# taz.de -- 40 Jahre taz: Fußball-EM 2024: Die nächste Geisel stellt sich vor
       
       > Was wäre passiert, wenn die Uefa die Fußball-EM 2024 an die Türkei
       > vergeben hätte? Die taz-Radioreportage aus einer gar nicht so
       > alternativen Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Den Strafstroß zum 12:1-Finalsieg gegen Deutschland verwandelte Kaiser Erdoğan, der sich spontan von der VIP-Tribüne aus selbst eingewechselt hatte
       
       Meine sehr geehrten Zuhörerinnen und Zuhörer zu Hause an den Radiogeräten,
       hier ist Béla Réthy, ihr heutiger Reporter, und ich freue mich, Ihnen vom
       mit Spannung erwarteten Finale der Fußballeuropameisterschaft 2024
       berichten zu dürfen.
       
       Ich melde mich aus dem Recep-Tayyip-Erdoğan-Stadion, vormals
       Atatürk-Olympiastadion, in Recep-Tayyip-Erdoğan-Stadt, vormals Istanbul,
       und freue mich zusammen mit 75.145 Zuschauern auf den Anpfiff des Spiels
       zwischen der Türkei und Deutschland. Zumindest waren es 75.145 bis zu den
       Verhaftungen, die vor einigen Minuten auf der Haupttribüne und in den
       Kurven vorgenommen wurden. Aber das kennen wir ja schon aus den
       vorhergehenden Partien.
       
       Von daher wissen Sie ja auch, dass wir Ihnen das Spiel nicht wie gewohnt im
       ZDF anbieten können, weil es keinen Fernsehsender gibt, der die
       entsprechenden Bilder bereitstellt. Die Stationen in der Türkei sind alle
       wegen staatsfeindlicher Unterwanderung geschlossen, und dem vom
       europäischen Verband Uefa als Ersatz engagierten Team eines französischen
       TV-Senders wurde kurzfristig die Einreise verweigert, nachdem Frankreichs
       Regierungschefin Marine Le Pen den türkischen Machthaber als „für einen
       Kameltreiber ziemlich raffiniert“ bezeichnet hatte, was eigentlich als
       Kompliment gemeint war.
       
       Ich spreche also zu Ihnen über mein Smartphone und hoffe, dass es keine
       Verlängerung gibt, weil sonst der Akku vermutlich nicht reicht. Die
       Steckdosen auf der Pressetribüne wurden aus Sicherheitsgründen entfernt.
       
       ## Genervt von Reinhard Grindel
       
       In gewisser Weise haben sich also die Befürchtungen bewahrheitet, die
       geäußert wurden, als die Uefa am 27. September 2018 überraschend die Türkei
       zum Veranstalter dieser EM kürte. Damit hatte angesichts der politischen
       Situation am Bosporus, Verzeihung, an der Recep-Tayyip-Erdoğan-Meerenge,
       und der ausgewiesenen Brillanz des Gegenkandidaten Deutschland niemand
       gerechnet. Lange Zeit wurde gerätselt, was die Mitglieder der Exekutive zu
       diesem Schritt bewegt hatte, sogar von irgendwelchen Kuckucksuhren war die
       Rede, am Ende waren sie aber doch wohl nur von der besserwisserischen
       Selbstgefälligkeit des damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel genervt.
       
       Ich sehe, dass die beiden Mannschaften ihre Kabinen verlassen und sich
       bereits am Checkpoint zur Leibesvisitation und Passkontrolle eingefunden
       haben. Ich bin also zuversichtlich, dass wir in einigen Minuten mit dem
       Abspielen der Nationalhymnen rechnen können, besser gesagt, dem Abspielen
       der türkischen Hymne, alle anderen wurden ja wegen subversiver und
       türkeifeindlicher Untertöne verboten, die deutsche fiel schon mit der
       ersten Zeile durch, in der bekanntlich Begriffe wie Recht und Freiheit
       vorkommen.
       
       Dass die deutsche Mannschaft in diesem Finale steht, darf getrost als große
       Überraschung gelten, da sie ja jüngst erstmals in ihrer Geschichte an der
       Qualifikation für eine Weltmeisterschaft gescheitert ist. Bundestrainer
       Joachim Löw, dem der Deutsche Fußball-Bund anschließend das unverbrüchliche
       Vertrauen aussprach, hatte also nicht zu viel versprochen, als er sagte, er
       werde um Mats Hummels, Thomas Müller und Manuel Neuer herum eine junge
       Mannschaft aufbauen, die jeden Gegner schlagen könne.
       
       Der rüstige 64-Jährige hat ganze Arbeit geleistet, das Durchschnittsalter
       des Teams auf 31,74 gedrückt, man sieht also, dass sich Kontinuität lohnt,
       obwohl ja auch die Türkei im Endspiel steht, und hier ist der erfahrene
       Fatih Terim bereits der siebte Trainer seit einem Jahr. Joachim Löw soll
       übrigens immer noch ein wenig pikiert darüber sein, dass ihm ein Besuch der
       sechs Vorgänger im Recep-Tayyip-Erdoğan-Gefängnis verweigert wurde.
       
       ## Illegaler Rotweinkonsum
       
       Nicht verschwiegen werden sollte, dass der Weg der deutschen Mannschaft in
       dieses Finale ein wenig dadurch erleichtert wurde, dass die Spieler des
       Viertelfinalgegners Italien (wegen illegalen Rotweinkonsums) und des
       Halbfinalgegners Portugal (wegen Cristiano Ronaldo) jeweils kurz vor
       Anpfiff des Landes verwiesen wurden.
       
       Ich sehe, dass nun auch Uefa-Präsident Michel Platini seinen Platz auf der
       Ehrentribüne neben Recep Tayyip Erdoğan eingenommen hat. Der Franzose, der
       2021 direkt nach Ablauf seiner Korruptionssperre die Führung des Verbandes
       wieder übernommen hatte, gilt als besonderer Freund der Türkei, weil er in
       seiner ersten Amtshandlung den Eilantrag des DFB abschmetterte, den Türken
       die EM wieder zu entziehen, nachdem sich Erdoğan zum Kaiser krönen ließ.
       Legendär Platinis Reaktion: „Ach, scheiß drauf, kennen wir doch von
       Napoleon.“
       
       Aber was rede ich, das Spiel hat begonnen, die Türken sind im Angriff,
       Kapitän Mesut Özil, kurzfristig eingebürgert, wird von Sami Khedira am
       Mittelkreis gefoult und es gibt – Elfmeter. Kann das sein? Das Foul war
       deutlich außerhalb des Strafraums, etwa 35 Meter. Aber der Schiedsrichter
       bleibt dabei, Strafstoß. Könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass der
       Linienrichter, der beim türkischen Führungstreffer im Halbfinale gegen
       Frankreich zunächst Abseits gewinkt hatte, seitdem nicht mehr gesehen
       wurde.
       
       Damit, meine Zuhörerinnen und Zuhörer, muss ich leider Schluss machen,
       hinter mir stehen plötzlich zwei kräftige Herren, die sich auffällig für
       mein Smartphone interessieren. Sie hören von mir, wenn ich wieder in
       Deutschland bin. Oder auch nicht.
       
       2 Oct 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matti Lieske
       
       ## TAGS
       
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