# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Freiheit für politische Gefangene
       
       > Jüngst erinnerten Syrer in Berlin an ihre Liebsten, die in Assads
       > Foltergefängnissen verschollen sind. Auch ich habe einige Menschen dort
       > verloren.
       
 (IMG) Bild: Frauen erinnern vor dem Brandenburger Tor an ihre verschleppten Männer, Kinder und Freunde
       
       Der rote Bus stand vor dem Brandenburger Tor, einer dieser Busse, die
       Touristen durch Berlin befördern, um die Stadt zu genießen. Doch diesmal
       waren die Fahrgäste keine Touristen, und von Genuss keine Rede.
       
       Im Bus saßen [1][der Busfahrer und sieben Frauen] mit Fotos ihrer
       inhaftierten Angehörigen. Außen am Bus klebten andere Bilder von
       Gefangenen, drumherum hielten Menschen Bilder hoch. Auf einigen sah man
       ganze Familien, die in den Gefängnissen verschwunden waren. Auf anderen
       Fotos sah ich Ehemänner frisch verheirateter Frauen sowie junge Frauen und
       Männer, die entweder mitten im Studium waren oder ihr Studium soeben
       abgeschlossen hatten. Alle waren sie seit Jahren in syrischen Gefängnissen
       verschollen. Niemand weiß, wo sie geblieben sind.
       
       Auch ich trug Bilder von Menschen, die mir viel bedeuten und die ich liebe;
       um mich herum standen Dutzende Deutsche, die sich mit uns solidarisieren.
       Viel bewirken konnten wir nicht, außer uns gegenseitig zu trösten und
       unsere Verschollenen beziehungsweise uns selbst zu beweinen. Wir hörten uns
       an, was die Mütter über das Schicksal ihrer vermissten Söhne und Töchter
       berichteten, in der Hoffnung, diese würden noch leben und bald freikommen.
       
       Eine der Mütter erzählte: „Fast sechs Jahre ist es her, dass ich in unserem
       Haus in Damaskus saß und bei gedecktem Tisch auf meinen Mann und meinen
       Sohn wartete. Ich rief sie noch an, um ihnen zu sagen, sie sollen sich
       beeilen, bevor das Essen kalt wird. Beide sagten mir, sie wären in dreißig
       Minuten da. Als die beiden nach längerer Zeit nicht eintrafen, versuchte
       ich, sie anzurufen und ihnen Nachrichten zu schicken. Bis heute erhielt ich
       keine Antwort. Doch eines Tages werden sie mir antworten, das weiß ich
       sicher.“ Sie kämpfte mit den Tränen, ihre Stimme brach.
       
       Eine andere Frau erzählte, dass ihr Vater vor fünf Jahren zur Arbeit
       gegangen und nie nach Hause zurückgekehrt war. Von einem Arbeitskollegen
       wisse sie, dass Sicherheitsbeamte an jenem Tag ihr Büro gestürmt und ihren
       Vater mit verbundenen Augen und in Handschellen abgeführt hatten. Sie
       hätten ihn ins Auto gezerrt, während er sie schreiend angefleht hätte, sie
       mögen ihn bitte gehen lassen, er hätte doch nichts getan, wo wollten sie
       mit ihm hin? Seitdem suche sie ihren Vater.
       
       Es gab eine dritte, vierte, fünfte und viele weitere Geschichten, die ich
       gehört habe, hier aber aus Platzmangel nicht aufschreiben kann. Sie bleiben
       in den Herzen der Liebenden archiviert, während die Helden noch in den
       Gefängnissen des syrischen Regimes sitzen. Jenen grausamen Gefängnissen,
       die nur die kennen, die schon einmal dort waren, so wie ich.
       
       Freiheit für die Gefangenen und Verschleppten in den Gefängnissen der
       syrischen Diktatur! Mein Mitgefühl gilt ihren Liebsten und Angehörigen.
       
       17 Sep 2018
       
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