# taz.de -- Katastrophe von Ramstein vor 30 Jahren: „Vergessen geht nicht“
       
       > Die Flugshow-Katastrophe von Ramstein forderte 70 Tote und 1.000
       > Verletzte. Nicht alle Überlebenden haben es geschafft, neu anzufangen.
       
 (IMG) Bild: Die Flugschau-Katastrophe von Ramstein vor 30 Jahren
       
       Mainz taz | „Vergessen geht nicht, das ist immer bei uns,“ sagt Alfred
       Witt. Sein Sohn Mario, damals 16 Jahre alt, starb am 28. August 1988, als
       ein Kampfjet der italienischen Kunstflugstaffel Frecce Tricolori auf der
       US-Airbase Ramstein vom Himmel fiel. Auch am 30. Jahrestag der Katastrophe
       werden ihn und seine Frau die schlimmen Erinnerungen begleiten, wenn sie
       mit anderen Opern und Angehörigen zusammentreffen.
       
       Wie jedes Jahr feiern sie auch an diesem Jahrestag einen ökumenischen
       Gottesdienst und fahren anschließend an die Stelle, an der ein Feuerball
       aus brennendem Kerosin und Wrackteilen in die Zuschauer gerast war.
       Eintausend Menschen wurden bei dieser Katastrophe verletzt, 500 davon
       schwer. Mindestens 70 Menschen starben, unter ihnen Mario.
       
       „Es ist, als würde man sich mit dem Unglücksort versöhnen“, sagt seine
       Mutter, die diese Tradition mit dem ersten Jahrestag aufnahm. „Ich konnte
       weinen an dem Ort, an dem ich mein Kind verloren hatte“, sagt sie in der
       Rückschau. Sie hat inzwischen eine Ausbildung zur Lebensberatung und
       Trauerbegleitung absolviert und engagiert sich ehrenamtlich in der
       neugegründeten „Stiftung Katastrophennachsorge“.
       
       Der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Henrik Hering hatte in der
       vergangenen Woche Opfer und Angehörige zu einer Gedenkstunde nach Mainz
       eingeladen. Er erinnerte an die Katastrophe, die sich tief in das
       kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt habe.
       
       ## Um Vergebung gebeten
       
       Hering bat die Betroffenen um Vergebung: „Ich möchte mich bei Ihnen in
       aller Form dafür entschuldigen, wie die Politik mit der Verantwortung für
       dieses schreckliche Ereignis umgegangen ist“, sagte Hering. „Tief bewegt“
       hätten sie diese Worte, sagt Marliese Witt später der taz, denn bis auf
       einen Brief vom damaligen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel habe damals
       niemand Verantwortung übernommen.
       
       „Die Amerikaner haben es auf die Deutschen geschoben, die deutschen
       Behörden auf Italien“, klagt ihr Mann. „Das Schlimmste war die
       Ungewissheit,“ erinnert er sich. Am Schlüsselbund sei sein Sohn schließlich
       identifiziert worden, sechs Tage nach dem Unglück. Erst vierzehn Jahre
       später habe er es geschafft, die Fotos der Obduktion anzuschauen.
       
       „Er hatte von den herumfliegenden Wrackteilen sieben Verletzungen
       davongetragen, von der jede tödlich gewesen wäre,“ tröstet sich der Vater:
       „Ich weiß jetzt, dass er nicht gelitten hat, sondern in einem glücklichen
       Moment, mit den Kunstfliegern im Visier seines Fotoapparats, gestorben
       ist.“
       
       Nicht alle haben es geschafft, ein neues Leben anzufangen, berichtet die
       Therapeutin Sybille Jatzko, die unmittelbar nach dem Unglück Opfer und
       Angehörige zusammenbrachte, zu einer Art Selbsthilfegruppe. Seit dreißig
       Jahren begleitet sie ehrenamtlich die „Schicksalsgemeinschaft“, vielen hat
       sie helfen können. Viele der Überlebenden seien aber inzwischen auch
       verstorben, an inneren oder äußeren Verletzungen, sagt sie.
       
