# taz.de -- Wiedersehen in Moskau
       
       > Die Ausstellung „Kinder im Exil“ erzählt von den Hoffnungen und prägenden
       > Erinnerungen der Kinder auf der Flucht vor den Nationalsozialisten
       
       Von Vanessa Prattes
       
       „Ist ein Flüchtling jemand, der von zu Hause hat weggehen müssen?“, fragte
       Anna. „Jemand, der in einem anderen Land Zuflucht sucht“, sagte Papa. Diese
       Zeilen schrieb Judith Kerr in ihrem Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen
       stahl“, in dem sie ihre Erfahrungen auf der Flucht vor den
       Nationalsozialisten verarbeitet. Kurz bevor Hitler zum Reichskanzler
       ernannt worden ist, suchte die Familie Kerr mit den beiden Kindern Judith
       und Michael zunächst Schutz in Prag. Von dort ging es im Dezember nach
       Paris und drei Jahre später nach Großbritannien.
       
       Wie die zehnjährige Judith machten sich Anfang 1933, nach der
       Machtübernahme Hitlers, unzählige Familien mit Kindern auf die Flucht. Die
       Geschichten dieser Kinder werden in der Ausstellung „Kinder im Exil“ anhand
       von 26 beispielhaften Lebenswegen von Mädchen und Jungen präsentiert. In
       der feierlichen Wandelhalle des Abgeordnetenhauses stehen sieben
       Holzgestelle, die mit großen Tafeln die Biografien der Kinder sowie
       ausgewählte Fotos aus dem Nachlass zeigen: zum Beispiel eine Aufnahme der
       Brüder Konrad und Markus Wolf, die mit Ferngläsern auf einer Erhebung in
       der Bretagne Ausschau nach Delfinen halten. Neben den Fotografien sind
       vergrößerte Abbildungen von Dokumenten sichtbar, wie der Antrag des
       23-jährigen Stefan Rafael Benjamin auf einen australischen Pass, mit der
       Vorgabe, sein Vater, der Philosoph und Autor Walter Benjamin, sei in
       Mailand und nicht in Berlin geboren.
       
       Fröhliche Familienporträts und Alltagsszenerien, die ganz gewöhnlich
       scheinen, prägen den ersten Blick. Der trügerische Eindruck wird durch die
       Bildunterschriften aufgehoben. Dort liest man Moskau, Frankreich, Dänemark,
       Amerika, Großbritannien. Orte, die Etappen oder die letzte Station der
       Emigrierten darstellten. „Die Kinder waren zwischen zwei Welten“, sagt
       Gesine Bey, Kuratorin der Ausstellung, die von der Akademie der Künste
       organisiert wurde. Konfrontiert mit einer neuen Lebenswelt, gaben viele
       Familien und besonders die Kinder die Hoffnung auf eine Rückkehr nach
       Deutschland und damit die Erinnerung an ein altes Leben nicht auf.
       
       Ein konzentrierter Blick. Spannung im Körper. Das Schwarzweißfoto zeigt
       George Wyland-Herzfelde 1941 beim Schlittschuhlaufen in den USA. Mit seinem
       Briefmarkenalbum, versteckt unter dem Arm, und einem ausgestopften Vogel,
       der bei der Kontrolle für viel Aufmerksamkeit sorgte, stieg er 1939 vor
       Kriegsausbruch in das Flugzeug nach Amerika. „Mehrmals wurde ich, gegen
       meinen Willen, vorweg in Sicherheit gebracht. Ob, wann und wo wir uns
       wiedersehen würden, war damals niemals sicher“, schreibt er später in
       seinen Memoiren „Glück gehabt“.
       
       „Die Kriegsgefahr war der Umstand dafür, dass viele Kinder im Exilland
       nicht mehr Deutsch gesprochen haben“, sagt Bey. Dennoch gab es häufige
       Bekanntschaften unter Deutschen im Exil. In der Moskauer
       Karl-Liebknecht-Schule trafen emigrierte Deutsche, darunter hochgebildete
       Lehrer und vor allem Kinder kommunistischer Eltern, auf alte Bekannte aus
       der Neuköllner Karl-Marx-Schule. In der hintersten Ecke auf dem Klassenfoto
       der 4 B steht der zehnjährige Konrad Wolf, den seine russischen Freunde
       „Kolka“ nannten. Als die deutsche Armee die Sowjetunion im Juni 1941
       überfiel, meldete er sich bei der Roten Armee zum Kriegsdienst.
       
       „Wir dürfen die Kinder auf keinen Fall auslassen“, begründete Bertolt
       Brecht die Wichtigkeit seiner Kinderlieder. Trotz der Kürze der Porträts
       setzt die Ausstellung in der Manier Brechts durch die Fotografien und
       Dokumente aus dem Nachlass einen berührenden Fokus auf die Erfahrungen und
       Schicksale der Kinder.
       
       „Kinder im Exil“, bis 28. September im Abgeordnetenhaus,
       Niederkirchnerstraße 5
       
       13 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Vanessa Prattes
       
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