo Schlauch, der im Übrigen seit drei Jahren
       nun schon als Honorarkonsul von Albanien arbeitet – ein Sachverhalt, den in
       all seiner Schillerndheit aufzuarbeiten es, nebenbei bemerkt, sicherlich
       eine siebzehnteilige Reportagereihe brauchen täte, wenn nicht einen
       Tausendseiter.
       
       Neue Grüne sind das also, die da ihre schamanischen Medienrituale abhalten.
       Keine Bosse mehr; smoothe, straßenköterblond-abstehende Igelmänner
       charmieren jeder Mutter und beackern mit ihren Kolleginnen, ganz ohne zu
       schnaufen, das neu abgezirkelte Feld. Wenn sie schon nicht mehr so heißen
       dürfen, schauen sie doch realpolitisch drein. Langhaarig, flamboyant,
       schwul: Das war einmal. Nüchtern und sogar ohne den obligatorischen
       Toskana-Ruch fahren sie lieber in den Teutoburger Wald.
       
       Waren es am Anfang noch verwirrte Einzelkämpfer wie der unverbesserliche
       Boris Palmer, der „den Duktus des ramenternden Opas mit dem jugendlichen
       Charme eines Fielmann-Angestellten verbindet“ (Leo Fischer), und, wenn er
       nicht gerade die Hautfarbe seiner Mitmenschen am Geschmack ihres
       Nahverkehrstickets erkennt, die Vorgärten seiner Bezirksstadt bis weit
       hinein ins bürgerliche Lager durch hakenkreuzförmige Zebrastreifen
       miteinander verbindet; so sind es jetzt ganze Kolonnen.
       
       ## Nachhaltig neoliberal-flexible Moderationsmaschinen
       
       Werte, mit denen sie brechen könnten, haben jene Jungspunde gar nicht erst.
       Also klar, irgendwas mit Umweltigkeit, Nachhaltigkeit, Langweiligkeit.
       Cremefarben gestimmte, neoliberal-flexible Moderationsmaschinen, die
       Begeisterung mimen und Räume erkalten lassen, obwohl darin Teppich
       ausliegt. Zerstörte die SPD ihre Würde noch bei Champagner im Puff; besaß
       sie wenigstens den Anstand, die Tröge gleich eben noch selbst aufzufressen,
       die sie kurz zuvor abgeschafft hatte: so schlürfen die nicht einmal
       außergewöhnlich durchschnittlichen Neo-Grünen brav Orangensaft (zu dem sie,
       der alten Zeiten wegen, O-Saft sagen). Wenn’s hochkommt, vielleicht mal ein
       Bierchen.
       
       „Vernunft gestaltet geiler“ lautet der Wahlslogan der nun unvermeidlich
       auch gewinnenden hessischen Grünen, und man fragt sich, ob das wirklich
       Werbung für sie ist. Aber es ist ja eh alles wurscht. Heutzutage können
       Millionärsgattinnen aus dem Taunus bei der Müllabfuhr schuften, einfach aus
       Bock. Die Sekretärin futtert die Quinoa-Schüssel, während ihr Start-up-Chef
       mit dem nackten Arsch eine Fünfjährigenrutsche auf dem nahegelegenen
       Spielplatz einweiht, auch das: einfach aus Bock. Ein mormonischer
       Dachdecker mit fünffach gebrochener Hüfte stemmt, einfach aus Bock, nach
       seiner Arbeit bei McFit Gewichte; ein Känguru-Halter namens Zwenkbert liegt
       eines Morgens tot in der Heide, man vermutet, auch er einfach aus Bock. Sie
       alle wählen seit Neustem die Grünen.
       
       Das eint sie gegen die Spalter – von rechts und von links. Alle Milieus
       kommen zusammen bei der großen Fun-Bowle. Hey, yey, geil, einfach mal
       locker machen, schon wichtig das alles und so, wir sind aber undogmatisch.
       Habt ihr gehört? Und wir sind auch vollkommen unangestrengt! Hallo, seid
       ihr noch da? Unangestrengt sind wir, hallo, hiergeblieben!!! Nein, nein,
       wir sind gar nicht laut! Also wir sind eher voll entspannt und vernünftig.
       Die Ideologen, das sind die anderen. Wir sind ganz pragmatisch, wir nehmen
       die Dinge so, wie sie kommen, genau. Wir wollen keinen Streit, nein, nein.
       Wir wollen eigentlich überhaupt möglichst wenig in Erscheinung treten. So
       wie der Staubwiesenhabicht. Kennt ihr den? Den haben wir neulich erst
       schützen lassen.
       
       Ein mit „anonym“ signiertes Konzeptpapier aus der Spitze der Partei
       geistert unterdessen durch das politische Berlin. Überschrieben ist es mit
       „Gedanken für die Zukunft“. Unter Punkt 27 heißt es darin wörtlich: „Wie
       können wir noch die letzte Deutschlehrerin für unsere Bewegung einnehmen?“
       Und unter Punkt 39 fordern seine Verfasser rundheraus: „Für unseren
       längerfristigen Tätigkeitsrahmen ist bis spätestens 2035-2040 eine
       lässigere Aktionsform anzustreben. Perspektivisch sollten wir sämtliches
       Eingreifen in die stoffliche Dingwelt vermeiden, außer, eine bedrohte, dort
       ansässige Tierart nimmt es uns ohnehin ab.“ In der Parteizentrale will sich
       bis zum Redaktionsschluss dazu niemand äußern.
       
       ## Auratisches Einwirken auf die Geschicke eines Landes
       
       Hatte die CSU in den letzten Wochen ein hypermediales Spektakel
       sondergleichen dargeboten, das jedem Betrachter, war er denn weiß und
       traditionsbewusst genug, wohlige Schauer über den Rücken laufen ließ, mag
       bei ihr nun niemand mehr zum Mond fliegen. So wirken die Grünen, selbst
       wenn sie nicht mitregieren, dennoch auratisch auf die Geschicke des Landes
       ein. Unzählige Bürgermeister kleiner und mittlerer Kreisstädte fahren schon
       jetzt einmal im Jahr mit dem Fahrrad zur Arbeit; bald werden es zwei oder
       sogar drei Mal sein.
       
       Die neuen Grünen treffen auf fruchtbaren Boden. Eine apathische,
       smartphonegesteuerte Schicht großer Kinder ist im Schoß dieses Landes
       erwachsen: die Baby-Boomer. Sie werden immer mehr wie Affen. Ihre Kinder
       und Enkel morschen sich kaum besser durch das Leben – viele, die meisten
       von ihnen haben aufgehört, Fragen zu stellen. Grundsätzliche Fragen wie
       „Was kostet die Welt?“, „Wenn zwei Züge aufeinander zurollen?“ oder „Wann
       erwürgt mich meine Zimmerpflanze endlich?“. Und das ist erst der Anfang.
       
       Post-Merkel-Deutschland, es wird sich entscheiden müssen: Grünismus oder
       Barbarei? Unter der Herrschaft riesiger Schimmelflechten, die sich auf
       Dauer als die intelligenteren Lebewesen herausstellt haben werden und noch
       nicht mal mit der S-Bahn fahren müssen, fragen sie bald nassforsch, unsere
       Nachfahren: „Opa, was hast du damals im Restmüll gemacht?“ Und was werden
       wir antworten? Was?
       
       20 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Adrian Schulz
       
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