# taz.de -- nord🐾thema: „So ist das, wenn man Saft im Blut hat“
       
       > In vierter Generation öko: Seit 1936 stellt die Familie von Jurek Voelkel
       > im Wendland Säfte her. Alle Zutaten kommen aus nachhaltiger
       > Landwirtschaft. Die Firmengründer waren unter den Ersten, die sich an den
       > Prinzipien der damals im Entstehen begriffenen Anthroposophie
       > orientierten
       
 (IMG) Bild: Fast zu schade zum Versaften: Äpfel auf einer Streuobstwiese
       
       Interview Naomi Bruhn
       
       taz: Herr Voelkel, Sie sind die vierte Generation des Familienunternehmens
       Voelkel. Wie groß war der Druck, mit ins Unternehmen einzusteigen? 
       
       Jurek Voelkel: Es gab grundsätzlich gar keinen Druck, man muss es sich eher
       so vorstellen: Wir haben gleich neben der Firma gewohnt und dort nach der
       Schule unsere Zeit verbracht. Im Herbst bin ich mit meinen Geschwistern auf
       dem Möhrenhaufen direkt neben der Mosterei herumgeklettert. Später halfen
       wir bei der Apfelannahme. Immer sonntags machte mein Vater Tankkontrolle.
       Das ließ sich keins von uns Kindern entgehen. Die erste Bioschorle haben
       wir alle zusammen in unserer Küche gemischt. So sind meine Brüder und ich
       da reingewachsen.
       
       Können Sie Privates von Beruflichem trennen – oder wsprechen Sie beim
       Abendessen über die Arbeit? 
       
       Das kann ich nicht trennen. Ich halte das aber auch nicht für notwendig.
       Für mich ist es Luxus, einen Job zu haben, in dem ich mich verwirklichen
       kann. Richtig abschalten ist schwierig, aber so ist das, wenn man Saft im
       Blut hat.
       
       Ihr Unternehmen wurde unter dem nationalsozialistischen Regime gegründet.
       Wie hat sich das auf die Firma ausgewirkt? 
       
       Meine Urgroßeltern gründeten die Lohnmosterei im Jahr 1936. Die Lehren
       Rudolf Steiners, die Margret und Karl Voelkel damals für ihr Leben
       entdeckten, wurden auch vom nationalsozialistischen Regime aufgegriffen und
       für faschistische Ideologien missbraucht. Ein anthroposophisch inspiriertes
       Kleinstunternehmen, das Obst verarbeiten und Saft verkaufen wollte, musste
       damals nicht mit Schwierigkeiten rechnen, auch wenn es keine
       nationalsozialistische Gesinnung zeigte. Mit Ausbruch des Krieges wirkte
       sich das NS-Regime zunehmend negativ auf die Entwicklung der jungen
       Mosterei aus. Zu den ohnehin großen alltäglichen Herausforderungen der Zeit
       kam eine Vielzahl an Entbehrungen. Der Wunsch, sich in einem eigenen
       Anbauprojekt nach ersten Demeter-Ideen zu verwirklichen, wurde von den
       Nazis unterbunden. Zwei Söhne sind gefallen.
       
       Seit 1936 gab es Hungersnot, Krieg und Hitzewellen. Wie hat Ihr Unternehmen
       das überlebt? 
       
       Margret und Karl machten einfach immer weiter. Sie waren derart inbrünstig
       überzeugt davon, sich eine Existenz aufbauen zu können, dass es auch bei
       Rückschlägen und Aussichtslosigkeit keine Alternative gab. Kriegsmüde,
       enttäuscht auch von der Kirche und auf der Suche nach geistigem und
       seelischem Nährboden, fanden sie Antworten in der Anthroposophie, die Zeit
       ihres Lebens zum Kraftquell wurde. Die Überzeugung, dass es einen
       übergeordneten Sinn für alles Erlebte gebe, machte Hunger, Krieg und den
       schmerzhaften Verlust von zwei Söhnen verkraftbar.
       
