# taz.de -- Der letzte Punk von Hamburg
       
       > Gefühlte Dauersanierung und Ikea konnten die Große Bergstraße nicht
       > völlig gentrifizieren. Spannend wird es am hinteren Ende, wo sich
       > türkische Läden hipsterisieren
       
 (IMG) Bild: Irgendwie schick, irgendwie schäbig: Die Große Berg- straße in Altona
       
       Von Hanna Klimpe
       
       Gehobene Ramsch-meile“, die „seltsamste Straße der Stadt“, „Sinnbild für
       gescheiterte Stadtplanung der 1960er-Jahre“: Die Große Bergstraße gilt bei
       vielen als Schmuddelkind von Altona. Während das homogen-gemütliche
       Ottensen in den letzten 20 Jahren zum Biotop für die gehobene, sich
       linksliberal verstehende Mittelschicht wurde, prägen die Große Bergstraße
       Leerstand, Ramschläden, Franchise, und überhaupt ist alles ein bisschen
       abgerockt.
       
       Seit 2005 wurden 30 Millionen Euro in Sanierungsmaßnahmen gesteckt. Der
       Abriss des ehemaligen Frappant-Kaufhauses und die Eröffnung der ersten
       innerstädtischen Ikea-Filiale im Jahr 2014 sollten es dann endgültig
       richten – gegen den Protest zahlreicher Anwohner, die die Gentrifizierung
       der kulturell und sozial stark durchmischten Einkaufsstraße fürchteten. Auf
       dem wöchentlichen Markt am Samstag wird die Entwicklung deutlich: Auf der
       einen Seite warten die Man-Buns und Fjällräven-Rucksäcke auf ihr Bioobst,
       auf der anderen Seite suchen Frauen mit Kopftüchern am Stoffstand bunte
       Muster für zwei Euro pro Meter raus.
       
       Es bleibt Interpretationssache, ob man das soziale Durchmischung oder
       Segregation auf engstem Raum nennt. Auch im Kilo-Shop des Deutschen Roten
       Kreuzes direkt nebenan trifft sich eine gemischte Klientel. „Unsere
       Kundschaft war schon immer eine Mischung aus Bedürftigen und jungen Leuten,
       die aus Überzeugung Second Hand kaufen“, sagt eine Mitarbeiterin. 50
       Kilogramm Kleidung pro Woche verkauft der Laden nach ihren Schätzungen.
       Seit die Unterführung am Bahnhof vor drei Jahren renoviert wurde, habe man
       eine verstärkte Fluktuation in den Ladenzeilen beobachtet. Die Befürchtung,
       dass mit Ikea und der Renovierung die Miete für ihren Laden erhöht würde,
       habe sich aber nicht bestätigt.
       
       Es wurde viel über steigende Mieten im Zuge des Unterführungsumbaus
       geschrieben, andererseits: Es wurden zahlreiche zusätzliche Bänke
       aufgestellt, die von den Anwohnern sehr gut angenommen werden. Man sieht
       viele Rollatoren, viel Tee aus Thermoskannen, viele Grüppchen, die sich
       keinen Milchkaffee für 3,50 Euro leisten können. Die Große Bergstraße ist
       einer der wenigen zentral gelegenen Orte in Hamburg, wo Menschen am
       öffentlichen Leben teilhaben können, ohne zu konsumieren, und wo sich eine
       Klientel ganz selbstverständlich ins Straßenbild einfügt, die anderswo als
       Prekariat wahrgenommen wird.
       
       Man könnte das Straßenbild auch als entspannt eklektisch beschreiben.
       Susanne Schütz nennt es „chaotisches Gewusel“. Schütz heißt eigentlich
       anders, will aber ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Die
       sehbehinderte Rentnerin hat das Glück, seit sechs Jahren über den Altonaer
       Spar- und Bauverein eine günstige Wohnung in der Nähe der Großen Bergstraße
       zu mieten. Ottensen sei ihr zu schickimicki. Sie beobachte, dass die Große
       Bergstraße in der letzten Zeit wieder mehr shabby als schick werde: „Die
       Atmosphäre ist schwieriger geworden.“ Aber sie sagt auch: „Seit Ikea da
       ist, sind viele kleine Geschäfte schleichend vertrieben worden.“ An der
       Großen Bergstraße schätzt sie das ausgeprägte Nachbarschaftsgefühl. „Es
       gibt mehr Kommunikation als in anderen Vierteln. In den Cafés ratschen die
       Leute von morgens bis abends.“
       
