# taz.de -- der rote faden: Urlaub oder Der Mensch als Störenfried
       
 (IMG) Bild: Foto: privat
       
       Durch die Woche mit Klaus Raab
       
       In einem ICE nach Siegburg, habe ich gelesen, ist diese Woche zwischen zwei
       Fahrgästen ein Streit entbrannt. ICE und Streit, da klingelt sicher auch
       bei Ihnen etwas – genau, es ging um ein als zu laut empfundenes Telefonat.
       Der eine Mann hat in seine kleine Monstermaschine gesprochen, der andere
       fühlte sich davon gestört, also gerieten sie aneinander, bis der eine dem
       anderen was auf die Glocke gab.
       
       Es scheint sich bei diesem Handynutzungskonflikt um eine Standardsituation
       beim Bahnfahren zu handeln. Kürzlich durfte ich, ebenfalls in einem ICE,
       das Gespräch zweier Herrschaften anhören, die sich schätzungsweise drei
       Minuten lang erstaunlich lautstark darüber ärgerten, dass kurz zuvor ein
       paar Plätze weiter ein Handy geklingelt habe. Ihre Empörung leiteten sie
       vornehmlich daraus ab, dass sie sich im Ruheabteil befänden, wo man, der
       Name sage es, Ruhe zu geben habe.
       
       Ich kann im Prinzip verstehen, dass man sich von anderen Menschen mal
       genervt fühlt, ich finde nur, man sollte vielleicht mitbedenken, dass man
       selber auch nur ein anderer ist.
       
       Wo wir aber schon davon reden, dass der Mensch dem anderen ein Störenfried
       ist, sollten wir nun, in der Urlaubszeit, dringend auch noch mal auf den
       Tourismus zu sprechen kommen. Touristsein ist dem Handynutzen verwandt:
       Dass man verreist, ist irgendwie klar, genauso wie es notwendig ist, selbst
       ein Mobiltelefon in Gebrauch zu haben. Dass andere aber die gleichen
       Urlaubsziele und die gleichen Kisten in der Tasche haben wie man selbst,
       ist selbstredend entsetzlich.
       
       Touristen mögen bekanntlich keine Touristen, wie Dean MacCannell einst
       formuliert hat. Auch deshalb wurden ja all die neueren Formen des
       Übernachtens in den sogenannten echten Wohnungen sogenannter echter
       Einheimischer eingeführt: weil man sich, sobald man sich nicht in Hotels
       unter seinesgleichen bewegt, sondern in leicht modrigen Steinhäusern, in
       denen ansonsten angeblich Locals wohnen, nicht wie einer dieser
       Touristenheinis fühlt, die nur die schrecklich unechten Sehenswürdigkeiten
       aus dem Reiseführer abklappern. Bis man dann nach zwei Tagen merkt, dass in
       der Nachbarwohnung auch Touristen wohnen.
       
       Ich zum Beispiel komme soeben aus einem sehr kleinen Dorf in Südfrankreich
       zurück, wo wir in der wunderbaren, übers Internet geschossenen Wohnung von
       Madame Bernadette zu nächtigen pflegten. Madames ausgesprochen händische
       Stickereien aus den frühen Achtzigern hingen über dem Bett und der
       Küchenkommode, die pittoreskerweise holzwurmstichig war. Ein Hotel gab es
       im Dorf nicht. Und einmal, als wir im Abendlicht, ein Glas Rotwein in der
       Hand, auf der bröckligen, geländerlosen Steintreppe saßen, die zur Wohnung
       führt, fragten uns Touristen, die unten entlanggingen, ob sie uns
       fotografieren dürften. Leck mich am Ärmel, waren wir authentisch! Sobald
       man allerdings zwanzig Meter geradeaus ging, gab es praktisch nur noch
       Eisläden, Souvenirshops und einen Kanuverleih.
       
       Habe ich gerade tatsächlich „authentisch“ geschrieben? Es heißt, dass es
       Touristen genau darum gehe: um Authentizität. Um den Eindruck, dass man
       sich auf Reisen nicht im eigenen kleinen Leben bewegt, sondern in einem
       alternativen Modell, das die Illusion zulässt, dass alles auch weniger
       hektisch und weniger warenförmig sein könnte. Die massenhafte Anwesenheit
       anderer Touristen allerdings beweist, dass man einer reality-TV-artigen
       Inszenierung aufsitzt: Sie sind Störfaktoren für die Illusion, dass eine
       bessere Zivilisation möglich wäre.
       
       Am schlimmsten ist es, wenn andere Touristen ebenfalls ihre Handys
       benutzen: Man würde gerne Fotos von einzigartigen Bauwerken oder von
       Naturschauspielen machen, die Menschenaugen bislang praktisch nie
       erblickten – aber andere Reisende stehen mit ihren Selfie-Sticks im Weg.
       Können die nicht zu Hause bleiben und ICE fahren?
       
       Wie gesagt, der Mensch ist dem Menschen ein Störenfried.
       
       Eine Lösung des Problems liegt allerdings bisweilen recht nahe, selten
       weiter weg als ein paar Kilometer: Man muss, statt einen Ausflug an den
       Pont du Gard zu machen, halt einfach ins nächste Spaßbad fahren. Wir sind
       da gewesen, am letzten Urlaubstag. Es gab eine Trichter-, eine Halfpipe-,
       eine Speed- und eine Familienrutsche. Und was soll man sagen: An diesem
       grundehrlichen Ort, an dem man sich keine Illusionen macht, an dem kein
       Mensch fotografiert, weil nichts, was dort geschieht, festhaltenswert ist,
       an dem der Lärm groß und dennoch nur Grundrauschen ist, an diesem Ort haben
       wir keinen Gedanken an die bevorstehende Rückkehr in den Alltag
       verschwendet und einfach abgeschaltet. Die Kinder haben gesagt, es sei ein
       Höhepunkt des Urlaubs gewesen.
       
       Nächste Woche Johanna Roth
       
       11 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Raab
       
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