# taz.de -- Meisterin der Entfremdung
       
       > Zwischen der neuen und der alten Welt: Dina Nayeri seziert in ihrem
       > zweiten Roman, „Drei sind ein Dorf“, die Risse in Biografien von
       > Exiliranerinnen
       
 (IMG) Bild: Die Schriftstellerin Dina Nayeri
       
       Von Seyda Kurt
       
       Dina Nayeri hat mit „Drei sind ein Dorf“ ein Buch geschrieben, das man
       riechen kann. Es riecht nach Kaffee, den Nayeris Protagonistin Nilou,
       dreißig Jahre alt, Yale-Absolventin und Wissenschaftlerin, in ihrer
       Amsterdamer Wohnung kocht. Es riecht nach Koriander und Kurkuma, Gewürzen,
       mit denen Nilous Großmutter in ihrem iranischen Heimatdorf Gerichte
       zubereitete. Und nach Opium, das ihr Vater, Bahman, raucht.
       
       Bahman lebt in Isfahan, Iran. Und alle Briefe, die Nilou von ihm erhält,
       atmen den Stoff, nach dem so viele junge und alte (überwiegend) Männer im
       Iran süchtig sind. Das sind die Briefe, die Nilou zunächst als Kind in den
       USA erreichen und nun im Heute, im Jahre 2009, in Amsterdam. Hier versucht
       Nilou das Leben zu führen, das sie immer wollte: das einer „erfolgreichen,
       westlichen Frau“. Der Geruch von Opium gehört nicht dazu.
       
       Dina Nayeris Sprache kann man schmecken. Sie schmeckt nach süßen Aprikosen,
       außen weich und sanft, innen mit einem harten Kern. Die 360 Seiten des
       Romans sind durchfüttert mit iranischen Idiomen, Sätzen, die dahingleiten
       und ausschweifen, die von innen jedoch von einer präzisen Narration
       zusammengehalten werden. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann übersetzten
       schon Nayeris ersten Roman, „Ein Teelöffel Sand und Meer“ (2013), aus dem
       Englischen und haben es glücklicherweise wieder getan.
       
       In der Geschichte verlässt die kleine Niloufar Hamidi ihre iranische Heimat
       Isfahan im Jahre 1987, gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder unter
       einer kratzigen Decke in einem Jeep, der sie im Schutz der Nacht zum
       Flughafen fährt. Von dort aus erreicht die Familie über Umwege Oklahoma,
       USA.
       
       Als Christin hatte Maman sich im Iran nach der Revolution nicht mehr sicher
       gefühlt. Ihr Mann, Bahman Hamidi, bleibt zurück. Er kann sich nicht trennen
       von seiner Zahnarztpraxis, seinen Gedichtbänden, seinem Dorf und seiner
       Manghal, mit der er sein Opium raucht. Wie auch in ihrem Debütalbum erzählt
       Nayeri, selbst als Kind aus dem Iran geflüchtet, in ihrem zweiten Roman von
       der Flucht: von der Flucht vor dem Gefängnis und dem Tod, der Flucht vor
       zerstörten Selbstverständlichkeiten, vor Erinnerungen und neuen
       Gewissheiten.
       
       „Ich will Baba nicht sehen, weil ich Angst vor meinem eigenen Verfall
       habe“, sagt Nilou. Denn der 55-jährige Bahman steckt in der literarischen
       Gegenwart in Schwierigkeiten. Er bittet seine Tochter, ihm bei der Flucht
       aus dem Iran nach Europa zu helfen. Für sie kommt das 22 Jahre zu spät. 22
       Jahre, in denen Nilou, das „fremde Flüchtlingskind“ in einem meist weißen
       Umfeld, sich in Selbstaffirmation durch Herabsetzung und Abgrenzung
       versucht hat.
       
       Es ist nicht nur der Geruch des Opiums, den Nilou aus ihrem Leben verbannen
       will. Eines Tages stellt sie Maman ihren Ehemann vor, ebenso Yale-Absolvent
       und Jurist: „Nilou war nervös, versuchte, den treulosen Gedanken zu
       verdrängen, dass ihre Mutter sie blamieren könnte. Solange sie denken
       konnte, hatte Nilou ihre Mutter kritiklos bewundert, aber nach Yale und
       Promotion und Jahrzehnten mit ihresgleichen, intelligenten Nomaden der
       zweiten Generation, war ihr klar, dass der heimatliche Stallgeruch nie so
       von ihren Eltern abfallen würde, wie er von ihr abgefallen war.“
       
       Nayeri ist eine Meisterin darin, Entfremdungen in Familien, besonders jenen
       mit Migrationsgeschichte, nachzuzeichnen. Sie markiert und seziert Risse
       auf der Mikroebene, die sich zwischen Elternbiografien und denen der Kinder
       ziehen: eine Kluft in Bezug auf Wohlstand, Bildung und kulturelles Kapital.
       
       Doch die zähe Distanz, die Nayeri auf diese Weise zwischen ihrer
       Protagonistin und deren Außen- wie auch Innenwelt aufbaut, führt auch zu
       einem förmlich schizophrenen Blick auf den Iran und (Exil-)Iraner*innen. In
       einem von iranischen Geflüchteten besetzten Haus in Amsterdam lernt Nilou
       erstmals andere iranische Migrant*innen kennen. Darunter identifiziert sie
       „echte Iraner“ und „Hidschab-Frauen“. In ihrer Welt existiert auch eine
       Kategorie wie „Frisch-vom-Boot-Perser“: Leute vom Lande, die den Koran
       lesen und schlechte Zähne haben.
       
       Das ändert sich, als Nilou, die nun täglich in dem besetzten Haus ein- und
       ausgeht, sich eingesteht, dass die Biografien dieser Menschen auch Teil
       ihrer Geschichte sind. Wie auch die ihrer Familie.
       
       Dina Nayeri: „Drei sind ein Dorf“. Aus dem amerikanischen Englisch von
       Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Mare Verlag, Hamburg 2018, 368 Seiten,
       24 Euro
       
       1 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Seyda Kurt
       
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