       Voelkel ist geprägt von den landwirtschaftlichen Lehren Rudolf Steiners und
       der von ihm begründeten Anthroposophie. Was bedeutet das konkret? 
       
       Wir sind Teil des Demeter-Verbandes und unterstützen uneingeschränkt den
       Demeter-Gedanken, der durch die Lehren Steiners inspiriert wurde. Dieser
       formuliert die natürlichen Kreisläufe in der Landwirtschaft. Das bedeutet
       konkret: Der Landwirt hält seine Tiere artgerecht und erzeugt das Futter
       für seinen Viehbestand selbst auf seinem Hof. Er nutzt den Mist der Tiere,
       um seine Felder zu düngen und die Bodenqualität zu verbessern. Darüber
       hinaus spielen im Demeter-Anbau biodynamische Präparate eine wichtige
       Rolle, die als ausgleichende Heilmittel eingesetzt werden. Sie begünstigen
       energetischen Nachschub und vitale Lebensprozesse. Ein Beispiel hierfür
       sind Kuhhörner, die mit Kuhmist, Hornkiesel und diversen Kräutern gefüllt,
       bei einer bestimmten Mondstellung vergraben und nach einiger Zeit wieder
       ausgegraben werden. In feiner Dosierung tragen die Landwirte die Mischung
       dann auf ihre Felder. Das ist sozusagen Homöopathie für den Boden und sie
       regt die Aktivität der Mikroorganismen im Boden nachweislich an. Demeter
       ist die strengste zertifizierte Bioqualität, die wir, wann immer möglich,
       in unseren Produkten umsetzen.
       
       Wie zeichnet sich das in der Arbeit des Unternehmens ab? 
       
       Wir selbst betreiben keine Landwirtschaft, da wir uns als
       Verarbeitungsbetrieb verstehen. Wir wollen auch kein Land besitzen. Unsere
       Intention ist nicht der Besitz von Boden, sondern die Förderung von
       kontrolliert biologischer Landwirtschaft. Für unsere Produkte versuchen wir
       die Rohwaren soweit möglich aus Demeter-Anbau zu beziehen. Wir unterstützen
       die Landwirte darin, diese Weise der Landwirtschaft zu verstehen und sich
       als Demeter-Landwirt zertifizieren zu lassen. Dafür zahlen wir einen
       deutlichen Aufpreis. Wir engagieren auch Demeter-Berater, die wir mit ins
       Ausland nehmen, um dort unseren Partnern die biodynamische Landwirtschaft
       nahezubringen. Für echte Demeter-Landwirtschaft braucht es nämlich nicht
       nur eine Zertifizierung. Ebenso wichtig ist das genaue Verständnis der
       Inhalte, die Rudolf Steiner mit seinen Lehren vermittelt.
       
       Steiners Lehren sind sehr umstritten, gelten als rassistisch. 
       
       Das Gesamtwerk von Steiner ist sehr umfassend und liefert uns viel
       Wertvolles. Leider enthält es auch rassistische Formulierungen und
       fragwürdige Theorien, die zu einer Zeit verfasst wurden, als Wörter
       salonfähig waren, die im aktiven Sprachwortschatz der meisten Menschen
       heute Gott sei Dank nicht mehr vorkommen. Wir stehen als Safthersteller
       hinter den Inhalten, die Steiner als wertvolle Impulse für die
       Landwirtschaft liefert und distanzieren uns klar von jeglicher Form von
       Rassismus und Ausgrenzung. Wir sind von Haus aus Anhänger der natürlichen
       Vielfalt, das schließt kulturelle Vielfalt ganz klar ein.
       
       Also würden Sie Steiners landwirtschaftliche Lehre vom Rest seiner
       Ideologie trennen? 
       