       ## Am Verlust zu Grunde gegangen
       
       Ein Ehepaar, dass eine 9 jährige Tochter verloren habe, sei an dem Verlust
       zu Grunde gegangen. Die Eltern konnten die Erinnerung nicht ertragen; als
       sie dem Krankentransporter mit ihrer sterbenden Tochter gefolgt seien,
       hätten sie US-Armeeangehörige mit Maschinenpistole im Anschlag daran
       gehindert, von ihrem Kind Abschied zu nehmen, sagt die Therapeutin; andere
       hätten als Spätfolgen der Feuerwelle eine Hitzestaublunge entwickelt und
       seien deshalb vorzeitig gestorben. Viele der Helfer vor Ort leben seitdem
       mit dem Alptraum, ein Rettungsfeldwebel der Bundeswehr habe sogar seinen
       Beruf aufgeben müssen, berichtet die Therapeutin.
       
       Die Katastrophe hatte sich bei der spektakulärsten Flugnummer „das
       durchstoßene Herz“ ereignet. Mit Rauchstreifen hatten neun der zehn Piloten
       ein großes Herz an den Sommerhimmel gezeichnet. Solopilot Ivo Nutarelli
       sollte den Kreuzungspunkt der Linien durchfliegen, doch er war vier
       Sekunden zu früh. Nach dem Unglück brach ein Chaos aus. Feuerwehrleute,
       Sanitäter, Ärzte und Polizeibeamte waren hoffnungslos überfordert. Es gab
       kein abgestimmtes Rettungskonzept von Deutschen und US-Amerikanern.
       
       Verletzte wurden ohne Notfallversorgung in Helikopter verfrachtet und in
       Kliniken geflogen, die auf den Ansturm nicht vorbereitet waren. Funk und
       Telefonsysteme fielen wegen Überlastung aus. Die italienischen Behörden
       legten zwar einen umfangreichen Untersuchungsbericht vor. Doch es gibt nach
       wie vor große Zweifel an der unmittelbar nach dem Unglück ausgegebenen
       Parole vom Pilotenversagen. Weder vor einem Straf- noch vor einem
       Zivilgericht gab es ein juristisches Nachspiel. Auch das eine Bürde, mit
       der Opfer und Angehörige fertig werden müssen.
       
       Dass ein Neuanfang möglich ist, zeigt Marc-David Jung. Er gilt als das
       Gesicht der Ramstein-Opfer. Er war vier Jahre alt, als das Feuer seinen
       kleinen Körper überrannte. Dreißig Operationen hat er seitdem über sich
       ergehen lassen müssen. Selbstbewusst sagt er: „Mir geht es gut, psychisch
       und physisch. Ich bin in meinem Beruf als IT-Berater erfolgreich und lebe
       gerne.“
       
       ## Keine Erinnerung
       
       Er selbst hat [1][keine Erinnerungen an die Katastrophe], wie übrigens
       viele der Opfer. Mit den anderen trifft er sich „sporadisch.“ In den
       Flammen des Infernos, das er überlebt hat, kamen auch sein Vater und ein
       Bruder ums Leben. An diesem Jahrestag ist er in Ramstein dabei. Dort wird
       auch der Bruder des Unglückspiloten sprechen.
       
       Vor dem Flugtag im August 1988 hatten Friedensaktivisten gegen die
       US-Airbase und den „Fluchtag Ramstein“ demonstriert: „Kriegsflugzeuge sind
       kein Spielzeug“ hatten sie auf ihre Transparente geschrieben, doch 300.000
       Besucher hatten sich nicht von der Party auf der Airbase abhalten lassen,
       die in einer Katastrophe endete.
       
       Flugshows sind in Deutschland inzwischen nur noch in sehr engen Grenzen
       zulässig. Sie ganz zu verbieten, findet Marc-David Jung keine gute Idee.
       „Es hätte auch bei einem Motorradunfall passieren können“, sagte er dem
       italienischen Generalkonsul Maurizio Canfora, der aus Anlass des Jahrestags
       der Katastrophe nach Mainz gekommen war.
       
       27 Aug 2018
       
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