# taz.de -- Türkische Literatur: Türkisch ist ihr literarisches Universum
       
       > Die Schriftstellerin Menekşe Toprak schreibt in zwei Welten, einer
       > deutschen und einer türkischen. Sie ärgert sich über deutsche Verlage.
       > Ein Porträt.
       
 (IMG) Bild: Menekşe Toprak gehört zur Generation der „Kofferkinder“
       
       Es ist merklich kühl geworden in Berlin, Menekşe Toprak wärmt vor einem
       Kreuzberger Café ihre Hände an der Kaffeetasse. Seit fast zehn Jahren lebt
       sie mit einem Bein in Istanbul, im Viertel Kurtuluş, mit dem anderen in
       Berlin-Neukölln.
       
       Menekşe Toprak: eine Schriftstellerin, die in zwei Welten schwebt, einer
       deutschen und einer türkischen. Wie schwierig es zuweilen ist, sein Leben
       auf zwei Städte zu verteilen, erlebt sie fast jeden Tag. „Ich komme in
       Berlin nach Hause und suche ein bestimmtes Buch, aber es liegt in Istanbul.
       In Istanbul suche ich den Eierkocher und merke: Der war ja in Berlin.“
       
       Dennoch, sagt sie, fühle sie sich „an beiden Orten zu Hause“. Toprak gehört
       zur Generation der „Kofferkinder“: Kinder, deren Eltern sie in der Türkei
       ließen, als sie nach Deutschland zogen, um zu arbeiten. Nur in den
       Sommermonaten waren die Eltern eine Weile bei ihr, wenn sie im Urlaub nach
       Hause kamen. Deshalb nannte sie 2011 ihren Debütroman über Migration und in
       der Türkei zurückgelassene Kinder „Julikinder“.
       
       1970 geboren, lebte Toprak bis zum neunten Lebensjahr bei ihrem Großvater
       in der Provinz Kayseri in Zentralanatolien. Dann holten die Eltern sie nach
       Köln, wo sie sechs Jahre blieb. Mit 15 kehrte sie zurück nach Ankara, weil
       ihre Eltern dachten, dass sie als türkeistämmige Schülerin dort bessere
       Perspektiven habe als in Deutschland – und blieb 13 Jahre. Nach ihrem
       Universitätsabschluss in Politikwissenschaften arbeitete sie in einer Bank.
       Die schickte sie schließlich nach Berlin.
       
       ## Literatur als Schutzraum
       
       Als sie zum zweiten Mal nach Deutschland kam, fiel es ihr am Anfang schwer,
       Deutsch zu sprechen. „Als ich am Flughafen ankam, hatte ich Angst, Deutsch
       zu sprechen. Ich wollte keine Fehler machen. Obwohl ich Deutsch besser
       beherrschte, sprach ich lieber englisch.“
       
       Die Scheu legte sie bald ab. 2002 fing Toprak bei dem
       öffentlich-rechtlichen Radiosender radiomultikulti in der deutschsprachigen
       Redaktion an. Sie berichtete über zeitgenössische deutsche Literatur, vor
       allem über die Werke junger Frauen wie Judith Hermann oder Julia Franck.
       Gleichzeitig interviewte sie türkische Schriftsteller*innen.
       
       Beide Sprachen spricht sie fließend. Schreibt sie selbst, wählt sie
       Türkisch. „Türkisch ist mein literarisches Universum. Manchmal denke ich,
       dieser Kosmos beschützt mich. Ich betrachte die Literatur als meinen
       Schutzraum gegenüber der Politik und gegenüber allem Übel.“ Doch nun
       überkommt sie das Gefühl, ihre Heimat zu verlieren. Anfang 2016 starb ihre
       Mutter. „Während ich mit dem Tod meiner Mutter beschäftigt war,
       explodierten Bomben im Land“, sagt sie.
       
       In dieser Zeit begann sie ihren jüngsten Roman „Arı Fısıltıları“ („Das
       Flüstern der Bienen“), der davon handelt, wie Menschen aus
       unterschiedlichen Städten und Ländern aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem
       Tod in dem gleichen Dorf landen. „Beim Schreiben wurde mir klar, was seit
       den Gezi-Protesten in der Türkei geschehen ist.“ Eine Folge: Immer mehr
       türkeistämmige Menschen kehrten ihrer Heimat den Rücken. „Heute wird in
       Deutschland, vor allem in Berlin, so viel Türkisch gesprochen wie nie
       zuvor.“
       
       ## Lieber leicht lesbare Geschichten
       
       Die deutschen Medien und Verlage reagierten indes zurückhaltend.
       „radiomultikulti hat früher in Berlin eine Stunde täglich auf Türkisch
       gesendet, 2008 wurde das Programm eingestellt“, sagt Toprak.„Seither sendet
       Köln Radyosu vom WDR auf dieser Frequenz auf Türkisch für die
       Berliner*innen. Früher hatten sie fast zehn Stunden Sendezeit pro Woche,
       das wurde nach und nach auf nur noch zweieinhalb Stunden zurückgefahren.“
       
       Topraks Roman „Ağıtın Sonu“, der 2015 in der Türkei mit dem renommierten
       Duygu-Asena-Preis ausgezeichnet worden war, erschien auf Deutsch im kleinen
       Orlanda-Verlag unter dem Titel „Die Geschichte von der Frau, den Männern
       und den verlorenen Märchen“.
       
       Große Verlage, sagt Toprak, zögerten, türkische Literatur zu
       veröffentlichen: „Die meinen, es gebe hier genug Autor*innen, die auf
       deutsch von Migration erzählen.“ Toprak beobachtet, dass deutsche Verlage
       nicht so sehr auf Qualität achten. Sie wollten vielmehr leicht lesbare
       Geschichten, zum Beispiel über türkische Mädchen, die von zu Hause
       ausreißen.
       
       ## Ein Teil von hier und dort
       
       Dabei sind Topraks Themen breit gefächert und alle von
       gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Ihre Erzählung „Der Brief im Koffer“
       handelt davon, wie die Tochter einer Einwandererfamilie mit der
       nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands konfrontiert wird, als
       sie einen Brief findet.
       
       Der Text wurde für eine Zeitschrift ins Deutsche übersetzt, Toprak las ihn
       im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg vor. Eine ältere Deutsche
       stand auf und sagte: „Sie haben den Text zwar auf Türkisch geschrieben,
       aber im Grunde ist das unsere Geschichte.“
       
       Sie trinkt einen Schluck von ihrem längst kalt gewordenen Milchkaffee.
       Derzeit arbeitet sie an einem Buch über eine Türkin, die in den 1930er
       Jahren nach Berlin zog – so wie sie selbst viele Jahre später. Toprak sagt:
       „Ich bin sowohl ein Teil von dort als auch von hier.“
       
       Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe 
       
       Das neue Journal: Dieser Artikel ist im zweiten gazete-Journal erschienen.
       Sie können das Magazin [1][unter diesem Link] bestellen oder als E-Paper
       [2][hier im E-Kiosk] downloaden.
       
       24 Dec 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=244710
 (DIR) [2] /!114771/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Burcin Tetik
       
       ## TAGS
       
 (DIR) taz.gazete
 (DIR) taz.gazete
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA