# taz.de -- Die Grenze des Unglücks
       
       > Ein Getriebener, der heult wie ein in eine Falle geratenes Tier: Peter
       > Lorre ist heute im Zeughauskino in seiner berühmten Rolle in Fritz Langs
       > „M“ zu erleben
       
       Von Peter Nau
       
       Mit verquollenen, trübe wässrigen Augen blickt Lorre schwermütig auf das
       Hühnchen hinab, das auf seinem angewinkelten Unterarm sitzt, wobei die
       rechte Hand des Mimen es zärtlich in der Balance hält: eine Aufnahme aus
       der Berliner Volksbühnen-Inszenierung von Marieluise Fleißers Stück
       „Pioniere in Ingolstadt“ aus dem Jahr 1929. Wir werden der leidenden
       Sehnsucht gewahr, der erstickenden Wehmut des Einsamen, die noch in der
       mutwilligen Entstellung einer Zerstörungstat sich äußern, die die von Lorre
       verkörperte Figur des Fabian aus Eifersucht begangen hat.
       
       Ernst und langsam gemacht durch ein Leben der Träumerei, hegt er ein
       verstohlenes und zehrendes Verlangen nach dem Harmlosen, Einfachen und
       Lebendigen, als das ihm die nachdenklich angeschaute Kreatur erscheinen
       mag.
       
       Dieses Foto weist voraus auf Lorres Filmrolle in „M“‚ zwei Jahre später.
       Hier spielte er den Kindermörder, der am Ende einem Ineinanderspiel von
       Polizei, Presse, Straßenpublikum, Verbrecherwelt und Bettlerorganisation
       erliegt.
       
       Nochmals zwei Jahre später, 1933, wird Lorre in Paris, wo er vorläufig vor
       den Nazis in Sicherheit ist, von Passanten auf der Straße erkannt: Der Film
       hat ihn weltberühmt gemacht.
       
       Er lässt uns miterleben, wie ein Getriebener nach und nach an die äußerste
       Grenze seines Unglücks gelangt, bis dorthin, wo eine Steigerung nicht mehr
       möglich ist und nur noch zu hoffen bleibt, dass eine ganz neue Art von Ruhe
       sich auszubreiten beginnt.
       
       Niemals mehr würde er ärger leiden, als er es in diesem Moment schon getan
       hat; er ist vollkommen am Ende. Der letzte Ton, der aus seiner Kehle
       hervorbrach – wie das Heulen eines in eine Falle geratenen Tieres – ist
       verklungen. In der Stille, die eintritt, nimmt er kaum seine Atemzüge wahr,
       die die Sekunden, während deren er seine Freiheit verliert, skandieren.
       
       „M“. Regie: Fritz Lang (1931) läuft heute um 20 Uhr im Zeughauskino im
       Programm der Peter-Lorre-Retrospektive
       
       12 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nau
       
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