# taz.de -- Streit in der britischen Labour-Partei: Keine Festlegung zum Thema Brexit
       
       > Zahlreiche Labour-Ortsverbände fordern ein zweites Referendum. Die
       > Parteispitze um Jeremy Corbyn will sich alle Optionen offen halten.
       
 (IMG) Bild: Beim Thema Brexit gehen die Meinungen in der Labour-Partei auseinander
       
       Liverpool taz | Es war ein Heimspiel für Jeremy Corbyn. In einem ehemaligen
       Lagerhaus am Rande des Liverpooler Stadtzentrums drängelten sich am
       Sonntagabend die Fans des britischen Labour-Oppositionschefs. Geladen hatte
       Momentum, jene linke Basisorganisation, in der sich die parteiinternen
       Unterstützer von Corbyns Kurs versammeln. Unter dem Motto „A World For the
       Many“ sollte sich die Veranstaltung um weltweite Kämpfe für soziale
       Gerechtigkeit drehen, internationale Gäste waren geladen.
       
       Corbyn erntete stürmischen Beifall für seine Versicherung, im Falle eines
       Labour-Wahlsiegs die britische Eisenbahn wieder zu verstaatlichen, das
       staatliche Gesundheitssystem wieder aufzupäppeln und eine klimafreundliche
       Wirtschaftspolitik zu betreiben. Gekonnt spielte er auf der Klaviatur
       internationalistischer Solidarität. Bei seiner Rede klammerte er aber ein
       Thema konsequent aus, obwohl es den seit Sonntag ebenfalls in Liverpool
       stattfindenden Labour-Parteitag von Anfang an beherrscht: [1][Wie hält es
       die Partei mit dem Brexit?]
       
       Rund 140 Anträge von Labour-Ortsverbänden und Gewerkschaften zu dem Thema
       lagen der Parteitagsregie vor, überwiegend zugunsten einer neuerlichen
       Abstimmung der Briten über den EU-Austritt. Jeremy Corbyn hatte sich schon
       öffentlich [2][in einem Interview mit dem Sunday Mirror] geäußert, dass er
       eine wie auch immer geartete Entscheidung des Parteitags zu diesem Thema
       respektieren werde. Es galt nun aber, die Antragsmasse auf eine einzige
       Vorlage einzudampfen, über die am Dienstag abgestimmt werden soll.
       
       Unter Führung des Brexit-Schattenministers Keir Starmer einigten sich am
       späten Sonntagabend ausgewählte Ortsverbandsmitglieder und
       Gewerkschaftsvertreter nach sechs Stunden Verhandlungen auf einen Wortlaut,
       den zahlreiche Kommentatoren als „fudge“ bezeichnen – eine weiche
       Zuckermasse. „Sollte es keine Neuwahlen zum Unterhaus geben, dann muss die
       Labour-Partei alle auf dem Tisch liegenden Optionen unterstützen, inklusive
       einer Kampagne für ein Referendum“, lautet jetzt der Kernsatz des Antrags,
       den die Delegierten billigen sollen und der ansonsten wortreiche Kritik an
       der Brexit-Strategie der Regierung enthält.
       
       ## „Love Corbyn, Hate Brexit“
       
       Letztlich heißt das, Labour sieht vorerst einfach weiter zu, wie die
       Tory-Regierung der Premierministerin Theresa May über den Brexit streitet.
       Nach dem Crash ihres sogenannten Chequers-Deals auf dem Salzburger
       EU-Gipfel vergangene Woche scheint es derzeit, als ob die Konservativen –
       die kommende Woche in Birmingham ihren Jahresparteitag abhalten – den Weg
       eines Freihandelsabkommens mit der EU nach dem Vorbild der
       Ceta-Übereinkunft mit Kanada anstreben könnten.
       
       Klar scheint, dass ein solcher Deal, so die EU ihm überhaupt zustimmen
       würde, anschließend von Labour im Parlament abgeschmettert wird. Labour
       setzt darauf, dass dann Theresa May auch das Vertrauen in ihrer eigenen
       Partei verliert und es zu Neuwahlen kommt. In den Reihen Labours scheint
       man sich sicher zu sein, diese zu gewinnen und schließlich selbst am
       Verhandlungstisch in Brüssel zu sitzen. Auch Labour bleibt also mehr oder
       weniger auf dem Austrittspfad.
       
       Die zahlreichen Delegierten, die gestern im Konferenzsaal T-Shirts mit der
       Aufschrift „Love Corbyn, Hate Brexit“ trugen, dürften nicht nur von der
       schwammigen Formulierung des Antrags enttäuscht sein, sondern mehr noch von
       dem, was die Labour-Parteispitze in Aussicht stellt, sollte es tatsächlich
       zu einem zweiten Referendum kommen.
       
       Dann solle nämlich der Verbleib Großbritanniens in der EU keine Option auf
       dem Abstimmungszettel sein, erklärte Schatten-Finanzminister John
       McDonnell, ein Corbyn-Vertrauter, am Montag. Es werde nur über Ja oder Nein
       für den mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal abgestimmt, und bei einem
       Nein würde es zurück an den Brüsseler Verhandlungstisch gehen.
       
       ## Der Wind hat sich gedreht
       
       Herrschte am Sonntagmittag unter den rund 5000 Teilnehmern [3][der
       Demonstration der parteiübergreifenden Pro-EU-Kampagne „People’s Vote“] in
       Liverpool für ein zweites Referendum noch Optimismus, dass der
       Labour-Parteitag eine Wende in Richtung Exit aus dem Brexit einleiten
       könnte, hat sich der Wind somit gedreht.
       
       Klar wurde das den Aktivisten insbesondere, als der mächtige
       Gewerkschaftsboss und Corbyn-Vertraute Len McCluskey öffentlich erklärte,
       dass es falsch wäre, bei einem neuerlichen Referendum den EU-Austritt
       wieder zur Disposition zu stellen. Dies könne die Labour-Wähler, die 2016
       für „Leave“ gestimmt hatten, ins Lager der Konservativen treiben.
       
       Es herrscht in den Labour-Reihen also weiterhin Angst davor, mit einem
       Politikwechsel die Brexit-Wähler in den nordenglischen Labour-Hochburgen
       gegen sich aufzubringen. Die Frage ist, ob die Delegierten des Parteitags
       am Dienstag dieser Angst nachgeben und den „fudge“ schlucken.
       
       24 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommentar-Brexit-Beratungen/!5535245
 (DIR) [2] https://www.mirror.co.uk/news/politics/jeremy-corbyn-back-second-referendum-13292683
 (DIR) [3] /Britische-EU-Anhaenger-machen-mobil/!5537534
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Pohlisch
       
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