       Wenn man betrachtet, was aus Steiners Lehren heraus entstanden ist –
       Waldorfschulen, Naturkosmetikmarken, die GLS-Bank –, dann sind das Dinge
       und Institutionen, die sich für vielfältiges Leben aussprechen. Für mich
       persönlich hat Anthroposophie nichts mit Rassismus zu tun und ja: Ich würde
       Bestandteile von Steiners Lehren fernab dieses Kontexts isoliert
       betrachten.
       
       Nicht alle Zutaten der Voelkel-Produkte werden in Deutschland angebaut,
       sondern weltweit. Wie wird der nachhaltige Anbau dort geprüft? 
       
       Zunächst durch die Kontrollstellen, die die Zertifizierung vornehmen.
       Darüber hinaus besuchen wir alle unsere Lieferanten einmal pro Jahr
       unangemeldet und prüfen vor Ort die Einhaltung der Standards. Dabei nehmen
       wir Proben, um Hygienestandards sicherzustellen und überzeugen uns von der
       Einhaltung sozialer Bedingungen.
       
       Voelkel hat sich fairem Handel verpflichtet. Wie setzen Sie das um? 
       
       Vor allem durch langfristige Zusammenarbeit, bei der Vertrauen zu den
       einzelnen Händlern aufgebaut wird. Wichtig ist aber auch das
       Mehraugenprinzip, also dass nicht blind irgendwelche Fair-Zertifizierungen
       gekauft werden. Jedes Fair-Trade-Projekt muss individuell überprüft werden.
       
       Als Hersteller von Demeter-Produkten hat man einen hohen Qualitätsanspruch,
       der nicht einfach herzustellen ist. Wie schafft Voelkel es, auf dem Markt
       zu überleben, und dabei die Qualität zu halten? 
       
       Wir haben den Vorteil, dass wir eine der wenigen Saftfirmen sind, die die
       meisten Rohwaren noch selber verarbeitet. Viele andere Firmen lassen auf
       der ganzen Welt fremd produzieren und sind nicht mehr nah am Produkt dran.
       Diese Leute sind meist Marketingprofis, aber halt keine Saftprofis, so wie
       wir. Durch intensive Zusammenarbeit mit den Bauern und durch die
       regelmäßigen Besuche bei den Partnern überall auf der Welt können wir eine
       bessere Qualität herstellen.
       
       Heutzutage sind Nachhaltigkeit und Veganismus ein großer Trend. Wie stehen
       Sie dazu ? 
       
       Es ist gut, wenn die Menschheit ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass
       individuelle Kaufentscheidungen in der Masse große Auswirkungen auf die
       Erde haben. Wer auf Nachhaltigkeit und Veganismus schaut, der ist per se
       achtsamer beim Lebensmitteleinkauf. Ich glaube nicht, dass diese Trends
       wieder verschwinden werden, weil hoffentlich immer mehr Menschen klar wird,
       dass wir letztlich nicht überleben können, wenn wir unsere Lebensgrundlage
       kaputtmachen. Mutter Erde ist es ziemlich egal, ob es uns Menschen gibt
       oder nicht.
       
       Es gibt auch eine Voelkel-Stiftung. Was ist deren Zweck? 
       
       Uns ging es darum, die Firma aus dem Besitz der Familie Voelkel zu nehmen.
       Klingt in Zeiten des Superkapitalismus erst mal absurd. Aber unser
       Unternehmen ist nicht so groß geworden, weil unsere Familie so toll ist,
       sondern weil ganz viele Bauern mitgearbeitet haben, ganz viele Bioläden die
       Marke groß gemacht haben und ganz viele Endverbraucher unsere Produkte
       kaufen und uns vertrauen. Wir wollen erreichen, dass möglichst viele
       Menschen unsere Getränke kaufen und somit weniger zu konventionellen
       Getränken greifen. Dadurch wird der Bedarf an Bio- und Demeter-Produkten
       wachsen und mehr Bauern stellen auf zukunftsfähige Landwirtschaft um. Alles
       Geld, was die Firma erwirtschaftet, soll diesem Zweck dienen.
       
       18 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Naomi Bruhn
       
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