       Wenn sie einen Wunsch für das Viertel frei hätte, würde sie sich die Große
       Bergstraße als offenes, soziales Feld wünschen. „Es gibt hier viele
       behinderte Menschen, und es wäre schön, wenn dieses Thema eine größere
       Rolle spielen würden“, sagt sie. „Wenn alle mehr Rücksicht aufeinander
       nehmen würden.“
       
       Es gibt viele Initiativen, die in der Großen Bergstraße ihren Sitz haben,
       wie zum Beispiel das Tagewerk, das zur Panini-Tauschbörse einlädt, oder die
       Nachbarschaftsinitiative Altonavi, über die Susanne Schütz Anna Wegelin
       kennengelernt hat. Die 33-jährige Fotografin hilft der Rentnerin bei
       Recherchen im Internet, geht mit ihr in die „Kleine Schwester“, das Café
       des Bergstraßen-Klassikers „Feinkost Kröger“, zum Mittagessen. „Hier zieht
       niemand aus Zufall hin“, sagt Wegelin. Sie hat oft Besuch von Freunden aus
       dem Ausland, die das Authentische an der Großen Bergstraße lieben. Aber
       Wegelin sieht die Mietsituation ambivalent: „Für meine Wohnung zahle ich
       mittlerweile so viel Miete wie in Ottensen oder in Eppendorf.“
       
       Ikea hat die Große Bergstraße verändert, aber nicht, wie befürchtet,
       kernerschüttert. Ikea-Kunden nutzen die Gastronomie stärker als den
       Möbelladen, sodass der Kaffee, den man sich früher beliebig oft nachfüllen
       konnte, auf ein Mal Nachschenken rationiert wurde.
       
       Die Anwohner merken die negativen Seiten vor allem über das Verkehrschaos,
       das in der Regel donnerstags losgeht. Schütz sagt. „Es kommen viele
       Kleinlaster, viele Taxen, es gibt keine klare Linie, wie der Straßenverkehr
       verläuft.“ Die Polizei gehe sehr nachsichtig mit den Verkehrsteilnehmern
       um. „Für Menschen, die nicht so schnell sind, ist das sehr stressig.“
       
       Was beim Schlendern durch die Große Bergstraße ein bisschen fehlt, ist,
       dass mal was Mutiges passiert. Klar, es gibt Feinkost Kröger, seit ein paar
       Jahren den Buchladen „Zweieinsdrei“ und inhabergeführte Cafés und
       Restaurants wie das „Klippkroog“ oder den Burgerladen „Hackbaron“, die aber
       so aussehen, als ob sie eigentlich lieber in Ottensen wären. Ansonsten:
       Apotheken, Bäckereienketten, Ein-Euro-Shops und Vapiano.
       
       Aufbruchstimmung herrscht hingegen am hinteren Ende, wo die Große
       Bergstraße in die Louise-Schröder-Straße übergeht: Dort, wo das
       Hipster-Café „Saltkrokan“ im vergangenen Jahr zugemacht hat, hat vor kurzem
       das Fischbistro „Altuna“ eröffnet, und gemerkt, dass man ein gewisses
       Klientel damit lockt, dass die Cigköfte vegan ist. Der Laden läuft, Inhaber
       Fatih Tekçe verkauft nach eigenen Angaben 500 Dürüm pro Woche. „Ich glaube,
       wir sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt er. Gegenüber hat der
       Halal-Metzger „Altonam“ aufgemacht, der neben Fleisch und Fisch auch ein
       kleines Café und Backwaren anbietet. Es wirkt charmant, wie die beiden
       türkischen Läden sich die Ästhetik von Hipster-Läden aneignen. Ein bisschen
       mehr Laufkundschaft, so der Verkäufer im „Altonam“, würde er sich trotzdem
       doch wünschen.
       
       Es scheint, als ob diejenigen, die die Große Bergstraße zum Positiven
       verändern, jene sind, die schon immer da waren. Im Eiscafé „Filippo“ ist
       die Schlange lang, obwohl es kein Avocado-Bratwurst-Eis gibt. Auf ihre Art
       ist die Große Bergstraße der letzte Punk von Hamburg: Allen
       Modernisierungsbestrebungen zum Trotz ist sie immer noch abgerockt und in
       ihrer Entwicklung unberechenbar.
       
       11 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Klimpe
       
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