# taz.de -- Trinken in Norddeutschland: Strothmann, vom Winde verweht
       
       > Der Fusel ist knallbunt, klebrig und steigt sofort in den Kopf:
       > Waldmeister Sahne. Ein Erfahrungsbericht mit Wissenslücken.
       
 (IMG) Bild: Gibt's auf dem Dorf bei jedem Fest: süße, bunte Kurze
       
       Hannover taz | Als Jugendliche war meine Kotze oft grün. Manchmal sogar
       mintgrün, obwohl das damals noch keine Trendfarbe war. Quietschgrünen
       Pfeffi gab es bei uns aber nicht. Das scheint mir so ein Großstadtding zu
       sein: Dass der Schnaps gleich nach Zahnpasta schmeckt, wenn man ihn sich
       noch einmal durch den Kopf gehen lässt. Eigentlich ganz schlau , und das
       waren wir eher nicht.
       
       Beleg dafür ist unsere Getränkeauswahl, die optisch meist harmlos daherkam.
       Mit goldenem Deckel, mintgrüner Flüssigkeit und mickrigen 16 Prozent
       Alkohol zum Beispiel: Strothmann Waldmeister Sahne schmeckte zuckersüß, war
       cremig und meistens lauwarm, weil niemand daran gedacht hatte, die Flasche
       rechtzeitig kalt zu stellen. Der Mund wird von dem Zucker ganz pappig – und
       der Kopf schnell düsig.
       
       Die Kurven zur 12,6 Kilometer entfernten Dorfdisko, in ein Kaff, das auf
       „-bokel“ endet, gaben mir schon den Rest. Statt mitzufeiern blieb ich im
       Auto sitzen, hielt die Luft an, bis wir wieder am Ortsschild vorbeigefahren
       waren, ließ mit einem Knopfdruck das Fenster herunter und verstreute den
       guten Strothmann im Wind.
       
       ## Waldmeister ohne Sahne
       
       Hätte ich es in die Disko geschafft, hätten mich dort – neben mittelmäßigen
       DJs, Käfigen, in denen Betrunkene tanzten, und den BESTEN Pommes aller
       Zeiten – auch Tabletts voller Mischen erwartet. In der Dorfdisco wird Korn
       serviert – meistens mit Cola. Besonders zugehörig kam rüber, wer „KGB“
       bestellte, Korn und gelbe Brause, mit lang gezogenem E. Dazu alle Kurzen,
       die die Berentzen-Produktpalette hergibt: Apfelkorn, Waldmeister ohne
       Sahne! (aus Fehlern lernt der Mensch), saurer Apfel, Wildkirsche und das
       Pflaumenschnäppschen Plum.
       
       Diese Kurze-Kultur hat sich ursprünglich aus dem Herrengedeck der Arbeiter
       entwickelt. Nach getaner Arbeit wurde nicht nur in Norddeutschland ’n Bier
       und ’n Köm bestellt. Im Alten Land hat man den Korn schon immer auch mit
       Apfelsaft gemischt – schmeckt halt besser. 1976 hat der
       Spirituosenhersteller Berentzen mit Sitz im emsländischen Haselünne das
       Ganze dann in Flaschen verfüllt und als Partymischung auf den Markt
       gebracht. Damit haben schon meine Großeltern gefeiert – obwohl die auch
       gern Jägermeister getrunken haben.
       
       Mit 14 oder 15 feierte ich Silvester mal bei einer Freundin auf dem Dorf.
       Am nächsten Tag ging dann ein Rudel Jugendlicher von Haus zu Haus. Wir
       klingelten bei den Omis und Opis vom Schützenverein, wünschten ein „Frohes
       Neues!“ und bekamen einen Plum. Die Erwachsenen machten es genau so.
       
       ## Erst Taxifahren, dann Eierbraten
       
       Den Soundtrack für unsere Eskapaden lieferte uns ein Ostfriese: Im Taxi
       nach Hause zum Eierbraten sangen wir lauthals „Wir haben Grund zum Feiern“
       von Otto; ich vor allem den Refrain, aber andere schmetterten zum Verdruss
       der leidgeplagten Taxifahrer jede Zeile: „Keiner kann mehr laufen / Doch
       wir könn’ noch saufen.“
       
       In Norddeutschland legen Boßler, von Jägermeistern und Feiglingen getragen,
       kilometerweite Strecken zurück. Hier wurde, um sich ganz auf das
       Wesentliche zu beschränken, das Kurvensaufen perfektioniert: Dabei läuft
       man mit einem Bollerwagen Feldwege entlang und trinkt – Überraschung! – an
       jeder Kurve, wobei darüber gefachsimpelt werden muss, welcher Knick
       tatsächlich schon eine Kurve ist. Die behenkelten Kurzengläser tragen die
       Sportler an einer Schnur um den Hals.
       
       Seit ich aus meinem Heimatort weggezogen bin, sind die lustigen roten und
       grünen Schnäpschen, die die Kotze so niedlich verfärben, aus meinem
       Partyumfeld verschwunden. Einmal saß ich mit einem Freund in einer Kneipe
       und schwelgte in Erinnerungen. Er meinte es gut und bestellte mir an der
       Bar einen Kurzen, pisswarm und klar. Alles in mir schüttelte sich. So hart,
       dass wir den Korn pur getrunken haben, waren wir nie. Aber wie sollte mein
       Freund das Prinzip, dass Kurze schmecken sollen, auch verstanden haben? Er
       kommt aus dem Harz – und trinkt man da nicht nur Schierker Feuerstein?
       
       21 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Maestro
       
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